Berlin. Die Räume in der Lindower Straße im Wedding hat das Sinema Transtopia erst im Januar bezogen. Dass das Kino die ehemalige Hinterhof-Werkstatt von einem privaten Eigentümer überhaupt anmieten konnte, liegt an der Förderung durch die Senatsverwaltung für Kultur, die die Betreiber ab 2023 erhalten haben – unter der Annahme, dass die Förderdauer vier Jahre betragen würde. Doch diese sogenannte vierjährige Konzeptförderung für Projekträume ist im Senatsentwurf zum neuen Kulturhaushalt 2024/2025 nicht mehr zu finden.
Eine Millionen Euro im Jahr hatte der letzte Senat unter Kultursenator Klaus Lederer (Linke) für die Förderung freier Projekträume und Initiativen im Doppelhaushalt 2023/2024 veranschlagt. Sein Nachfolger Joe Chialo (CDU) scheint diesen Weg nicht fortführen zu wollen. Wird der Haushalt so verabschiedet, bricht die Hälfte der Fördergelder für die freie Projektraumszene weg.
Drohender „Substanzverlust“ in der freien Kulturszene
Das könnte zu einem „Substanzverlust“ führen, so der Kulturpolitiker Daniel Wesener (Grüne). Es bleiben für die freien Projekträume lediglich 925.000 Euro in der Basisförderung bestehen, die mit einer Förderdauer von zwei Jahren weniger langfristige Planung zulässt. Für Oliver Möst, Vorstandsmitglied des Netzwerks der freien Projekträume, ist das viel zu wenig. „150 Projekträume müssen sich jetzt auf knapp eine Million bewerben.“
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Aber was sind Projekträume eigentlich? Abseits der großen Museen und teuren Galerien, sind Projekträume unabhängige, nicht-kommerzielle Orte, an denen Kunst entsteht und gezeigt wird. Beispiele sind das Silent Green, Errant Sound, der Kreuzberg Pavillon oder Meinblau. Das Kunstfestival 48h Neukölln wurde von Projektraumbetreibern gegründet und auch der aktuelle Leiter des Haus der Kulturen der Welt (HKW), Bonaventure Soh Bejeng Ndikung, kommt aus der Szene.
Berlinale-Geschäftsführerin für Erhalt der Förderung
Er ist auch einer der 70 Erstunterzeichner einer Petition zum Erhalt der Konzeptförderung und des Sinema Transtopia. Neben ihm stehen andere bekannte Namen der Kulturszene unter dem Schreiben, darunter Berlinale Geschäftsführerin Mariëtte Rissenbeek, die Leiterin des Museum FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Natalie Beyer, und die Festivalleiter vieler Berliner Filmfestivals.
Denn auch das Sinema Transtopia versteht sich nicht als einfaches Kino, sondern als Projektraum. Dort werden nicht nur Filme gezeigt, sondern es wird Archivarbeit geleistet, Meisterklassen und Konferenzen finden dort statt. Jeder Film ist von einem Publikumsgespräch begleitet. Oft sind Projekträume niedrigschwelliger als große Museen und Galerien, sie sprechen ein breiteres, diverseres Publikum an und sind im Kiez verwurzelt, so Möst.
Streichung der Förderung – nur ein Missverständnis?
Die Bedeutung dieser Projekträume für die Berliner Kunst- und Kulturszene ist groß, erklärt der Ex-Finanzsenator. Von der Innovationskraft und Kreativität, die dort entstehen kann, profitieren auch die großen Aushängeschilder der Berliner Kultur. Viele, die die Szene kennen, können sich daher gar nicht erklären, wie es zu diesem Haushaltsentwurf kommen konnte.
Man vermutet, dass ein Missverständnis vorliegt, dass die Kürzung versehentlich zustande kam, weil etwa der Begriff Projektraum nicht geläufig war. „Vielleicht erweckt das Wort ‘Projektraum’ den Anschein, dass es sich um temporäre Einrichtungen handelt. Oft handelt es sich aber um seit 20 Jahren bestehende Institutionen“, so Möst.
Vergabe der ersten Fördertranche in „Sonderverfahren“
Dass die Förderung so einfach gestrichen werden konnte, liegt auch daran, dass die letzte Senatsverwaltung es aufgrund von Personalmangel und Überlastung durch die Vergabe der Corona-Hilfen nicht schaffte, das vom Abgeordnetenhaus beschlossene Förderpaket abschließend umzusetzen. Die normale Vorgehensweise bei Kulturförderprogrammen ist, die Förderempfänger per Ausschreibung anzusprechen und von einer Fachjury auswählen zu lassen.
Da dies 2022/2023 aus Kapazitätsgründen offenbar nicht möglich war, vergab die Senatsverwaltung für Kultur die bereits im Haushalt veranschlagten Summen von 400.000 Euro in 2022 und 1.004.000 Euro 2023 im Schnellverfahren. 2022 wurden Stipendien in der Höhe von jeweils 8000 Euro über ein Juryverfahren an Projektraumbetreiber vergeben. 2023 wurden im „Sonderverfahren“ elf Räume für die Konzeptförderung ausgewählt.
Fördervolumen für Projekträume halbiert
„Mit Blick auf eine geplante vierjährige Konzeptförderung für freie Berliner Präsentationsorte und Initiativen aus dem Bereich Bildende Kunst wurde auch darauf geachtet, dass die ausgewählten Orte und Initiativen bereits einmal eine zweijährige Basisförderung oder eine vergleichbare öffentliche Zuwendung erhalten haben“, hieß es damals in einer Mitteilung.
Wenn elf Projekträume schon einen Bedarf an einer Million Euro haben, wie soll die gesamte Szene nun mit der Hälfte der Summe, also den verbleibenden gut 900.000 Euro aus der Basisförderung auskommen? Oliver Möst vom Netzwerk der Freien Projekträume weiß darauf keine Antwort. In der letzten Förderrunde hätten 27 Projekträume Geld aus der Basisförderung erhalten, wenn die elf nun noch dazu kämen, werde es knapp.
Rat der Künste: „Kultur-Rezession für Berlin“
Von einer „Kultur-Rezession für Berlin“ spricht auch der Rat für die Künste, der die freie Kunstszene vertritt. „Trotz der lobenswerten Bemühungen des Kultursenators Joe Chialo, Einsparungen im Kulturetat zu vermeiden und ihn numerisch auch minimal zu erhöhen, ist der vorgeschlagene Etat faktisch an vielen Stellen ein Kahlschlag für Kunst und Kultur“, heißt es im Statement des Rates zum Haushaltsentwurf.
Neben den freien Projekträumen sei etwa auch beim Zeitgenössischen Tanz und beim Blindenmuseum gekürzt worden. Doch die freie Szene sei „der große Verlierer“, dieses Haushaltsentwurfs, so Wesener von den Grünen. Dass zugleich 15 Millionen als Nachfolgehilfe für die Corona-Soforthilfen eingeplant seien, sei zwar gut. Doch stehe die Kürzung der Million für die Projekträume in keinem Verhältnis dazu.
Betroffenen Institutionen droht Existenzverlust
Für die einzelnen Projektraumbetreiber, die bereits 2023 im Sonderverfahren Geld aus der Konzeptförderung erhalten und sich auf eine vierjährige Förderung eingestellt hatten - also geplant und Investitionen getroffen haben - würde der Haushalt, ginge er so durch, eine echte Existenzbedrohung darstellen.
Welche kulturpolitischen Überlegungen hinter der Entscheidung stehen, dazu wollte sich Kultursenator Joe Chialo mit Hinblick auf die laufenden Haushaltsverhandlungen auf Morgenpost-Anfrage nicht äußern. Möst hat immer noch die Hoffnung, dass die Million „zurückgeholt“ werden könnte. Die Kulturverwaltung habe für diesen Fall zugesagt, dass alles für ein geordnetes Vergabeverfahren vorbereitet sei.
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