Am 16. Dezember wird am Deutschen Theater das neue Stück von Elfriede Jelinek uraufgeführt. „Angabe der Person“ ist ihr persönlichstes Werk – und könnte auch das letzte sein, denn die 76-Jährige überlegt ernsthaft, das Schreiben aufzugeben. Was diese Produktion natürlich noch spannender macht. Das Stück ist eine Reaktion auf eine traumatische Erfahrung mit dem deutschen Fiskus. In ihrem Zweitwohnsitz in München tauchte die Steuerfahndung auf, durchsuchte ihre Räumlichkeiten, beschlagnahmte Papiere und wertete selbst private E-Mails aus. Das Verfahren ist zwar längst eingestellt, der Schock saß aber tief. So schrieb sich die Nobelpreisträgerin diesen Text wütend von der Seele, schrieb von der Ungerechtigkeit, dass der deutsche Staat sie anklagt, obwohl Verwandte von ihr als Juden in der Nazizeit ein Opfer dieses Staates geworden sind. Es ist auch ein Drama des Geldes, denn sie reflektiert auch über die heutigen Kapitalströme und geißelt die globale Finanzwirtschaft. Und „Angabe der Person“ wird zu einer Art Lebensbilanz.
Regie führt Jossi Wieler, der seit fast 30 Jahren immer wieder Stücke von Jelinek inszeniert und ihr Vertrauen genießt. Neben Susanne Wolff und Lina Reusse spielt auch Fritzi Haberlandt mit. Für die Schauspielerin, die auf der Bühne ebenso erfolgreich ist wie im Film („Babylon Berlin“), erfüllt sich damit ein Traum: Sie wollte immer mal bei einem Jelinek-Stück dabei sein. Eine Jelinek-Inszenierung von Wieler war sogar eine ihrer ganz frühen Theatereindrücke, die ihren Berufswunsch befeuerte. Wir trafen sie im Deutschen Theater kurz vor der Probe.
Frau Haberlandt, man hat Sie in Berlin lange nicht mehr auf der Bühne gesehen. Wann sind Sie eigentlich das letzte Mal am Deutschen Theater aufgetreten?
Fritzi Haberlandt: Ich habe hier mit Corinna Harfouch „Herbstsonate“ gemacht, und mit Gotscheff „Geschichten aus dem Wiener Wald. Das ist aber ewig her. Das war auch ganz lustig, als ich jetzt wieder in die Garderobe ging. Da kommt man alle zehn Jahre hin und muss erst mal rekapitulieren, was da alles passiert ist.
Sie sind seit 2008 freischaffend. Gibt es noch ein Theater, an dem Sie sich daheim fühlen?
Ich habe vor kurzem nach langer Zeit wieder mal etwas am Thalia Theater in Hamburg gemacht. Das war wirklich wie Nachhausekommen. Das war damals einfach eine sehr intensive Zeit, und da gibt es so viele hinter der Bühne, die immer noch dort arbeiten. Das war sehr schön. In Hamburg habe ich ja viel und große Produktionen gespielt. Aber an zweiter Stelle kommt dann schon das Deutsche Theater. Weil ich da regelmäßig was gemacht habe und das auch schon als Kind kannte.
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Gehören Sie zu den Schauspielern, die so viel Theater gespielt haben, dass sie nur noch drehen wollen, oder zu denen, die immer auch diese andere Welt brauchen?
Das sind bei mir eher Phasen. Ich habe zuletzt vor allem gedreht. Nach der sehr intensiven Theaterphase brauchte ich da mal Abstand, musste mich erholen. Aber dann hat es mir auch gefehlt. Das Schöne am Beruf ist ja gerade, dass man so viel ausprobieren kann. So dass ich das alles wahrnehme.
Sie spielen nun in „Angabe der Person“ mit. Was genau haben wir uns da vorzustellen – ein Stück nach einer Steueranklage?
Das ist die Frage, die mir derzeit am häufigsten gestellt wird. Ich kann sie nicht wirklich beantworten, weil wir noch mitten in den Proben sind. Aber neben Bernd Moss sind da vor allem drei Spielerinnen: Linn Reusse, Susanne Wolff und ich. Wir alle haben einen sehr langen Monolog, und am Ende sprechen wir dann auch miteinander. Wir lernen viel Text, ich mache eigentlich den ganzen Tag nichts anderes. Aber der Text ist toll, es geht um sie, ihre Steueranklage und die große Ungerechtigkeit, dass der deutsche Staat sie anklagt, obwohl ihre Familie doch ein Opfer dieses Staates war. Was zu einem großen Wut-Monolog, einer echten Abrechnung führt, bei der man viel über sie persönlich erfährt. Es geht also nicht nur um Steuern.
Es gibt Gerüchte, dies solle der letzte Text von Frau Jelinek sein. Ist da was dran? Und macht das diese Arbeit noch bedeutsamer?
Das habe ich auch gehört. Das könnte schon sein. Sie ist ja auch schon etwas gesetzteren Alters. Und unser Regisseur hat ja näheren Kontakt zu ihr. Ich denke schon, dass es für sie vorstellbar ist, dem kein weiteres Stück mehr folgen zu lassen. Aber andererseits ist sie Autorin. Solange sie lebt und atmet, wird sie schreiben. Ob da immer ein Bühnentext herauskommt, wird man sehen. Aber leben ist für sie schreiben, und ich hoffe, dass sie noch lange lebt. Und dann werden wir bestimmt noch die eine oder andere Zeile lesen.
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Elfriede Jelinek spaltet wie nur wenige Autoren. Es gibt diejenigen, die sie kultisch verehren, und andere, die sie leidenschaftlich ablehnen. Sie gehören zur ersten Spezies?
Ich liebe ihre Texte. Ich habe noch nie ein Jelinek-Stück gespielt, das ist jetzt mein erstes Mal. Aber ich wollte das schon immer einmal machen. Das ist für Schauspieler einfach toll, mit dieser Textgewalt und auch der schieren Masse an Text umzugehen. Sie hat ja wirklich eine wunderbare Sprache. Mein allererstes Jelinek-Stück habe ich noch als Schülerin erlebt. Damals hat mich alles fasziniert, was mit Theater zu tun, und da sah ich am Hamburger Schauspielhaus „Wolken.Heim“. Meine erste Jelinek-Erfahrung. Eine legendäre Aufführung, ich habe sie gleich mehrmals gesehen. Da muss ich 16, 17 gewesen sein. Und wenn ich damals sicher noch nicht alles verstanden habe, war ich total begeistert: vom Geist, der Seele, der Form, die dafür gewählt wurde. Das hat Jossi Wieler inszeniert, der Mann, mit dem ich jetzt „Angabe der Person“ machen darf.
Wie ist es dann, mit Wieler zu proben, der seit fast 30 Jahren Stücke von Elfriede Jelinek inszeniert?
Es ist erst mal schön zu wissen, dass es da ein großes Vertrauen zwischen ihm und Frau Jelinek gibt. Man kennt sich, er hat viel Erfahrung mit ihren Texten. Da fühle ich mich gut aufgehoben und habe auch gleich großes Vertrauen. Manchmal liest er uns auch SMSe von ihr vor, und wir sind ganz euphorisch, von der „Göttin“ zu hören. (lächelt) Mit Jossi habe ich schon mal in Stuttgart gearbeitet, ein reizender, kluger, feiner Mensch, es ist immer eine Freude, mit ihm Zeit zu verbringen. Jetzt in dieser Konstellation bin ich sehr glücklich.
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Und wie ist das Zusammenspiel mit Susanne Wolff und Linn Reusse, wenn jeder erst mal einen großen Monolog bewältigen, man dann aber zueinander kommen muss?
Ganz toll, glücklicherweise. Wir sind innigst zueinander, freuen uns auf diesen Text, leiden aber auch gemeinsam, weil wir ihn bewältigen müssen. Wir halten da extrem zusammen, auch mit Bernd Moss, der uns immer den Rücken stärkt. Das war Jossi auch ganz wichtig, dass wir ein echtes Team werden, das sich das zusammen erarbeitet. Dafür hat er uns auch ausgewählt.
Wie lernt man solche Textkonvolute am besten? Manche Ihrer Kollegen machen das in der Kneipe, die brauchen Lärm um sich, um sich zu konzentrieren zu können.
Das wäre nix für mich! Aber ich lerne in jeder freien Minute Text, das ist pure Wiederholung. Immer, immer wieder. Auch unsere Souffleuse arbeitet da sehr intensiv mit, manchmal müssen auch die Hospitanten ran, weil alle drei Text lernen wollen. Irgendwann raucht der Kopf, da geht dann nichts mehr, das raubt einem auch den Schlaf. Man wird ja oft gefragt, wie das geht. Und das gehört eigentlich zum Job. Hier frage ich mich selber, wie das gehen soll. Aber irgendwann ist das „drin“. Und dann werde ich mich fragen, wie ich das je geschafft habe. Wenn ich das nächste Mal für einen Film Text lernen muss für einen Film, wird das so easy gehen nach diesem Wahnsinn. Aber genau das ist die Herausforderung. Aus dieser Produktion werde ich gestärkt hervorgehen.
Wie darf man sich das vorstellen, wenn man nach so einer Produktion wieder in eine Filmwelt wie „Babylon Berlin“ zurückkehrt, bei der Sie ja eine Dauerrolle haben?
Das ist immer wieder toll, in diese Welt zurückkehren zu dürfen. Es ist ein so tolles Projekt, da ist eine richtige Familie entstanden. Und da darfst du manchmal mit hunderten Komparsen in diesen Kostümen spielen. Ich bin da einfach nur glücklich. Da kann man auch erahnen, wie es damals gewesen sein muss. Ich habe ja auch so ein Faible für die 20er-Jahre.
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Wieso gerade für diese Zeit?
Keine Ahnung. Ich muss da schon mal gelebt haben. Denn schon als junges Mädchen habe ich Klamotten aus dieser Zeit getragen, habe sie auf Flohmärkten gesucht. Und Musik aus dieser Zeit gehört, Literatur dieser Zeit gelesen. Ich denke immer, das hat viel mit mir zu tun. Und wenn man in Berlin lebt, ist diese Zeit auch noch sehr greifbar. Ich fühle mich da immer so als alte Seele. Das ist natürlich sehr esoterisch. Und beweisen kann ich’s nicht.
Da es im Text um die Steuer geht, muss noch eine persönliche Frage sein: Steuererklärungen sind ja immer grässlich. Vor allem wohl für freischaffende Künstler wie Sie mit den komplizierten Einzelverträgen.
Deshalb bezahlt man auch viel Geld für einen Steuerberater, der einem das abnimmt! Wobei ich das ja unfassbar finde, dass es ein System gibt, in dem ich als doch mittelintelligente Person überhaupt nicht klarkomme, aber verpflichtet bin, dem nachzukommen. Ich zahle gerne Steuern. Aber es ist jedes Jahr aufs Neue eine Nervenanstrengung. Elfriede Jelinek würde sagen: Bürokratie, das können die Deutschen.