Sie ist sowas wie die Königin der Berlinale. Spätestens seit sie vor drei Jahren den Goldenen Ehrenbären für ihr Lebenswerk erhielt. Und dabei eine flammende Rede hielt. Nun ist Helen Mirren zurück in Berlin, um ihren neuen Film „Golda“ als Berlinale Special vorzustellen. In dieser Sektion muss man vorsichtig sein, da werden gern auch mittelmäßige Filme gezeigt, Hauptsache ein Star spielt mit, der den roten Teppich bereichert. Auch Frau Mirren war hier schon mal Gast mit „Die Frau in Gold“, ein Film, der nicht überzeugen konnte. Doch großes Aufatmen: Ganz anders nun dieser Film, wo sie die israelische Ministerpräsidentin Golda Meir spielt.
Hinter ihrer Maske ist die Schauspielerin kaum zu erkennen. Man müsste das mal testen und den Film uneingeweihten Zuschauern vorspielen. Mal sehen, wie lange sie bräuchten, um auf die Oscarpreisträgerin zu kommen. Das Gesicht völlig verändert, die struppigen Haare, die markanten Augenbrauen, der gebeugte Gang, Wasser in den Beinen. Die nach ihr benannten Golda-Schuhe. Und immer eine Zigarette in der Hand, selbst bei ärztlichen Untersuchungen. Eine unglaubliche Anverwandlung.
Eine große, starke Rolle für diese große, starke Schauspielerin
Auch Anne Bancroft hat schon Golda Meir gespielt (im Theaterstück „Golda“ 1977), und Ingrid Bergman im TV-Film „Golda Meir“ (es war ihre letzte Rolle). Aber der neue „Golda“-Film ist kein Biopic, er erzählt nur die Tage des Jom-Kippur-Kriegs 1973, „das Vietnam Israels“, wie es Regisseur Guy Nattif nennt. Da sitzt Meir, als einzige Frau, unter lauter Männern und Militärs, die alle nicht weiterwissen nach dem Angriff der Syrer und der Ägypter.
Und sie, die doch keine Soldatin ist, wie sie immer wieder bekräftigt, muss diese Männer wie eine Mutter führen. Auch wenn sie längst schwer krank ist, was sie geheim hält und überspielt. Sie tröstet zudem eine Sekretärin, deren Sohn an der Fronst ist. Und wird sich nach den blutigen Verlusten für jeden einzelnen Toten verantwortlich fühlen. Wie sie auch vor dem Agranat-Ausschuss aussagt, vor den sie Jahre später geladen wird und der die Rahmenhandlung für diesen Film gibt.
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Eine große, starke Rolle für diese große, starke Schauspielerin. Und eine tolle Rückkehr auf das Festival. Zur Pressekonferenz kommt Helen Mirren am Montagmittag wieder als einzige Frau unter lauter Männern, mit keckem Pferdeschwanz, wie ihn nur wenige 77-Jährige tragen, einem knallpinken Rolli, der nicht zu übersehen ist, und dem Berlinale-Anstecker in den ukrainischen Farben.
Die Schauspielerin schwärmt von Golda Meir. Es sei faszinierend gewesen, sich auf diese Person einzulassen, in sie hineinzudringen. Sie hat alles über diese Figur gelesen, hat auch viel Archivmaterial gesichtet. Bilder der echten Meir sind auch im Film oft zu sehen, was zu einem direkten Vergleich herausfordert. Das war wohl auch ein Ansporn für die Mirren. Sie hat auch ihre großen Schauspielkolleginnen in der Rolle studiert. „Ich bin dann aber einen anderen Weg gegangen.“
Was die Schauspielerin mit der Politikerin auch verbindet - ist die Liebe zur Küche
Wer den Film über den Angriffskrieg von damals sieht, muss unweigerlich an die Ukraine denken. Auch Golda Meir fleht bei den Amerikanern um Waffen wie heute ein Selenskyj. Und dann spielt die Ukraine auch eine zentrale Rolle im Film, weil Golda Meir dort geboren ist und russische Pogrome gegen Juden miterleben musste. Ein Statement zum aktuellen Krieg fällt nicht. Aber der Ansteck-Bär der Mirren – deren Großeltern Russen waren, die nach der Russischen Revolution nach England geflohen sind – ist ein deutliches Zeichen.
Die Meir zu spielen, forderte indes seinen Preis. Weil der Filmstar Gesichtsprothesen erhielt und jeden Tag stundenlang in der Maske sitzen musste. Es sei schon seltsam, wenn man sich tagsüber im Spiegel sehe und selber nicht erkenne. Aber das sei auch ein wichtiges Werkzeug, um in die Rolle zu finden. Sie hat jedenfalls viel daraus mitgenommen. Sie bewundert Golda Meir, liebt sie geradezu. Sie sei sehr mütterlich gewesen, hatte sehr viel Liebe. Und der Filmstar hat auch etwas mit ihr gemein: die Liebe zu allem, was mit Küche zu tun hat. „Ich suche im Internet dauernd nach neuen Küchenutensilien“, gibt Dame Mirren schmunzelnd zu.
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Schon öfter hat sie historische Figuren verkörpert, unvergessen ihre Elisabeth II. in „The Queen“, für die sie 2007 den Oscar gewann, aber auch ihre Elisabeth I., die sie unmittelbar davor spielte. Klar, dass sie da gefragt wird, ob die Rollen etwas gemein hätten. Nicht mit Elizabeth II. Aber mit Elizabeth I. Nicht weil Golda Meir majestätisch gewesen wäre. „Aber weil auch sie diese starke Hingabe hatte für ihr Land, für ihre Nation. Das war ihr Motor, ihre Triebkraft: die Überzeugung, dass es Israel, dass es einen Ort für Juden in der Welt geben müsse.“
Eine neue unnötige Diskussion: Darf nur eine Jüdin Golda Meir spielen?
An der Stelle hakt eine britische Journalistin nach. Über den Film ist ja eine Diskussion darüber entbrannt, ob eine Nichtjüdin Golda Meir spielen dürfe. Wie verhält sich der Star dazu? Doch da kommt ihr der israelische Regisseur zuvor: Und ob sie darüber gesprochen hätten! Bei ihm zuhause. „Ich hatte das Gefühl, hier haben wir ein Familienmitglied, hier ist meine Tante zu Besuch.“
Helen Mirren sei zwar keine Jüdin, hätte aber genau das, was es brauchte, um Golda zu porträtieren. Und gerade seien auch zwei Enkelkinder von Golda Meir in Berlin, „die haben den Film gesehen und sind begeistert, das Helen ihre Großmutter gespielt hat.“ Nattif versteht die Diskussion nicht. Das hieße ja auch, dass jüdische Schauspieler keine Nicht-Juden mehr spielen dürften.
Dann springt auch noch der Schauspieler Lior Ashkenazi bei mit einem Argument, dem nichts hinzuzufügen ist: „Wenn wir einen Jesus-Film drehen würden, wer würde dann Jesus spielen: ein Jude oder ein Nicht-Jude?“ An der Stelle bringt sich Helen Mirren dann aber doch noch charmant ein: „Also ich schon mal nicht.“
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