Wer es am Sonntag nicht rechtzeitig zur „Tiefland“-Vorstellung um 18 Uhr in die Deutsche Oper geschafft hatte, konnte aufatmen: Die Aufführung begann eine halbe Stunde später, das Orchester streikte. Kein Einzelfall. Eine Woche zuvor mussten Publikum und Tänzer bei „Schwanensee“ nach der Pause aufs Orchester verzichten, die Ballett-Aufführung in der Deutschen Oper ging mit Klavierbegleitung weiter. Und sollten demnächst die mehr als fünfstündigen „Meistersinger von Nürnberg“ in der Komischen Oper im letzten Teil bestreikt werden, dann könnte man angesichts des verkürzten Abends wenigstens noch zu einer zivilen Zeit essen gehen.
Opernbesuche sind also in diesen Tagen in Berlin ein ganz besonderes Erlebnis. Und zwar ausnahmsweise nicht wegen einer vermeintlich skandalösen Regie, sondern allein deshalb, weil man nicht genau weiß, was einen musikalisch erwartet. Wobei es, ein völlig neuer Aspekt, ja zumindest eine Inszenierung an der Komischen Oper gibt, die gewissermaßen streikresistent ist, weil Regisseur Nicolas Stemann in „La Périchole“ das Orchester mitten in den schwungvollsten Jacques-Offenbach-Klängen inne halten lässt. Es wäre tatsächlich schwer zu erkennen, was regievorgegeben und was streikbedingt ist. Leider steht die Aufführung derzeit nicht auf dem Spielplan, die nächsten Vorstellungen sind erst für Mai und Juni des kommenden Jahres geplant. Bis dahin könnte der Streik der Orchestermusiker Schnee vom vergangenen Jahr gewesen sein.
Oder auch nicht. Zwar spricht derzeit noch niemand davon, dass die Fronten verhärtet sind, aber viel Bewegung gab es nicht. Gerald Mertens, Geschäftsführer der Musikergewerkschaft DOV, spricht davon, „den Druck langsam aufzubauen“. Er spekuliert auf die für die Opern wichtigen, weil verkaufsstarken Monate November und Dezember. Mertens spricht von einer „Mehrklassengesellschaft“ und „Orchestern 2. Klasse“ und rechnet vor, dass Musiker in anderen Bundesländern, die dem Flächentarifvertrag unterliegen, zwölf Prozent mehr Geld auf dem Konto haben. Es ist durchaus ein Jammern auf hohem Niveau. So verdienen Orchestermusiker an der Deutschen Oper durchschnittlich 4900 Euro, die Kollegen von der Komischen Oper, etwas niedriger eingestuft, kommen auf 4500 Euro. Dafür bekommt der Arbeitgeber wöchentlich sieben bis acht Dienste, die drei Stunden umfassen. Die wöchentliche Arbeitszeit beträgt also maximal 24 Stunden, meistens liegt sie darunter. Die Möglichkeiten zum Hinzuverdienen sind nicht schlecht: Auftritte jenseits des Opernhauses, die sogenannten „Mucken“, Unterricht oder auch eine Lehrtätigkeit an der Hochschule und natürlich die Aushilfen in anderen Orchestern. Spielen die Musiker dort, bekommen sie diese Dienste extra bezahlt, auch wenn sie ihr Stundensoll noch nicht ausgeschöpft haben. Diese Kooperations- oder auch Aushilfeklausel ist ein zentraler Knackpunkt der Verhandlungen. Das Land Berlin hatte bereits Ende der 90er Jahre versucht, die unentgeltliche Aushilfe im Rahmen der Dienstzeiten in die Verträge hineinzuschreiben, war aber vor Gericht gescheitert.
"Es ist durchaus ein Jammern auf hohem Niveau"
Auch aus Sicht von Peter F. Raddatz, dem Generaldirektor der Berliner Opernstiftung, gibt es dazu keine Alternative. Er hat wenig Verständnis dafür, dass sich nach dem Abschluss eines Tarifvertrages mit den Bühnenkünstlern (dazu zählen Chorsänger, Tänzern etc.) Ende September dieses Jahres ausgerechnet die Musiker verweigern. Raddatz: „Warum müssen Orchestermusiker, die ohnehin schon luxuriöse Arbeitsbedingungen haben, besser gestellt werden als das übrige Personal?“ Auf rund sieben Prozent beziffert er die ausgehandelten Gehaltsstiegerungen einschließlich einmaliger Zahlungen.
Die Orchestergewerkschaft wartet jetzt auf ein neues Angebot seitens der Arbeitgeber. Und bis dahin wird es immer wieder mal einen Streik geben. Trotzdem sollten Besucher der „Don Giovanni“-Premiere am Sonnabend pünktlich in der Deutschen Oper sein. Denn noch gilt es als unwahrscheinlich, dass eine Premiere bestreikt wird. Schließlich wollen die Musiker den Druck langsam aufbauen.