Hoch oben über der Wilhelmstraße thront die Silhouette eines Mannes. Sie zeigt das Konterfei von Johann Georg Elser, der am 8. November 1939 den vergeblichen Versuch unternahm, Adolf Hitler in die Luft zu sprengen. Die Tat fand zwar im Münchener Bürgerbräukeller statt, seit 2011 erinnert jedoch auch in Berlin ein Denkmal an Elser. Es steht genau an jener Stelle in der Wilhelmstraße, wo einst Hitlers Reichskanzlei stand. Ein riesiger Stahlträger ragt in den Himmel und zeigt das Profil des entschlossenen Tyrannenmörders.
Nun hat Wolfgang Benz eine neue, umfassende Biografie Johann Georg Elsers vorgelegt, der in Deutschland lange vergessen und verklärt wurde. Benz hat schon als Studentische Hilfskraft am renommierten Münchener Institut für Zeitgeschichte daran mitgewirkt, Elser dem Vergessen zu entreißen und ihm die wissenschaftliche Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, die ihm gebührt. Später lehrte Wolfgang Benz Geschichte an der Technischen Universität Berlin und leitete hier das Institut für Antisemitismusforschung. Er kann als einer der größten Kenner des Nationalsozialismus gelten.
Ein vom christlichen Pietismus geprägter Schreinergeselle
Sein neues Buch über Johann Georg Elser ist weit mehr als nur eine detaillierte Biografie des Attentäters. Benz schildert gleichermaßen kenntnisreich die Kurz-Biografien der Weggefährten, der Ermittler und der NS-Schergen, die Elser brutal verhören ließen. Der Historiker schöpft dabei aus seinem schier unerschöpflichen Wissen über die Epoche. Nur manchmal führt ihn das ein wenig weit weg von seinem eigentlichen Gegenstand, etwa wenn Benz ein ganzes Kapitel den 40 anderen gescheiterten Attentaten auf Hitler widmet.
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Wie Elser kommt auch Benz von der Schwäbischen Alb. Er zeigt ein großes Interesse an der Landschaft und dem Milieu, dem der Attentäter entstammte. Elser wurde 1903 in Königsbronn geboren und wuchs unter schwierigen Bedingungen auf. Der Schreinergeselle war geprägt vom christlichen Pietismus und vom eigensinnigen Stolz seiner schwäbischen Heimat, der Benz eine große Prägekraft zuschreibt.
So attestiert er der Gegend eine lange Tradition des Widerstands gegen die Fürstengewalt, die von der Frühen Neuzeit bis hin zu den Protesten um Stuttgart 21 führt. Diese regionale Verortung des Widerstandsgeists mag vielleicht ein bisschen weit hergeholt erscheinen, aber es ist schon erstaunlich, dass sowohl Claus Schenk Graf von Stauffenberg als auch die Geschwister Scholl in derselben Gegend aufgewachsen sind.
Die genaue Schilderung von Elsers Herkunft ist vor allem deshalb wichtig, um zu erklären, was den einfachen Mann dazu bewog, den Tyrannenmord zu wagen. Schillers „Wilhelm Tell“ dürfte er ebenso wenig gekannt haben wie ethisch-philosophische Versuche, den Mord an einem Tyrannen zu rechtfertigen. Vielleicht zögerte Elser auch deshalb nicht so lange wie die humanistisch gebildeten Verschwörer vom 20. Juli 1944, sondern versuchte, Hitler bereits kurz nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zu ermorden. Ausschlaggebend war hierfür wohl Elsers „emotionaler Pazifismus“. Bereits bei der Einverleibung Österreichs und des Sudetenlandes 1938 ahnte Elser, dass es unweigerlich Krieg geben würde, und fasste den Entschluss zum Tyrannenmord.
Georg Elser bastelte die technisch perfekte Bombe
Ein Jahr lang plante Elser die Tat. Als Autodidakt bastelte er eine technisch perfekte Höllenmaschine. Den Zünder entwendete er aus einer Armaturenfabrik, den Sprengstoff aus einem Steinbruch. Wochenlang weilte er unerkannt im Münchener Bürgerbräukeller, um die Bombe exakt an jenem Pfeiler zu platzieren, vor dem Hitler jedes Jahr am 8. November eine Erinnerungsrede an seinen Putschversuch von 1923 hielt. Am 8. November 1939 herrschte jedoch schlechtes Wetter, was Hitler dazu zwang, den Zug anstelle des Flugzeugs zurück nach Berlin zu nehmen. Deshalb musste er früher als gewohnt aufbrechen und die Bombe explodierte erst 13 Minuten, nachdem Hitler und seine Kamarilla den Saal verlassen hatten.
Zu diesem Zeitpunkt war Elser bereits auf der Flucht in die Schweiz. An der Grenze fiel er jedoch zwei Zollbeamten auf. Schnell wurde klar, dass Elser für das Attentat im Bürgerbräukeller verantwortlich war. Unter Folter gestand er die Tat und seine Beweggründe. Doch Hitler und die SS wollten nicht daran glauben, dass Elser ganz allein für die Tat verantwortlich war. Ein einfacher „Volksgenosse“ als Einzeltäter passte nicht in ihr Weltbild. Also beschuldigten sie England, hinter dem Attentat zu stecken. Zwei gekidnappte Mitarbeiter des Secret Service sollten zusammen mit Elser in einem Schauprozess verurteilt werden. Hierfür wollte Hitler den „Endsieg“ abwarten, und so verbrachte Elser fast die gesamte Kriegszeit als „persönlicher Gefangener des Führers“ im KZ Sachsenhausen. Als die Kriegsniederlage unmittelbar bevorstand, wurde Elser nach Dachau überführt, wo auch ihn der „Nerobefehl“ ereilte. Auf persönlichen Befehl Hitlers wurde Elser am 9. April 1945 ermordet. Der Tyrann nahm den glücklosen Attentäter mit in den Tod.
Nach dem Krieg rankten sich eine Reihe von Mythen um Elser. Die NS-Propaganda wirkte vielfach weiter. Es dauerte mehrere Jahrzehnte, bis Elser zum Helden wurde. Maßgeblich hierfür waren Künstler wie Peter-Paul Zahl, Klaus Maria Brandauer und Rolf Hochhuth, die jedoch nicht selten ihre eigene Eitelkeit in der Figur des heldenhaften Attentäters spiegelten und es mit den historischen Details nicht so genau nahmen. Über diesen Verdacht ist Wolfgang Benz mit seiner ebenso fundierten wie sprachlich präzisen Elser-Biographie erhaben. Er hat ein bemerkenswertes Buch über einen bemerkenswerten Mann geschrieben.
Hanno Hochmuth ist Historiker am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam.