Die Welt ist in Trümmern, die Fensterscheibe zerborsten, der Strom fällt auch immer wieder aus. Da erscheint getragenen Schrittes eine ältere Frau im Glanz besserer Zeiten, mit Pelzmantel und dicker Sonnenbrille. Es ist Zarah Leander, einst einer der größten Ufa-Stars, gefeiert von den einfachen Menschen wie vom Nazi-Regime.
Jetzt, drei Jahre nach dem Krieg, wagt die Schwedin ein Comeback. Will auf Deutschland-Tournee gehen. Und probt dafür in einem heruntergekommenen Etablissement, in dem immerhin der Flügel überlebt hat, mit vier jungen Musikern. Die Schlager von einst. Mit ihrer unverwechselbaren dunklen Kontra-Altstimme. Und dem rollenden „R“. „Wie finden Sie mich?“, fragt sie die Musiker. Die applaudieren spontan. Wie auch die Zuschauer im Theater.
- Auch im Doppel stark - Tim Fischer im Duett mit Cora Frost
- Warum Horst Evers jetzt schon mal Weihnachten feiert
- Peter Plate und Ulf Leo Sommer über ihr neues Musical „Romeo & Julia“
Tim Fischer knüpft mit diesem Stück an seine Anfänge als Sänger an
Letztere tun das noch aus einem anderen Grund. Denn wer da im langen schwarzen Kleid die Diva gibt, das ist Tim Fischer. Der hat einst seine Karriere begonnen mit den Liedern der Leander. In seinem ersten Programm „Zarah ohne Kleid“, das im Hamburger Schmidt Theater Premiere hatte. Damals trug er noch wallendes langes Haar, sang aber als Mann. Er war gerade mal 17. 1991 war das, wenige Wochen vor dem zehnten Todestag der Künstlerin, die er nicht persönlich erlebt hat, aber dennoch perfekt nachahmen konnte. Auch ihr divöses Gebaren, das er sanft parodierte.
„Zarah ohne Kleid“ machte Tim Fischer schlagartig berühmt, er tourte damit durch die Lande, auch nach Berlin, wohin er bald ziehen sollte. Die Zarah hat er dann bald abgestreift und das Wallehaar raspelkurz abrasiert. Er wollte erwachsener werden, reifen an Chansons statt Schlagern, insbesondere mit den schwarzhumorigen Liedern von Georg Kreisler, die er immer wieder sang. Und in dessen Ein-Mann-Musical „Adam Schaf hat Angst“ er im Berliner Ensemble auftrat. Nach 17 Jahren aber machte Fischer, nun doppelt so alt, seinen Frieden mit seinen Leander-Anfängen und packte immer mal wieder „Zarah ohne Kleid“ aus.
Jetzt aber steht er als Frau auf der Bühne. Als Zarah mit Kleid. Mit Schminke und flammend roter Perücke. Im Stück „Ich bin die Leander – Zarah auf Probe“, das er gemeinsam mit Ulrich Michael Heissig geschrieben hat. Auch das hatte Premiere in Hamburg, vor zwei Jahren schon, zum 40. Todestag der Leander. Und ergo zum 30. Jahrestag von Fischers Solokarriere. Jetzt, zwei Jahre später, feiert das Stück auch Berlin-Premiere. Am Renaissance-Theater. Wieder zu einem Jahrestag, aber einem ganz anderen.
Am 12. März feiert Tim Fischer seinen 50. Geburtstag. Die hiesige Premiere fiel, wohl kein Zufall, eher ein ironischer Wink, auf den Frauentag. Diesmal aber ist es kein junger Spund mehr, der eine alte Frau wiederauferstehen lässt. Tim Fischer ist heute sogar etwas älter, als es die Leander war, als sie sich nach dem Krieg wieder auf die Bühne wagte.
Ein paar böse Witze über die alte Zeit - und die Entnazifizierung
Er knüpft hier an die eigenen Anfänge an, ist aber sichtlich gereifter. Aber auch Heissig, der Ko-Autor, hat ja Erfahrungen mit alten Frauen: Seine Paraderolle ist Irmgard Knef, seine fiktive „verschwiegene“ Schwester von Hildegard Knef. Diven-Kult im Doppel also.
Da steht sie nun wieder auf der Bühne: die Frau mit der Männerstimme. Und singt ihre großen Hits wie „Kann denn Liebe Sünde sein?“ oder „Yes, Sir“, die doch etwas anders klingen mit nur vier Musikern statt Riesenorchester, wovon einer ein Vibraphon spielt, das dem Ganzen einen völlig neuen Sound verleiht, gibt. Aber es bleibt nicht beim Proben allein. Die Diva raucht und schmaucht, singt und sinniert.
Und lässt ein paar böse Pointen fallen, etwa wenn sie sich bei Wahl ihres Kleides erst nicht zwischen dem Braunen und dem Schwarzen entscheiden konnte: „Aber braun ist ja gerade etwas aus der Mode gekommen.“ Oder wenn sie einen der Musiker anherrscht, weil er den Einsatz verhunzt hat: „Anschluss ist wichtig, das war schon 1938 so.“
Wie viel Reue ist echt, wie viel gespielt?
Immer wieder klagt sie darüber, dass man sie als Hitlers Liebling dargestellt und dafür nach dem Krieg geschnitten habe, auch in ihrer skandinavischen Heimat. Dabei war sie doch nur eine „politische Idiotin“, sie habe doch nur gesungen. Da redet sich eine heraus. Wirklich war das damals eine Stellvertreterdebatte, dass Stars von einst zumindest kurze Zeit nach dem Krieg geschmäht wurden, während in Politik, Wirtschaft und Justiz längst wieder Alt-Nazis auf den Posten saßen.
Aber die Leander hat mit „Davon geht die Welt nicht unter“ auch das ultimative Durchhaltelied für den „Endsieg“ gesungen. Sie wurde von Goebbels hofiert. Wurde überhaupt nur zum Star im Deutschen Reich, nachdem alle jüdischen Künstler ihren Beruf nicht mehr ausüben durften. Und flüchtete erst 1943 in ihre Heimat, als der Krieg nach Berlin kam – und ihre Villa zerstörte.
Bei „Ich bin die Leander“ muss man natürlich auch an ein anderes Stück denken, das gerade hier, am Renaissance-Theater, große Triumphe erlebte: Pam Gems‘ Marlene-Dietrich-Stück „Marlene“ funktionierte ähnlich, mit den Proben vor deren legendärem Hamburg Konzert, das dann in der zweiten Hälfte auch nachgestellt wird.
„Marlene“ indes ist ein Zwei-Personen-Stück, wo zumindest zeitweise ihre Assistentin den Star-Allüren Paroli bietet. So etwas wünschte man sich hier zuweilen umso mehr, bei all den selbstverliebten Rechtfertigungen der Leander. Die vier Musiker geben zwar ab und an die Backgroundsänger, Text haben sie aber nicht. Sie sind auch zu jung und unerfahren, um dem Star Kontra zu geben.
Zarah Leander ist für Tim Fischer nun endgültig die Rolle seines Lebens
„Ich bin die Leander“ ist und bleibt eine One-Wo/Man-Show. Aber die wird getragen von Tim Fischer, der sich dieser Rolle erneut stellt und sie mit Bravour meistert. Eine Performance, bei der seine Leander mit den alten Schlagern aufblüht und dann wieder in Unsicherheit und Selbstzweifel zurückfällt. Und sich die bange Frage stellt, ob sie sich nicht doch mitschuldig gemacht hat. Keine Frage, Zarah Leander ist für Tim Fischer jetzt endgültig die Rolle seines Lebens.
Renaissancetheater, Knesebeckstr. 100, Charlottenburg. Karten-Tel.: 312 42 02. Termine: Bis 16. März, Täglich, 19.30 Uhr, So: 20 Uhr.