Theater des Westens

„Romeo & Julia“: Berlin im siebten Musical-Himmel

| Lesedauer: 8 Minuten
Der Publikumsliebling ist die Amme von Steffi Irrmen, hier schnürt sie gerade Mutter Capulet zu.

Der Publikumsliebling ist die Amme von Steffi Irrmen, hier schnürt sie gerade Mutter Capulet zu.

Foto: Dominik Ernst

Berlin hat wieder einen Musicalhit. Und schon wieder ist er von Peter Plate und Ulf Leo Sommer: „Romeo & Julia“ im Theater des Westens.

War’s die Lerche? Oder war’s die Nachtigall? Das ist die berühmteste Frage der Literaturgeschichte – nach der von Hamlet nach Sein oder nicht Sein, natürlich. Und jedes Kind oder doch jeder Teenager kennt sie aus der Schule, von Shakespeares ewiger tragischer Liebesgeschichte „Romeo und Julia“. Jetzt ist der Klassiker am Theater des Westens neu inszeniert worden – als Musical.

Da aber ist die Antwort auf die ewige Frage eine ganz andere: Es war nicht die Nachtigall. Rosenstolz war’s. Denn die Komponisten des Stücks sind Peter Plate und Ulf Leo Sommer, die früher die Songs für die Popformation geschrieben haben. Auch ihre Musical-Songs klingen jetzt ganz danach. Einer ist sogar direkt von Rosenstolz übernommen. Und steht sogar im Untertitel: „Liebe ist alles“.

Es beginnt mit dem Ende. Das Paar ist schon tot. Dann beginnt die Verzauberung

Kein Spoiler-Alarm. Jeder kennt das Stück. Aus dem Deutschunterricht. Aus zahlreichen Verfilmungen. Es gibt sogar schon mehrere Musicals, auch „West Side Story“ ist ja nur eine radikal moderne Version. Es gibt aber auch ganz traditionelle wie das französische „Roméo et Juliette - De la haine à l’amour“. Aus Deutschland kam dazu bisher kein Beitrag.

Deutschland gilt aber auch als Entwicklungsland in Sachen Musical. Das aber wollen Plate und Sommer ändern. Das haben sie schon mit „Ku’damm 56“ bewiesen, das am Theater des Westens Triumphe feierte. Und das beweisen sie jetzt auch mit ihrem Folgestück „Romeo & Julia - Liebe ist alles“.

Es beginnt mit dem Ende. Die Liebenden liegen bereits tot unterm Laken. Alle anderen stehen um sie herum und singen das, was sonst das Finale wäre. Und hier ein perfekter Opener ist, der mit seinem Choral schon mal für Gänsehaut sorgt.

Mehr zum Thema:Peter Plate und Ulf Leo Sommer über ihr zweites Musical

Dann erst beginnt die berühmteste und tragischste aller Liebesgeschichten. Koregisseur Andrew D. Edwards hat dazu ein Allzweckbühnenbild aufgebaut. Eine halbrunde Mauer mit Balkon, der mal Ballsaal der Capulet, mal Kirche, mal Gruft ist. Der innere Kreis dagegen ist mal siebter Himmel, mal Liebesnest, mal Goldener Käfig. Die Kostüme, ebenfalls von Edwards, wirken wie aus einem Fantasy-Film der 90-er geklaut. Schnittige Gewänder in blau, türkis und lila. Ebenso wie die Glühbirnen, die wie Weihnachtskugeln ganz oben hängen.

Wenn Romeo (Paul Csitkovics) seine Julia (Yasmina Hempel) trifft, wenn sie sich „erkennen“ und verlieben, dann schweben sie nicht in den siebten Himmel, dann fahren die Glühbirnen herab. Glimmen plötzlich sattgülden auf. „Lass es Liebe sein“, noch so ein typischer Rosenstolz-Titel, hat der Lichttechniker hier wörtlich genommen. Und alle verlieben sich in dieses Paar.

Und zwischen all den Rosenstolz-Melodien kommt dann noch Klaus Nomi dazu

Größter Bruch zu den Rosenstolz-Melodien. Shakespeare wird wirklich ganz klassisch gesprochen. Das heißt im deutschen Fall in der Tieck’schen Übersetzung, in Knittelversen. Die so zu sprechen, dass sie überzeugen, dazu braucht es eigentlich Sprechtheater-Mimen. Das gelingt nicht jedem Musical-Darsteller, leider auch nicht Romeo. Und dann sind insgesamt nur 17 Personen auf der Bühne. Für einen Riesenball bei den Capulets sichtlich zu wenig. Da müsste ja jedem auffallen, dass sich da drei aus dem Hause Montague eingeschlichen haben.

Aber das sind auch die einzigen Kritikpunkte. Schon in den Songs von Sommer und Plate gibt es manche Neuakzentuierung, und Regisseur Christoph Drewitz kitzelt sie schön heraus. Mercutio - gespielt von Nico Went, der schon in „Ku’damm 56“ begeisterte – ist schwul, liebt heimlich Romeo und darf das auch in einem Song gestehen. Die heimliche Hochzeit des Liebespaares und der Todeskampf mit Tybalt (Samuel Franco) werden wie in einer Film-Parallelmontage zusammengeschnitten. manchmal stehen die Menschen aber auch nur auf der Bühne, die sich drehen, wie Figurenautomaten in einer riesigen Uhr. Dazu tickt es manchmal auch: Die Zeit, sie läuft ab.

Lesen Sie auch: Diesmal mit Kleid: Tim Fischer als Zarah Leander im Renaissance-Theater

Und, größte Neuerung zu Shakespeare: Es gibt noch eine weitere Person, die schon anfangs den Ton angibt im Trauerchoral, die erst von den Proszeniums-Logen singt, dann vom Balkon der Bühne und im zweiten Teil schließlich unter die Menschen tritt: Nils Wanderer als Todesengel. Kein Musicaldarsteller, sondern ein klassischer Countertenor, und quasi die Stimme aus dem Jenseits.

Und an der Stelle klingt es dann auch nicht mehr nach Rosenstolz, sondern - nach Klaus Nomi. Jenem Counterpoptenor, der Ende der 80er ein schriller New-Wave-Star war, bis er dann viel zu früh an Aids verstarb. Schon da war Liebe und Tod ganz eng verbunden. Der Todesengel ist eine Reminiszenz an Nomi. Und immer wenn Wanderer singt, kriegt man Gänsehaut.

Hurra, Berlin hat wieder ein Musical. Eins, dass das Zeug zum Hit hat

„Ku’damm 56“ war ein Sensationshit. Klar, es gab da einen TV-Mehrteiler, den Millionen gesehen haben und den man auch auf der Bühne erleben wollte. Es war ein Berlin-Musical, das in der Stadt spielte, in der es gespielt wurde. Das gibts leider nicht oft. Und dann war es ein Stück, das vom Schlager über Tango bis zum Rock alle Musikstile zitierte. „Romeo & Julia“ dagegen ist einheitlicher, rosenstolziger. Wenn auch mit Nomi-Zulage. Aber auch hier gibt es Melodien, die sich ins Ohr schmeicheln und nicht mehr raus wollen.

Lesen Sie auch: Katharina Thalbach über „Miss Merkel“: „Ich fühle mich ihr schon verwandt“

Schönste Idee: Romeo ist hier mal kein zärtelnder Romantiker, sondern ein echter Kerl. Der auch nicht auf den Balkon klettert - sondern hochspringt und sich mit Klimmzügen hochschwingt. Auch Julia kein naives Mädel, sondern viel selbstbewusster. Da ist denn auch diese Liebe viel schicksalhafter und nicht nur ein erster Schmetterling im Bauch. Anthony Curtis Kirby sieht als Pater Lorenzo ein bisschen so aus wie Peter Plate, als er noch bei Rosenstolz sang.

Den meisten Applaus kriegen allerdings nicht die Liebenden, nicht der Pater und auch nicht der Todesengel - sondern die von von Steffi Irmen gespielte Amme. Die kann spielen und Knittelverse sprechen, sie kann quietschen und diskantieren, und sie kann wunderbar höchste Töne herausschallen und halten. Ihr Song „Ach, das sind die Hormone“ wird wohl der Schlager dieser Produktion.

Der Beweis: Musicals funktionieren doch in der Stadt.

Das Finale gab es schon am Anfang. Am Ende ziehen die Darsteller dagegen ihre Kostüme aus. Und zeigen sich ganz heutig. Und wiederholen die Botschaft von der Liebe, die alles ist, was sie braucht. Da singt denn auch das Premierenpublikum mit, das den einstigen Rosenstolz-Hit inzwischen verinnerlicht hat.

Und hurra: Berlin hat wieder ein Musical! Eins, dass das Zeug zum Hit hat. Und nicht nur für Touris und Schulklassen idealer Bühnenstoff ist. Das ist umso spannender, als hier eben keine typischen Musical-Melodien zu hören sind. Und das sollte der Stage Entertainment, die das Theater des Westens mal gekauft und dann aufgegeben hat, zu denken geben: Musicals funktionieren doch. Wenn es halt nicht die überallgleichen Klon-Produktionen sind!

Theater des Westens, Kantstr. 12, Charlottenburg. Di-Fr, 19.30 Uhr, Sa. 15 und 19.30 Uhr, So. 14.30 und 19 Uhr.