Erst scheint es, als wolle Steven Spielberg den Goldenen Ehrenbären gar nicht haben. Denn ein Preis für sein Lebenswerk zwinge ihn dazu, etwas zu tun, was er nicht gerne macht: über sich selbst reflektieren. Aber dass er am Dienstagnachmittag nun hier im Hyatt Hotel, auf der Berlinale-Pressekonferenz sitzt, zeige ihm, er hat wohl etwas richtig gemacht.
Und dann kommt eine richtige Liebeserklärung: „In Berlin zu sein, auf der Berlinale, einem der schönsten Filmfestivals, das ist wirklich ein Höhepunkt in meinem Leben.“ Das hört die Festivalleitung natürlich gern. Wo der große Meister doch erst zwei Mal auf der Berlinale war. Mit diesem Ehrenpreisträger ist ihnen ein wirklicher Coup gelungen. Und auch die Berliner hören das gern.
Steven Spielberg landet wie E.T. kurz auf dem Planeten Berlinale - und verzaubert alle
Wir haben auf dieser Berlinale, auch in Vorbereitung auf den Gast, zu Beginn der dem Ehrengast gewidmeten Film-Hommage „E.T.“ gesehen. Und irgendwie scheint auch Spielberg auf der Berlinale ein E.T., ein Fremder, ein Alien, der zwar auf dem Paralleluniversum Berlin landet, sich aber eher versteckt, leider, leider keine Interviews gibt, und dann bald wieder mit den Seinen davondüst. Nur hat er bei seinem Abschied nicht nur einen Topf mit Blumen in der Hand wie sein legendärer Außerirdischer, sondern einen Goldbären.
Und doch gelingt auch Spielberg, was seinem E.T. in dieser kurzen Zeit gelang. Er hat alle verzaubert. Keine Pressekonferenz war je so voll auf dieser Berlinale, nicht bei Helen Mirren und auch nicht bei Sean Penn. Und dann, als Rainer Rother, der Leiter der Retrospektive, die Pressekonferenz schon beenden will, verlängert er gnädig um weitere Minuten, damit noch mehr Fragen gestellt werden können. Aber natürlich können sie nicht alle beantwortet werden.
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Müssen sie aber auch gar nicht. Denn Spielberg hat auch seinen neuen Film mitgebracht, der überall in der Welt schon gestartet ist, aber noch nicht in Deutschland. Wo er am Abend im Berlinale-Palast, nach der glanzvollen Ehrenbärenvergabe, als Deutschlandpremiere läuft. Und „Die Fabelmans“ erzählt ja kaum verschlüsselt die frühe Geschichte von Steven Spielberg, wie er früh begann, Filme zu drehen, den Traum vom Kino träumte. Und dann die Menschen im Kino zum Träumen brachte.
Diesen persönlichsten all seiner vielen Filme hat man – Corona zu verdanken. „Mitten in der Pandemie“, gesteht er, „hatte ich plötzlich Zeit. Ich saß bei mir zu Hause, konnte nicht raus. Und da habe ich überlegt, wenn es den einen Film gibt, den ich noch nicht gemacht habe, den ich jetzt machen könnte - welcher wäre das?“
Der Mann, dem wir „E.T.“ zu verdanken haben - ist François Truffaut
Und seine Mutter – die übrigens, wie er feststellt, auf den Tag genau sechs Jahre vor dieser Goldbärenehrung gestorben ist – hat ihn immer wieder dazu gedrängt, sie habe ihm doch genug Stoff geliefert, warum mache er nicht einen Film darüber? Zu Beginn hat ihm die Pandemie Angst gemacht, er dachte über die eigene Sterblichkeit nach. „Die Angst vor der Pandemie gab mir den Mut, diesen Film zu machen.“ Und dieser Film erzählt eigentlich darüber, wie er wurde, was er ist. Alle Fragen zu seinem Werk beantworten sich damit eigentlich schon.
Und das ist auch gut so. Weil viele Journalisten auf der Berlinale gar keine Frage haben. Sie fangen vielmehr an, davon zu erzählen, wie sie erstmals einen Spielberg -Film gesehen haben. Ein Berliner Kollege erzählt sogar, wie seine Eltern damals „E.T.“ gucken gingen und er noch zu jung war, ihnen aber heimlich im Schlafanzug folgte. Da muss auch Spielberg lachen. Ein anderer erzählt, wie sehr Spielbergs Filme ihn beeinflusst hätten.
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Aber da kontert der große Regisseur, dass auch er von anderen beeinflusst worden sei, von John Ford, von dem Franzosen François Truffaut, den er auch als Schauspieler in „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ besetzt hat. So nebenbei erfährt man auch, dass man eben diesem Truffaut „E.T.“ zu verdanken hat. Weil der Spielberg mit seinem starken Akzent geraten hat: „Sie müssen etwas mit Kiiiids, mit Kiiiindern machen.“ Ihm muss man ewig dankbar sein. Denn welches Kind ist nicht mit „E.T.“ aufgewachsen, und wer wird nicht wieder zum Kind, wenn er den Film sieht?
Natürlich kommen bei so einer Pressekonferenz zum Lebenswerk auch Fragen, wo man über sich selbst reflektieren muss. Die klassische, welcher seiner Filme ihm denn selbst der liebste ist. Diese Frage kann er nicht beantworten. Er umgeht das charmant. „Das ist ein Klischee, ich weiß, es gibt auch keine Schlagzeile“, räumt er ein: „Aber meine Filme sind wie meine Kinder. Da habe ich keine Favoriten.“ Der Spruch löst spontanen Applaus aus. Das ist doch schlagzeilenträchtig.
„Die Fabelmans“ war sein emotionalster Film - der auch viele Traumata anspricht
Er könne aber sagen, welcher Film der schwierigste, der herausforderndste, der anstrengendste war. „Das war ,Der weiße Hai’.“ Der Film, bei dem alles von einer Hai-Attrappe abhing, die anfangs nicht funktionierte. Und er könne sagen, welcher der ermotionalste Film für ihn war. Das war lange „Schindlers Liste“. Das Holocaust-Drama, nach dessen Dreh er als ein Anderer zurückkehrte und die Shoa Foundation gründete. Jetzt aber sei der emotionalste Film „Die Fabelmans“. Weil er hier seine eigene Geschichte erzählt, der zwar sehr heiter erzählt wird, aber auch viele traumatisierende Dinge anspricht, weil seine Familie ja zerbrochen ist. „Als wir diese Szenen drehten, war das wirklich eine intensive, emotionale Erfahrung für mich.“
Der Film endet damit, dass das junge Alter Ego Spielberg ins Büro des großen Regie-Titanen John Ford gelangt, dort aber von ihm rausgeschmissen wird. Was er selbst denn wohl einem jungen Filmemacher raten würde, der zu ihm ins Büro käme? „Nun, ich könnte natürlich auch sagen: Hauen Sie ab! Verpissen Sie sich aus meinem Büro. Wie es John Ford tat. Könnte ich aber nicht. Das ist wohl der große Unterschied zwischen Ford und mir. Ford war eine Naturgewalt. Viele Jahre danach hatte ich noch Angst vor dem, was er gesagt hat. Aber ich war 16 und noch an der Highschool, und er gab mir einen Rat, der wirklich ein Geschenk war. Auch wenn es ziemlich böse rüberkam. Aber dafür werde ich immer dankbar sein.“
Am Abend dann Standing Ovations, als er den Berlinale Palast betritt. Spielberg verteilt, sichtlich gerührt, Kusshände, schüttelt überwältigt den Kopf, greift sich ans Herz, hüpft vor Freude. Und ja, dann muss er weinen und reibt sich die Nase. Er wird begrüßt mit der berühmten Fanfare aus seinem Klassiker „Unheimliche Begegnung der dritten Art“.
Die Laudatio hält, völlig überraschend, kein Filmschaffender, kein Weggefährte, sondern - Bono von der Rockband U2. Und er tut das großartig. Nennt Spielberg eine "Vision". Und dann kommt Spielberg selbst auf die Bühne, nimmt den Bären, umarmt Bono. Und bedankt sich gerührt. Bei Berlin. Bei dem Festival. Und seiner Frau, die mit ihm gekommen ist: "meiner Kate". Dann schaut er skeptisch auf seine Trophäe und meint: „Bären haben mir immer mehr Angst gemacht als Haie.“
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