Berliner Ensemble

Skandal im Königspalast von Athen: „Phädra in Flammen“

| Lesedauer: 5 Minuten
Sophie Klieeisen
Die Witwe und der Sohn: Phädra (Constanze Becker) und Acamas (Paul Zichner).

Die Witwe und der Sohn: Phädra (Constanze Becker) und Acamas (Paul Zichner).

Foto: JR Berliner Ensemble / Phädra in Flammen

Nanouk Leopold inszeniert Nino Haratischwilis Überschreibung am Berliner Ensemble: ein Abend mit einigen Diskrepanzen.

Klytämnestra, Antigone, Medea – diese Figuren hat Constanze Becker gespielt in Frankfurt, am Deutschen Theater und Berliner Ensemble. Nun die Phädra, „in Flammen“, einer Überschreibung von Euripides und Racine aus der Feder der georgisch-deutschen Schriftstellerin Nino Haratischwili. Constanze Becker tut das mit einer Unbeugsamkeit, die die alte Phädra hinter sich lässt, aus Gründen, die in ihrer Schauspielkunst, aber auch in Haratischwilis Interpretation liegen. Dabei bleibt die Autorin eng an den Handlungsstrukturen der Vorlagen – und macht doch ein neues Stück daraus.

Phädra, Königin Athens, Ehefrau des mächtigen Theseus, der die Stadt einst von der Tyrannei durch Phädras Bruder, das halb-Stier-halb-Mensch-Monster Minotaurus, befreite, bringt aus Liebe und Enttäuschung Unglück über die Stadt, ihre Familie und sich selbst. Bei Euripides bezichtigt Phädra den, der sie verschmäht, der Vergewaltigung und entzieht sich durch Selbstmord weiterer Schmach, auf Theseus‘ Geheiß stirbt auch der Verleumdete. Den Verrat, der Phädras Enttäuschung rächen soll, begeht sie selbst.

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Racine gestaltet Phädra wesentlich um: Kein menschlicher Makel beschmutzt ihr Antlitz, den vergeltenden Akt begeht sie nicht selbst. Phädra stirbt rein, an unerfüllter Liebe, an der entstehenden Schuld haben alle Anteil. Eine idealisierte, männliche Frauenfigur.

Die stellt Haratischwili in „Phädra, in Flammen“ vom männlichen Kopf auf weibliche Füße: Hier geht es um die Frau als das Andere und dessen gesellschaftliche Geltung. Phädra verliebt sich nicht in ihren Stiefsohn, sondern in ihre zukünftige Schwiegertochter Persea, die Verlobte ihres Sohnes, und jene sich in sie. So verdoppelt und spiegelt Haratischwili die Frau in eine Figur während und eine Figur nach ihrer Jugend. Zudem wandelt sie den Topos der Geltungssucht (Begehren) zu Geltung (Liebe). Aus der schuldlosen Schuldhaftigkeit der Tragödie wird überdies eine Sache der gesellschaftlichen Bedingungen weiblicher Selbstbestimmung: Absender des Liebesverrats ist Phädras zweiter Sohn, Adressat der Hohepriester Panopeus, nicht der König.

Ein sozialer Geschlechterkampf. Nicht nur aus georgischer Perspektive ist es unerhört aktuell, die Stellung der Frau kausal mit der Macht der Kirche zu verknüpfen. Der Machtkampf der Emanzipation findet nicht statt zwischen dem Mann, seinen Ansprüchen an sexuelle Verfügbarkeit und Mütterlichkeit zugleich und der Frau, die diesen zu dienen habe. Der Machtkampf der Emanzipation entscheidet sich im Kampf der Frau gegen die Interessen der (männlichen) Kirche als Herrschaftsinstrument über die Frau als gesellschaftliche Persona.

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Deshalb steht Phädra „in Flammen“ – weil dies im Georgischen den Zustand des Klimakteriums beschreibt. Eine Frau, die ihre Fruchtbarkeit verliert, indem sie in der Blüte ihres Lebens steht, stellt die Frage ihrer Geltung in den politischen Raum – gegenüber einer Institution, die sich als Gewalthaber der Fruchtbarkeit versteht. Doch diese Macht verdankt sie irdisch-männlicher Profilneurose: Phädras erstgeborener Sohn und Thronfolger Demophon hat mit dem Hohepriester einen Pakt geschlossen, der jenem den Einfluss auf ganz Attika sichern soll. Ein dramatischer Clou und politischer Verweis auf die Konkordate mit der georgisch-orthodoxen Machtsucht.

Auf bestialische Weise wird Persea so zum Menschenopfer „für die Götter“, wird von Hunden durch die Stadt gehetzt und zerfleischt. Ein widerwärtig begeisterter Botenbericht des Hohepriesters (Paul Herwig) liefert uns diese Beschreibung. Theseus ist da längst machtlos, hat seine Macht durch Selbstüberschätzung verloren. Zwar hat er einen ausgeprägten Uli Hoeneß-Komplex – er verzögert seinen Abgang immer weiter und bringt Demophon zu der Vermutung, dass er selbst nach seinem Tod noch ihm, seinem Nachfolger, hineinregieren würde –, doch spielt er für den Ausgang des Dramas keine Rolle mehr.

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Haratischwilis Figuren sind keine Typen, auch wenn ihre Sprache arg regellos zwischen antiquiert hohem Ton und fäkal getränktem Alltag schwankt. Diese Uneinheitlichkeit öffnet die Fallhöhe zwischen der politisch-gesellschaftlichen Dimension des Stücks und einem pathetischen Eifersuchtsdrama. Die Regie der niederländischen Filmemacherin Nanouk Leopold kann diese Diskrepanzen leider nicht überwinden.

Zu holzschnittartig agieren die Ensemblemitglieder, in ihren jeweiligen Spielprägungen allein gelassen karikieren sie fast. Ohrenbetäubend der Theseus von Oliver Kraushaar, etwas übertrieben selbstverliebt der Demophon von Maximilian Diehle. In harter Klarheit, poesielos, in den stillen Tönen eindringlicher als in den lauten, trägt Constanze Becker ihre Phädra zum Freitod, während Lili Epply ihre Persea mit Spiellust und einer gewissen Naivität gestaltet und Paul Zichner seinen Akamas herrlich weinerlich sein lässt, ohne ihn der Pointe zum Fraß vorzuwerfen.

Wenn jedoch auf das Stichwort „Verrat“ hin eine Schlange, auf „Zeit“ hin Sand über die triptychonalen Videoleinwände (Daan Emmen) läuft, während sich die Kostüme (Wojcieck Dziedzic) in Komplementärfarblogik erschöpfen und roter Sand im Bühnenbecken (Elsje de Bruijn) liegt, kann man die Dekodierungsinstrumente getrost im Koffer lassen – es liegt alles offen zutage.

Berliner Ensemble, Bertolt-Brecht-Platz 1, Mitte. Termine: 4. Juni (19 Uhr), 27. und 28. Juni, 20 Uhr.