Hamburger Bahnhof

Auf einen Tango ins Museum: „Dreams Have No Titles“

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Mehrmals am Tag treten im Filmset von Ettore Scolas „Le Bal“ tanzende Paare auf.

Mehrmals am Tag treten im Filmset von Ettore Scolas „Le Bal“ tanzende Paare auf.

Foto: Reto Klar / FUNKE Foto Services

Die sehenswerte Sonderausstellung „Dreams Have No Titles“ von Zineb Sedira feiert den Film und befragt ihn nach dem echten Leben.

Im Jahr 1984 eröffnete der in vielen Hinsichten denkwürdige Film „Le Bal – Der Tanzpalast“ den Wettbewerb der 34. Internationalen Filmfestspiele von Berlin. Die Arbeit des italienischen Filmregisseurs und Drehbuchautors Ettore Scola kam ohne Dialog aus und verließ sich vollständig auf das Charisma seiner Darstellerinnen und Darsteller, die in einem halb unterirdisch gelegenen Tanzlokal in Paris agierten – und das in Rückblenden, quer durch das 20. Jahrhundert, von der Gegenwart zurück in die politisch umkämpften 1930er-Jahre, von dort in die Zeit des Zweiten Weltkriegs und der deutschen Okkupation, in die Nachkriegsära und die Phase der Studentenproteste. Eine anrührende, so hochpolitische wie poetische Chronik hatte Scola da geschaffen, für die er am Ende der Berlinale dann auch verdientermaßen den Silbernen Bären erhielt.

Hamburger Bahnhof: Wer will, darf selbst ein bisschen tanzen

Wer nun die Ausstellung „Dreams Have No Titles“ der französisch-algerischen Künstlerin Zineb Sedira betritt, läuft direkt auf den zu neuem Leben erweckten Ballsaal aus dem Film zu – mitsamt Aschenbechern und halbgefüllten Weingläsern, vor allem aber, zu bestimmten Stunden jedenfalls, in Gegenwart elegant tangotanzender Paare. Man darf sich hier eingeladen fühlen, selbst ein paar Schritte auf dem Parkett zu wagen oder sich wenigstens an einen der Tische zu setzen.

Zineb Sediras herzergreifende Installation wurde bereits 2022 im französischen Pavillon der 59. Biennale von Venedig gezeigt und vielfach gefeiert. Sam Bardaouil und Till Fellrath, die Leiter des Hamburger Bahnhofs – Nationalgalerie der Gegenwart, gehörten damals zum kuratorischen Team und haben sie nun, passend zur gerade laufenden Berlinale und als erste von ihnen verantwortete Ausstellung im Hamburger Bahnhof, nach Berlin geholt.

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Sedira, die im Pariser Vorort Gennevilliers aufwuchs, hat von ihrem Vater die Liebe zum Kino geerbt und erlernt, und so ist „Dreams Have No Titles“ eine Hommage an die Macht der Bilder, an prägende Kunsterlebnisse, aber auch an die Kraft von Freundschaft und Familie. „Le Bal“ ist dabei nicht das einzige Filmset, das wiederkehrt und, in die Realität eines Museums gestellt, Fragen nach den Bindungskräften zwischen Kunst und Leben aufwirft.

Zineb Sedira: Filmkulissen von luchino Visconti bis Orson Welles

Teile der Kulissen von Luchino Viscontis Albert-Camus-Adaption „Der Fremde“ (1967) finden sich ebenso wie von Gillo Pontecorvos „Schlacht um Algier“ (1966) oder das Filmdosenregal und der Schneidetisch aus Orson Welles’ „F wie Fälschung“ (1973) – aber eben auch eine sehr private Lebensumgebung der Künstlerin, nämlich eine exakte Reproduktion ihres Londoner Wohnzimmers, wo der Fernseher Gespräche mit befreundeten Künstlerinnen und Künstlern zeigt. Ganz hinten, in einem von ihrer Kindheit inspirierten Kinosaal, treten Menschen aus dem Umfeld der Künstlerin auf und verkörpern Figuren aus den Filmen, die wichtig für sie waren.

Das ist in seiner charmanten und lebensbejahenden Verschränkung von Persönlichem und Politischem, in seiner Freude am Medium Film und am Leben, auch in seiner Offenheit der Bezüge ein hinreißendes Erlebnis. Fellrath und Bardaouil, die zuletzt auch die Schau „Beirut and the Golden Sixties: A Manifesto of Fragility“ im Gropius Bau kuratierten, dürfen sich über einen gelungenen Einstand freuen.

Hamburger Bahnhof, Invalidenstr. 50/51, Mitte. Di., Mi., Fr., 10-18 Uhr, Do. 10-20 Uhr, Sbd./So. 11-18 Uhr.