Berlinale

Willem Dafoe: „Ich komme gut mit mir alleine klar“

| Lesedauer: 6 Minuten
Anna Wollner
„Freiwillig trage ich den Schnauzer nicht, das können Sie mir glauben“: Filmstar Willem Dafoe auf der Berlinale.

„Freiwillig trage ich den Schnauzer nicht, das können Sie mir glauben“: Filmstar Willem Dafoe auf der Berlinale.

Foto: Reto Klar / Funke Foto Service

Fast schon ein Dauergast: Willem Dafoe stellt auf der Berlinale den Film „Inside“ vor. Ein Gespräch über Kunst und Einsamkeit

Schauspielerisch ist es eine Herausforderung. Im Film „Inside“, der im „Panorama“ Premiere hat, spielt Willem Dafoe einen Kunstdieb, der durch den Ausfall der Alarmanlage in einem mit Kunst vollgestellten Luxusappartement gefangen ist. Über Wochen und Monate. Das Penthouse wird zu einem goldenen Käfig, in dem der Meisterdieb überleben muss. Zum Interview im Hotel Mandala ist Willem Dafoe bestens gelaunt.

Herr Dafoe, willkommen zurück! Sie sind mittlerweile Stammgast auf der Berlinale.

William Dafoe: Stimmt, 2018 habe ich den Ehrenbären bekommen, vor drei Jahren war ich mit Abel Ferraras „Siberia“ hier. Ich glaube sogar, auch immer im gleichen Hotel. Aber ich sah jedes Mal anders aus. Letztes Mal trug ich einen Vollbart, jetzt habe ich diesen unsäglichen Schnauzer im Gesicht. Den brauche ich für meine aktuellen Dreharbeiten. Freiwillig trage ich den nicht, das können Sie mir glauben.

Was bedeutet Ihnen die Berlinale?

Filmfestivals sind sehr wichtig, sie sind ja wie eine Messe für Filmliebhaber. Wen ich hier schon alles kennengelernt habe! Gestern auf einer Party kam mir ein Typ bekannt vor. Irgendwann fiel mir ein: Wir haben uns über die Jahre immer wieder gesehen. Ein Fotograf. Er sagte, er hätte mich mit 18 das erste Mal fotografiert. Heute ist er 57. Dazwischen liegt ein ganzes Leben. So was ist doch toll.

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Was hat Sie an der Rolle gereizt? Die Selbsterkenntnis, das Motiv des Eingesperrtseins?

So weit habe ich am Anfang gar nicht gedacht. Ich fand einfach, dass das Setting spannend klingt. Regisseur Vasilis Katsoupis ging über zehn Jahre mit der Idee schwanger. Viele ziehen eine Parallele zu Corona, aber die Pandemie hat ausnahmsweise nichts mit dem Film zu tun.

Die Idee, allein in einen Raum gesperrt zu sein, nur Sie und die Kunst – ist das für Sie ein Traum oder Albtraum?

Beides. Als Schauspieler ist das ein großer Spaß, ich konnte schon bei der Drehbuchentwicklung mitwirken. Wir haben chronologisch gedreht, das ist immer aufregend, denn ich kann voll und ganz im Moment sein. Bei normalen Dreharbeiten muss ich oft zwischen Handlungs- und Zeitebenen wechseln und mir vorstellen, was vorher gerade passiert sein könnte. Das lenkt manchmal vom eigentlichen Moment ab. Hier war alles aufeinander aufgebaut, ich war in meinem eigene Rhythmus und bin da fast durchgeflogen.

Aber ganz allein, als Schauspieler auf sich allein gestellt, hat Ihnen da nicht die Reibung mit den Kollegen gefehlt?

Die Kunst war mein Spielpartner. Und ich hatte mich selbst. Lachen Sie bitte nicht, aber ich habe irgendwann angefangen, mit mir selbst zu reden.

Also doch eine einsame Erfahrung?

Ach nein, weil es auf der Schauspielebene nur mich gab, war die Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen eine ganz andere. Normalerweise habe ich nur mit dem Regisseur, dem Drehbuchautor und dem Kameramann zu tun, nicht mit der Ausstattung. Das war hier ganz anders. Ich male auf Dinge, wir mussten gemeinsam entscheiden, wie ich die Kunst zerstöre. Es waren also genug Leute um mich rum.

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Ihre Figur entwickelt sich im Film selbst zum Künstler, sie fängt an, die Kunst zu bemalen, baut einen Turm aus Gegenständen, der aussieht wie eine eigene Installation.

Das ist die Schönheit daran, wie die Dinge hier miteinander verschmelzen. Der Turm ist für ihn erst mal nur ein praktisches Utensil, ein Gegenstand, der ihm das Leben retten könnte. Er wird erst mit der Zeit zur Kunst. Und meine Figur ist Teil dieser Performance

Wie gut sind Sie darin, Einsamkeit auszuhalten?

Oh, darin bin ich geübt. Ich arbeite sehr viel, muss oft meine Familie alleine lassen und bin Wochen oder Monate in Hotels. Ich komme sehr gut mit mir alleine klar.

Wir wissen nicht viel über Ihre Figur. Haben Sie in der Vorbereitung eine Biografie für die Figur erschaffen?

Halten Sie mich bitte nicht für faul, aber ich mache immer nur das, was ich machen muss. Hintergrundgeschichten für Figuren halte ich für überbewertet. Sie schränken mich in meinem Spiel ein. Ich will meine Figur durch die Handlung vor der Kamera kennenlernen und nicht durch ausgedachte Anekdoten.

Wie meinen Sie das?

Ich versuche flexibel und offen zu sein. Das ist viel hilfreicher, als einen Rucksack an Hintergrund zu tragen. Ich will ja, dass die Zuschauer mir in dem Moment glauben und nicht irgendwas Durchkalkuliertes, Erfundenes wahrnehmen. Ich mag es nicht, wenn Kunst – egal ob Filme, Musik, Bücher oder bildende Kunst – mir sagen will, was ich zu fühlen habe. Ich mag Kunst, an der die Zuschauer wirklich teilhaben. Ich bin kein Alleinunterhalter.

Sind Sie Kunstliebhaber?

Ich gehe gerne in Ausstellungen, vielleicht sogar lieber als ins Kino oder auf Konzerte. Ich mag gerne Kunst, die sich über einen Prozess definiert.

Haben Sie Lust, selbst mal Regie zu führen?

Um Gottes willen, nein! Ich habe null Interesse daran. Klar gibt es manchmal Stoffe, die mich so interessieren, dass ich was damit machen will. Aber ich habe über die Jahre gelernt, dass ich besser darin bin, die Träume anderer zu verwirklichen als meine eigenen. Ich bin und bleibe Schauspieler.

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