“Keine Ahnung, was ich vom Theater erwarte, ich weiß nur, ich will spielen“: Solche Sätze gingen Constanze Becker durch den Kopf, als sie der Filmemacher Andres Veiel vor zehn Jahren erstmals für seine Langzeitdokumentation “Die Spielwütigen“ befragte.
"Keine Ahnung, was ich vom Theater erwarte, ich weiß nur, ich will spielen": Solche Sätze gingen Constanze Becker durch den Kopf, als sie der Filmemacher Andres Veiel vor zehn Jahren erstmals für seine Langzeitdokumentation "Die Spielwütigen" befragte. Dann aber "würgte" sie irgendwas heraus, von dem sie dachte, dass er das vielleicht hören will. Aber Veiel reagierte darauf gar nicht, ließ die Kamera nur einfach weiter laufen. Constanze Becker brach der Schweiß aus, sie empfand die Situation als sehr peinlich. Es sollte noch Jahre dauern, bis das Bild, das sie von sich selbst hatte mit dem übereinstimmte, das die Kamera einfing.
Inzwischen weiß die 28-Jährige, die in Lübeck geboren wurde, ziemlich genau, was sie will, vor allem sieht sie ihr Rollenprofil deutlich klarer, zweifelt nicht länger daran, dass ihr tatsächlich die reiferen Frauenfiguren auf den Leib geschrieben sind, die ihr etwa eine Carmen-Maja Antoni schon an der "Ernst Busch"-Hochschule ans Herz legte: Große Tragödinnen wie Medea, Penthesilea oder Klytaimestra, als die Constanze Becker am kommenden Sonnabend in Michael Thalheimers Inszenierung der "Orestie" des Aischylos am Deutschen Theater debütiert. Zwar fühlt sich die Jungheroine persönlich noch gar nicht so reif und erwachsen, aber im Grunde sagt sie, sei es ja auch ein Trugschluss anzunehmen, dass alle diese Frauen "schon über 50 sind".
Die tiefe Verletztheit dieser Heldinnen, ihre innere Stärke, schließlich ihre Verzweiflung, die sie zu einem Mord antreibt, das ist es, was die aparte Schauspielerin mit den leuchtenden dunklen Augen an diesen Figuren so reizt. Dagegen kann sie mit so liebreizenden Mädchentypen wie Julia, Gretchen oder Käthchen wenig anfangen. Ein einziges Experiment als Inken Peters in Hauptmanns "Vor Sonnenaufgang" bestätigte das: Constanze Becker langweilte diese "junge Frau, die nichts hat außer ein Verhältnis mit einem 70-Jährigen".
Schon äußerlich mit ihrer großen Statur ist die Becker prädestiniert für Amazonen und Heroinnen. Und ein wenig erinnern auch ihre schönen marmornen ebenmäßigen Gesichtszüge an antike griechische Statuen. Längst steht Constanze Becker in den Startlöchern zu einer vielversprechenden Karriere. Ihr erstes Engagement unmittelbar nach der Schauspielschule führte sie für zweieinhalb Jahre nach Leipzig. Dort spielte sie die Katharina in Lars Norens "Dämonen" und die Elisabeth in Schillers "Maria Stuart". Danach ging sie nach Düsseldorf, wo sie 2004 in einer Regiearbeit von Jürgen Gosch in den "Sommergästen" auf sich aufmerksam machte, eine Produktion, die auch zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde.
Es war dann Michael Thalheimer, der die "Spielwütige" zu Beginn dieser Spielzeit als festes Ensemblemitglied ans Deutsche Theater holte und ihr gleich eine so tragende Partie wie die Klytaimestra anbot. Erstmals nimmt sich Thalheimer mit dieser Produktion eines antiken Stoffes an. Ästhetisch wird das "ganz und gar kein typischer Thalheimer", meint Becker, die schon viele Arbeiten dieses Regisseurs gesehen hat, "wir probieren da gerade was ganz Neues aus": die realistische Darstellung von Schreckensszenarien auf offener Bühne, "keine saubere" Angelegenheit.
Wie das Publikum darauf reagieren mag? Erstaunt und etwas irritiert vernimmt Constanze Becker, dass Robert Wilson mit seiner schaurigen Pantomime "Deafman Glance" um einen doppelten Doppelmord an der Staatsoper beim Publikum bei der Premiere eher auf Ablehnung stieß. Wilson ist für Frau Becker der Theatermann, der mit seinem "Black Rider" in Hamburg ihre Liebe zur Bühne weckte, als sie gerade zwölf war. Mehr als 40 Mal hat sie sich diese Aufführung damals gemeinsam mit ihrer Mutter angesehen. Danach stand der Entschluss fest, Schauspielerin zu werden.
Blutrache sei uns zwar heute in Deutschland "ziemlich fremd", sagt die Experimentierfreudige, aber menschlich, da könne sie sich bestens mit den Tragödinnen identifizieren. Nur darf ein Mord nicht zu einer "bloßen sportlichen Übung" missraten. In Konstanze Becker steckt indes nichts von dem Furor einer Klytaimestra. Eher zurückhaltend, fast ein bisschen scheu gibt sich die Newcomerin des Deutschen Theaters im Gespräch.
"Ich weiß nur, ich will spielen": Noch heute hat sich die "Spielwütige" eine große Offenheit bewahrt. Sie will die Dinge ein bisschen auf sich zukommen lassen, sich noch nicht restlos verplanen für die nächsten Jahre, vielleicht irgendwann auch mal wieder Kino machen. Den guten Kontakt zu Andres Veiel, den hat sie ja immer noch.
Deutsches Theater
, Schumannstr. 13 a, Mitte. Tel.: 28 44 12 25. Premiere am Sonnabend, 19.30 Uhr.