Berlin. Mezzosopranistin Elina Garanca singt in der Eröffnungspremiere von Verdis „Aida“ an der Staatsoper. Ein Gespräch.
Elina Garanca ist eine erfolgsverwöhnte Operndiva. Die aus Riga stammende Mezzosopranistin singt weltweit an den großen Opernhäusern und bei namhaften Festivals. In Berlin probt sie gerade Giuseppe Verdis Oper „Aida“. Traditionell wird die Premierensaison an der Staatsoper Unter den Linden am 3. Oktober, dem Tag der Deutschen Einheit, eröffnet. Diesmal geht es um die äthiopische Königstochter Aida, die als Geisel nach Ägypten verschleppt wurde. In der Regie von Calixto Bieito wird Elina Garanca die Pharaonentochter Amneris verkörpern, die Rivalin Aidas. Es ist eine Partie, die die 47-jährige Lettin schon mehrfach gesungen hat.
Frau Garanca, der Spanier Calixto Bieito, ein hoch geschätzter Skandalregisseur, bringt die „Aida“ auf die Bühne. Was bedeutet das für Ihre Rolle der Amneris?
Elina Garanca Ich bin eine Sängerin und kein Regisseur. Ich arbeite mit dem vorgeschriebenen Material des Komponisten Giuseppe Verdi und seines Librettisten Antonio Ghislanzoni. Das Genie Verdi hat bereits die innere Dramaturgie meiner Figur ausgearbeitet. In dieser Inszenierung versuchen wir, es etwas moderner umzusetzen. Aber Calixto soll seine Ideen selber verteidigen. Mir ist es vollkommen egal, ob ich in einem altmodischen oder modernen Kostüm herumlaufe. Jede neue Produktion, und das meine ich gar nicht böse, ist für uns Sänger ein bisschen wie das Stockholm-Syndrom. Im Verlaufe der Probenwochen werden wir überzeugt, dass das, was mir machen, genau das Richtige ist. Am Ende muss das Publikum entscheiden.
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Die Partie der Amneris hatten Sie vor Jahren als Mount Everest beschrieben, inzwischen haben Sie ihn mehrfach bestiegen. Wagners Kundry in Wagners „Parsifal“ nannten Sie ebenfalls und feierten gerade in Bayreuth in der Rolle Triumphe. Was werden die nächsten Achttausender sein?
Für mich ist es die Judith aus Bela Bartoks „Herzog Blaubarts Burg“, weil die Oper im Mai in Napoli auf Ungarisch gesungen wird. Ich fürchte mich nicht vor der Atonalität, aber die Sprache ist für mich ein Achttausender. Ich spreche sechs Sprachen, aber mit Ungarisch kann ich nur wenig anfangen. Ich habe jedes Wort übersetzt und mir den Text von Muttersprachlern auf Band einsprechen lassen. Jetzt muss das in meinen Kopf rein. Es ist ein tonales Auswendiglernen. Als nächste Partie würde ich gerne noch die Azucena aus Verdis „Il trovatore“ ins Repertoire aufnehmen. Aber ich warte besser noch: Denn einmal Mutter heißt immer Mutter. Es ist wie mit anderen Rollen. Einmal Carmen immer Carmen.
Gerade wurde der Wagner-Spezialist Christian Thielemann als neuer Generalmusikdirektor an der Staatsoper vorgestellt. Wie ist Ihr Verhältnis zueinander? Und gibt es schon Pläne?
Wir haben öfter zusammengearbeitet. In Dresden habe ich mit ihm den „Rosenkavalier“ gemacht. Über „Parsifal“ haben wir sehr lange gesprochen, vielleicht findet das hier statt. Wir haben Konzerte gemacht, es war immer ein Erlebnis. Ich mag ihn wahnsinnig gerne. Wir haben einen ziemlich ähnlichen Humor. Ich glaube auch, dass wir ein großes musikalisches Vertrauen zueinander haben.
Wie lange planen Sie voraus?
Drei bis vier Jahre. Aber die nächsten zwei Jahre hier am Haus sind ja bereits geplant. Aber sicherlich wird etwas kommen.
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Im gängigen Opernrepertoire gibt es gut 20 Hosenrollen, die vor allem auch Mezzosopranistinnen zugedacht sind. Sind Sie erleichtert darüber, längst nicht mehr in die Hosen anderer schlüpfen und Männer habituell kopieren zu müssen?
Das wir das Männliche und Weibliche im Körper haben, ist doch klar. Die androgynen Hosenrollen passen zu manchen Sängerinnen, vor allem den jüngeren, weil sie das virale Lebenstempo in sich tragen. Mir hatte es viel Spaß gemacht, weil ich damals noch viel fitter und beweglicher war. Als junger Mensch habe ich auch Salat schneller geschnitten und Eier schneller aufgeschlagen. Aber ich möchte jetzt nicht mehr auf der Bühnen den Busenquetscher anziehen. Ich kann auch mit den Charakteren nicht mehr viel anfangen. Mich reizen die Frauenrollen, die sich über Liebe, Hass, Pflicht und Verantwortung definieren. Natürlich hat sich auch meine Stimme verändert.
Wie nehmen Sie Ihre Stimme wahr?
Die Koloraturen sind tatsächlich verschwunden, aber die machen mir auch überhaupt keinen Spaß mehr. Die Rosina in Rossinis „Il barbiere di Siviglia“ war auch nie richtig meins. Mir geht es jetzt um einen mental-emotionalen Klang in der Musik. Das kann der Klang der Sehnsucht, der Wehmut oder der Verzweiflung sein. Da gibt es bei Wagner eine große Augen- und Ohrenweide. Ich bin im Herzen ein melancholischer Sanguiniker. Ich reagiere manchmal sehr impulsiv, gleichzeitig habe ich das große Ganze im Blick. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass ich für mein schweres Repertoire gefestigt sein muss. Ortrud aus Wagners „Lohengrin“ ist noch ein Achttausender, obwohl alle mir davon abraten. Ich werde beweisen, dass sie falsch liegen. (lacht) Bei diesem Repertoire muss der Körperschwerpunkt tiefer liegen.
Das klingt nach Yoga?
Yoga ist mir zu langweilig. Ich bin eine, die den Garten umgräbt und Steine von links nach rechts trägt. Wenn ich am Abend erschöpft bin, aber sehe, dass der Garten schöner geworden ist, bin ich zufrieden. Das erreiche ich in einer Dreiviertelstunde Yoga nicht.
Sie stammen aus einer Rigaer Musikerfamilie rund um das Theater herum, an dem auch Wagner als Musikdirektor wirkte. Mit was für einem Wagner-Bild sind Sie aufgewachsen?
Meine Mutter hat in dem Wagner-Saal Konzerte gesungen, ich habe dort mein Abschlusskonzert gesungen. Man weiß viel um Wagner, Riga und „Rienzi“, wobei ich jetzt die erste Lettin bin, die in Bayreuth gesungen hat. In Riga hatte ich zuerst mit sieben Jahren den „Tannhäuser“ damals noch in lettischer Sprache gehört. Ich bin in der Pause gegangen, weil ich nichts verstanden habe. Es war so laut und so lang. Das war nicht meins. Als Studentin dachte ich, Wagner sei ein Orbit, den ich nie erreichen würde. Wagner braucht schon eine Zeit zum ankommen. Irgendwann habe ich mich gefragt: Was ist denn nun das Besondere am Wagner-Gesang? Die Leute mögen mir verzeihen, aber von der Filigranität und technische Variabilität her ist der Belcanto am kompliziertesten zu singen. Der Wagner-Gesang hat immer eine reflektorische Dimension, die aber ziemlich – was Technik angeht – monoton ist. Der Sänger steuert nur eine Farbe im großen Orchesterklang bei. Aber er ist nicht das Bild. Im Belcanto ist der Sänger das Bild, drumherum gibt es einen Rahmen.
An welchem Punkt einer Aufführung wissen Sie, dass Sie erfolgreich waren? Ist es beim Schlussapplaus oder vielleicht erst Stunden danach?
Ich bin Perfektionistin mit klaren Vorstellungen, wie ich bestimmte Sachen singen will. Es sind technische Dinge, ob ein Ton bequem und eine Phrase geschmeidig für die Gestaltung sind. Parallel dazu braucht man das Gefühl, das Publikum im Griff zu haben. Das spürt man vor allem bei Arien. Zwischendurch gibt es in der Musik immer einen Punkt der Stille. Dann bleibt die Zeit stehen. Wenn ich atme oder mit den Augen blinzle, dann geht es weiter. Ich bekomme dann immer eine Gänsehaut. Leider kann man die nicht jeden Abend bekommen. Ich glaube, dass der Applaus auch aus der Stille kommt, weil sich das Publikum mit einem vernetzt fühlt wie bei einem Avatar.
Staatsoper Unter den Linden, Mitte. Tel. 20354555 Termine: 3.10. (Premiere), 6., 9., 12., 15., 19., 22. und 29.10.