Deutsche Oper Berlin

Wie Opernmuffel Joop goldene Opern-Helden mimt

| Lesedauer: 17 Minuten
Max Dax

Auf Plakaten posiert Wolfgang Joop für die Deutsche Oper Berlin. Ein Gespräch mit ihm und Intendantin Kirsten Harms.

Es ist regnerisch auf Sylt. Modeschöpfer Wolfgang Joop und Kirsten Harms, die scheidende Intendantin der Deutschen Oper Berlin, sitzen in den Strandkörben eines Luxusrestaurants, die Speisen aus der Fusion-Küche kommen mit dem üblich gewordenen Schaum. Anlass ihres Gesprächs für Morgenpost Online ist eine spektakuläre Kampagne. Joop, der bekennt, noch nie eine Oper zu Ende gesehen zu haben, aus Ungeduld und weil er etwas gegen "Antimodernität" hat, verkörpert auf Plakaten klassische Opernhelden wie Tristan, Don Giovanni oder Midas. Das Gespräch moderierte Max Dax.

Morgenpost Online: Kirsten Harms, Sie werben mit spektakulären Fotos für die Premieren der neuen Opernsaison. Der Fotograf André Rival hat den Modedesigner Wolfgang Joop als Held fünf verschiedener Opern inszeniert. Wie kamen Sie auf Joop?

Kirsten Harms: André Rival und ich haben uns gefragt: Wer könnte sich mit genügend Selbstbewusstsein in den Kulissen der Deutschen Oper ein ums andere Mal verwandeln? Schnell kamen wir auf Wolfgang Joop, der ja als Designer selbst in Rollen und Verwandlungen denkt.

Wolfgang Joop: Ich fand es mutig, die klassischen Opernrollen modeln zu lassen - und zwar nicht von den tatsächlichen Sängern. Dies zwingt einen dazu, Klischees zu bedienen. Die Rollen werden visuell, nicht inhaltlich dargestellt. Als Model muss ich keinen Text lernen und nicht singen. Also habe ich zugesagt. Ein Honorar gab es übrigens nicht.

Morgenpost Online: Wolfgang Joop ist nun für eine Saison das Gesicht der Oper. Wie entscheiden Sie, ob jemand zu Ihnen passt - oder eben nicht?

Harms: Wenn ich mir für die Oper eine Kampagne ausdenke, die sich an die Menschen in der Stadt wendet, befasse ich mich mit ganz ähnlichen Dingen, wie ich sie bei der Entwicklung eines Regiekonzepts vor Augen habe. Meine Aufgabe lautet: Wie übersetze ich diese ungezählte Male interpretierten Opernhelden in ein neues Bild? Gelingt mir das, bin ich auf dem besten Wege, eine gelungene Regieleistung abzuliefern. Das Gleiche gilt für die Selbstdarstellung eines Opernhauses. Anders als in der klassischen Werbung sehe ich die Erarbeitung der fünf Rollen, in die Wolfgang Joop bei seinen Fotoshootings schlüpfte, als Entstehung eines eigenständigen Kunstwerks. Der Künstler André Rival und der Künstler Wolfgang Joop haben beispielsweise den spanischen Edelmann Don Juan, den spektakulärsten Lüstling aller Zeiten, als Kunstfigur inszeniert. Don Giovanni - die personifizierte, artifizielle Übersteigerung von Wollust und Gier nach Sex.

Joop: Ich stellte mir die Frage: Wer war eigentlich Don Giovanni? Die Antwort lautete: ein bis zur Lächerlichkeit verkommener Liebhaber, dessen Sexualität sich an der Todesgrenze bewegt. Jede Art von Sexualität, so will es unser Kulturverständnis, basiert auf Todesnähe. Wenn ich Don Giovanni verkörpere, dann muss ich also auch die Dekadenz und den Tod immer mitdenken und einfließen lassen. So kamen wir auf die Rose als Vanitassymbol der Defloration.

Morgenpost Online: Wenn "Don Giovanni" am 16. Oktober in der Deutschen Oper Berlin Premiere haben wird, werden wir, anders als es die Werbung verspricht, keinen Joop und auch keines der abgebildeten Kostüme zu sehen bekommen.

Harms: Roland Schwab, der Regisseur unserer Neuproduktion des "Don Giovanni", hat für seine Inszenierung natürlich eine ganz andere Visualisierung gefunden. Aber das widerspricht nicht unserer Kampagne. Rivals anspielungsreiche Bilderserie thematisiert generell die Künstlichkeit der Oper und somit die archaischen Mythen und Geschichten, die in der Oper immer wieder neu erzählt werden.

Morgenpost Online: Wie kamen Sie auf die Idee, Oper als Pop-Event zu inszenieren?

Harms: Das war ganz profan. Vor drei Jahren hat sich mein Pressechef bitterlich darüber beklagt, dass er keine Fotos hatte, mit denen er unsere Arbeit bewerben konnte. Keine der Inszenierungen sei so weit fortgeschritten, dass man mit Szenenfotos arbeiten könne - und schon wieder nur blanke Buchstaben auf einem Plakat wollte er nicht. So entstand gewissermaßen aus der Not, keine Bilder zu haben, die Idee, die Hauptrollen der anstehenden Inszenierungen mit Modellen zu besetzen und von einem Fotografen mit einer ganz eigenen Handschrift umsetzen zu lassen. Wir schossen eine Serie mit Nadja Auermann, eine mit Barbara Schöneberger und jetzt eben eine mit Joop.

Morgenpost Online: Warum will man eigentlich ein neues Publikum in die Oper locken?

Harms: Wir haben fast täglich einen Riesensaal zu füllen - die Deutsche Oper hat mit knapp 2.000 Sitzplätzen einen der größten Zuschauerräume in Berlin. Viel wichtiger aber ist mir, dass uns die Oper total emotional anspricht. Unerklärlicherweise übrigens, denn Opernhandlungen sind fast immer schräg, lebensfern, wenn nicht gar surreal. In der Oper werden Menschheitsdramen durch die Musik, den Gesang, den Tanz und die Illusion verdichtet und stilisiert. Oper hat nichts mit Realismus zu tun. Damit spricht sie den Menschen nicht als intellektuelles Wesen an, sondern als fühlendes. Liebe, Schmerz, Todessehnsucht - das sind Grundantriebe des Menschen, und alle finden sie in der Oper ihre Stilisierung. Wer dann letztlich singt und wie genau das Bühnenbild aussieht, ist demgegenüber fast nachrangig. Um Ihre Frage zu beantworten: Wenn man keine Vorbildung braucht, um sich in eine Oper fallen lassen zu können, dann lohnt sich jeder Versuch, Menschen zu einem Besuch zu überreden. Wer einmal die Oper betreten hat, verfällt ihr in der Regel auch. Und wenn Fotos und Plakate diesem Ansinnen dienlich sind, kann es gar nicht genug von ihnen geben.

Morgenpost Online: Sie behaupten, man müsse von Oper nichts verstehen?

Harms: Vor allem muss man bereit sein, sich den großen Menschheitsthemen zu ergeben. Wenn Sie sehen, wie sich zwei Menschen küssen, müssen Sie ja auch nicht wissen, wer und warum küsst, um etwas zu verstehen. Die entscheidende Dimension ist der Kuss.

Morgenpost Online: Inwiefern hat sich Wolfgang Joop als Designer in die Bilder eingebracht?

Harms: Massiv. Er hat mit irrwitzig sicherer Hand seine eigenen Requisiten ins Bild gerückt und sie mit unseren Rüschen und Perücken und falschen Bärten aus Fundus und Maske kombiniert. Er hat die Kunstfiguren, die er verkörpert, zur Gänze eigenständig entworfen. Dazu kam, dass Wolfgang Joop über die Gabe verfügt, eine Rolle, die er einmal gewählt hat, mit Leben zu füllen. Er kann spielen wie ein Schauspieler. Das unterscheidet ihn von vielen Sängern, denen man erst sagen muss, was sie tun sollen. Denn selbst wenn die Oper für alles und für die großen Dramen steht, so sind doch ihre Komponenten, also die Figuren, die einzelnen Situationen und die einzelnen Textzeilen aus dem Libretto zunächst einmal aussagelos. Ein Regisseur steht stets aufs Neue vor der Aufgabe, Sänger zu einer Aussage zu bringen und sie zum Leben zu erwecken. Die Sicherheit, mit der ein Regisseur oder ein Darsteller eine Figur füllt, ist entscheidend sowohl für die Präsenz auf der Bühne wie auch für das Foto. Mir waren schon immer Protagonisten am liebsten, die wissen, was sie wollen. Mit denen kann man am besten auf Ziele hinarbeiten, auch wenn der Weg zu ihnen mit Konflikten gepflastert sein wird.

Morgenpost Online: Wo haben Sie die Fotos aufgenommen?

Harms: Die haben wir während des laufenden Betriebs im Kulissenmagazin gemacht, das sich schallgedämmt neben der Bühne befindet. Wir haben Joop unseren gesamten Fundus an Kostümen zur Auswahl gestellt und ihn darum gebeten, auch eigene Kleider mitzubringen. Er konnte seine Outfits gewissermaßen spontan zusammenkomponieren.

Joop: Ich habe den Käse ja da hängen gesehen. Stangenweise gab es dort Umhänge und Rüstungen. Ich habe mich geweigert, auch nur eines dieser Kostüme komplett anzuziehen. Stattdessen habe ich mir hier einen Ärmel und dort ein Tuch herausgepickt. Ich habe Elemente aus dem Fundus genommen und diese gleichsam wie Opernzitate mit meinen eigenen Sachen vermischt. Die Lederjacke, die ich in der Verkörperung des Don Giovanni trage, gehört mir. Die hat mir übrigens ein Punk von der Straße in Potsdam geschenkt, nachdem ich ihm 100 Euro gegeben hatte und wir uns anschließend angeregt unterhielten.

Harms: Wichtig war mir nur, dass viel Gold in den Bildern zu sehen ist.

Morgenpost Online: Warum gerade Gold?

Harms: Gold steht für die größte Sehnsucht und die größte Künstlichkeit. Im ersten Jahr meiner Intendanz habe ich die Fassade der Deutschen Oper mit Goldpailletten behängen lassen. Die Oper wurde so zum Sehnsuchtsort.

Morgenpost Online: Wolfgang Joop, Sie sind nach eigener Aussage ein Opernmuffel.

Joop: Ich gebe ausdrücklich zu, dass ich noch keine Oper bis zum Ende gesehen habe. Unbewusst und vielleicht ignorant empfand ich vor dem stinkenden Mummenschanz der Oper eine Abscheu. Auch die Langsamkeit hat mich abgeschreckt. Immer musste erst ein Sänger seine Arie zu Ende singen, bevor der nächste drankam, und das Sterben dauerte endlos. Oper stand für mich sinnbildlich für Antimodernität. Andererseits grusele ich mich vor den sogenannten modernen Inszenierungen. Wenn ich in der Zeitung lese, dass ein Herr Meese ein Bühnenbild gestaltet, frage ich mich im selben Augenblick: Und wer räumt das anschließend wieder ab?

Harms: Ich wusste, dass er noch nie eine Oper betreten hatte. Aber ich wusste auch, dass er begeistert sein würde, sobald er erst einmal das konzentrierte Treiben auf der Hinterbühne gesehen hätte.

Joop: Diese Hinterbühne war wie die Vorhölle. Kalt, staubig, schmutzig. Die ganz harte Nummer. Der Ort gefiel mir sofort.

Harms: Die Oper ist neben dem Spielfilm die Königsklasse der Logistik. Orchester, Bühnenbild, Sänger, Technik - alles muss auf die Sekunde genau zusammengeführt werden und funktionieren. Ich stelle mir die logistischen Anforderungen, die im Zuge einer Modenschau anfallen, ähnlich komplex vor. Und natürlich beeindruckt Oper einen Logistiker wie Joop.

Joop: Mein Bild der Oper hat sich gewandelt. Ich habe sportlichen Respekt vor jedem, der sich in eines dieser unbequemen Kostüme zwängt und auf der Bühne eine Arie singt.

Morgenpost Online: Sie sind ein Mann, der sich seit Jahren in der Medienöffentlichkeit bewegt. Wie passen diese Bilder zu Ihrem Image?

Joop: Ich schütze mein Bild in der Öffentlichkeit, indem ich darauf achte, wie ich wahrgenommen werde. Meine eigene Inszenierung mit diesen Bildern infrage zu stellen, war eine enorme Motivation - und zugleich ein bewusster Akt. Ich lasse es zu, auf eine neue Weise wahrgenommen zu werden. Die Bilder sind sehr Berlin, und ich finde nicht, dass sie an der Legende Wolfgang Joop kratzen. Eine Jil Sander, ein Karl Lagerfeld oder ein Tom Ford hätten solche Bilder nicht von sich machen lassen, da sie anders mit ihrem öffentlichen Image umgehen. Ich widerspreche ihm nun.

Morgenpost Online: Weshalb eigentlich?

Joop: Das ist meine Art und meine Freiheit. Die Metamorphose ist meine Konstante. Ich sehe Souveränität in meinem Handeln, wenn ich mich für die Deutsche Oper halb entblöße. Als Samson sehe ich aus wie Mickey Rourke in "The Wrestler" - das ist eher ein trauriges Abbild als eine Idealisierung. Im Akt der Zerstörung des eigenen Images sehe ich auch die Chance, etwas Neues zu kreieren. Ich will ja nicht in meinem Image verkrusten. Souveränität ist das Wichtigste, was man im Alter lernen sollte. Solange es mir gefällt, ist es mir egal, wenn Dritte die Bilder als geschmacklos oder schamlos oder nicht inszeniert genug empfinden. Es gibt übrigens tatsächlich Leute, die finden, dass ich schlecht beraten sei, wenn ich mich halb nackt zeige.

Morgenpost Online: Sie haben einmal gesagt, Opernbesucher glichen Menschen, die zu einer Beerdigung gehen.

Joop: Warum trifft man sich in diesem Tempel der Torturen? Drei oder vier Stunden lang starrt man unbeweglich auf das Geschehen auf der Bühne. Die Besucher gucken betroffen, auch nach der Vorstellung, weil diese nicht den eigenen Vorstellungen entsprochen hat. Enttäuscht zu sein von einer Opernaufführung, empfinde ich als total bourgeoise Geste. Ich gehe doch auch ohne vorgefasste Meinung in andere Abenteuer des Lebens.

Harms: Der Opernbesuch ist vor allem in meiner Generation nicht wohlgelitten. Viele haben sich im Zuge der 68er-Bewegung von der Oper als bürgerlich-reaktionärer Kunstform abgewendet. Für sie steht Oper für die jüngere deutsche Vergangenheit. Gerade die Deutsche Oper Berlin war als ehemaliges Lieblingsopernhaus von Adolf Hitler - er hatte hier seine eigene Loge - schwer belastet. Deshalb hat man es übrigens auch nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg nicht restauriert, sondern als modernes, demokratisches Opernhaus an gleicher Stelle neu errichtet.

Morgenpost Online: Muss die Oper sich der Gegenwart anpassen?

Harms: Quatsch. Die Oper muss nicht heutig werden, sie ist es längst. Es ist doch kein Zufall, wenn Künstler wie René Pollesch inszenieren. Und oft genug holt sich die Oper berühmte Modeschöpfer oder Bildhauer ins Haus, um Kostüme oder Bühnenbilder zu gestalten. Vorurteile haben eigentlich nur jene, die nie die Oper besuchen.

Joop: Trotzdem sage ich: Ich verstehe diesen ganzen Hang zum Minimalismus und zum zeitgenössischen Wirrwar nicht. Warum muss in die Gegenwart übersetzt werden, was vor Jahrhunderten komponiert wurde? Aber ich vermute: Das Aufregen über das Gesehene gehört zur Oper. Das gemeinsame Akt des Richtens über eine Inszenierung scheint der eigentliche Grund für einen Opernbesuch zu sein.

Harms: Fakt ist, dass viele dieser Opernabstinenzler schlecht über etwas sprechen, das sie selbst gar nicht verifizieren können, weil sie den Opernbesuch meiden. Das Zwanglose des Opernbesuchs ist uns gänzlich verloren gegangen.

Joop: Ich repräsentiere ja, sollte ich in die Oper gehen, den Zuschauer, also den Menschen in der Pause im Foyer. Das ist auch der Schlüssel zu den Bildern: Ich bin der Halbangezogene. Ich bin halb Zuschauer und halb Darsteller auf der Bühne. Das könnte übrigens eine gute Herangehensweise an ein passendes Outfit für einen Opernbesuch sein.

Harms: Ich prophezeie, dass es, ähnlich wie beim Theater, eine große Gegenbewegung geben wird, welche die Oper für sich wieder in Besitz nehmen wird.

Morgenpost Online: Dazu müsste die Oper den Ruf ablegen, vor allem Repräsentationsspielstätte zu sein.

Harms: Ich sehe das Problem anderswo: Es kommt keine Freude auf, wenn man sich als Besucher der Oper, am besten noch im Mantel und ohne Glas in der Hand, auf den erstbesten Sessel im Foyer setzt und sich noch einmal in das Libretto vertieft. Da entspricht der Opernbesuch einer bürgerlich-puristischen Sicht. Das Gegenteil jedoch ist angesagt. Das Foyer ist eine Bühne und somit positive Repräsentationsspielstätte, die jedoch im Normalfall vom Publikum gar nicht genutzt wird. Die Menschen leben sich beim Opernbesuch, wozu die Oper eigentlich animiert, gar nicht aus. Die wenigsten treten aus ihrer Normalität, wenn sie eine Inszenierung besuchen.

Morgenpost Online: Sie ermutigen die Exzentriker zum Opernbesuch?

Harms: Ja. Ich bin doch selbst eine Exzentrikerin. Ich trage fast immer Weiß - das ist alles andere als unauffällig. Das ist das Gegenteil der typischen Berliner Untertreibung. Nicht zuletzt mit Wolfgang Joop als Gesicht der Oper wollen wir unsere Besucher dazu ermutigen, das Underdressed-Sein aufzugeben. Die Angst vor dem Identisch-Sein mit sich selbst war schon immer ein schlechter Ratgeber.