Deutsches Theater

Harfouch und Haberlandt können „Herbstsonate“ nicht retten

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Judith Luig

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Corinna Harfouch und Fritzi Haberlandt gemeinsam auf der Bühne? Was kann da schon schief gehen, wird man sich beim Deutschen Theater gedacht haben. Nach der Premiere weiß man: so einiges.

Die beiden Frauen, die da in langen schwarzen Negligés mitten im zerklüfteten Bühnenbild stehen, haben einiges mitgemacht miteinander – und wir mit ihnen. Es gab gewaltsame Umarmungen, Schreie, viele Vorwürfe und Tränen. Wir hörten Geschichten von Tod und Betrug, von erzwungenen Abtreibungen, erzwungener Liebe und sehr viel kaltem Hass.

„Ich hatte Angst vor deinen Erwartungen“, sagt die eine Frau zu dem Rücken der anderen in Richtung Zuschauerraum. Und das Publikum weiß nur zu gut, was das bedeutet. Nicht nur die beiden da auf der Bühne, auch die Zuschauer im Saal hatten mal Erwartungen an das Treffen dieser Gigantinnen. Und auch die wurden enttäuscht, wenn wohl auch nicht ganz so dramatisch wie in dem Stück „Herbstsonate“, das am Freitagabend im Deutschen Theater seine Berliner Premiere feierte.

Ingrid Bergmanns letzte Rolle und eine ihrer größten

Im Vorfeld hatte alles auf einen Erfolg hingedeutet. Die Koproduktion mit dem Schauspiel Stuttgart und seinem neuen Intendanten Armin Petras versprach alles, was ein guter Theaterabend hergeben kann. Grundlage des Bühnenstücks ist Ingmar Bergmanns gleichnamiger Film aus dem Jahr 1978. Ingrid Bergmanns letzte Rolle und eine ihrer größten. An ihrer Seite Liv Ullmann, in der Rolle der Eva. Der Regisseur Jan Bosse hatte sich des Stückes angenommen, wie 2013 bereits dem Bergmann Film „Szenen einer Ehe“. Und er hat Corinna Harfouch und Fritzi Haberlandt für das Stück gewonnen. Bosse, Harfouch, Haberlandt – was kann da schiefgehen?

Worum es geht, wird in den ersten Minuten klar. Charlotte (Corinna Harfouch), eine Pianistin auf permanenter Welttournee, besucht Eva (Fritzi Haberlandt), die mit ihrem Mann, einem Pfarrer, irgendwo im Nirgendwo eine kleine Pfarrgemeinde führt. Sieben Jahre haben sich die beiden nicht gesehen, aber schon der erste Kontakt verunglückt so deutlich, dass es eigentlich nicht mehr vieler Erklärungen bedarf. Eva verirrt sich bereits bei der Begrüßung derart im fragmentarischen Bühnenbild von Moritz Müller, dass sie gar nicht erst vorstoßen kann zu Charlotte. Als sie dann endlich einander gegenüberstehen, wissen sie nicht, wie es weitergehen soll. Schließlich bittet die eine um eine Umarmung und die andere gehorcht, zunächst noch zögerlich. Eine Sekunde lang wird es überschwänglich, dann erstarren beide wieder. Dieser Moment des einander Suchens und sich doch wieder Verpassens wird im Laufe dieses Abends immer wieder wiederholt werden, und immer wieder wird er scheitern.

Ihr Drama ist, dass sie Mutter und Tochter sind

Hier sind zwei Frauen, die komplett unterschiedliche Leben führen und kein Verständnis füreinander aufbringen können. Ihr Drama ist, dass sie Mutter und Tochter sind. Und dass beide deswegen Erwartungen hatten, an sich selbst und an die andere, die sie nicht erfüllen konnten. In einer schlaflosen Nacht treffen sie zusammen, um einander zu konfrontieren.„Ich sah, dass du mich liebtest“, sagt Charlotte zu der steif vor ihr sitzenden Tochter. Sie schüttelt sich, sie windet sich, sie stößt es hervor: „Aber ich konnte dich nicht lieben. Ich wollte nicht deine Mutter sein.“

Es ist ein gespenstisches Szenario, das Bosse hier bietet. Das Haus auf der Bühne ist nur fragmentarisch, zusammengestellt aus Containern, die sich trotz Fenstern und Gardinen und Kerzenleuchter und jeder Menge Tapete zu keinem Zuhause fügen wollen. „Ich sehne mich immer nach Zuhause“, sagt Charlotte fast am Ende. „aber wenn ich zu Hause bin, dann merke ich, dass es etwas anderes ist, wonach ich mich sehne.“ Und auch die Tochter lebt in einem Traumbild, das sie schon seit ihrer Kindheit mit sich herumschleppt. „Ich bin in dein Zimmer geschlichen, um zu sehen, ob es dich überhaupt gibt.“ Sie macht die Mutter verantwortlich für ihr Leben. „Die Schäden der Mutter erbt die Tochter, für die Enttäuschungen der Mutter kommt die Tochter auf, das Unglück der Mutter muss das Unglück der Tochter werden.“

Immer neue Geister, immer neue Vorwürfe

Allein dieser Konflikt hätte gereicht für ein Drama. Man hätte in die Tiefe herabsteigen können dieser Geschichte und ihrer Figuren. Warum ist es für die eine so schwer, Mutter zu sein? Warum kann sich die andere, doch längt eine erwachsene Frau, nicht daraus lösen, eine Tochter zu sein, die die Mutter gar nicht haben will? Was haben sie sich denn nun erwartet von diesem späten Treffen?

Aber diese Tiefe lässt die Geschichte nicht zu. In ständigen Rückblenden wird der alte Konflikt zwar ausgeleuchtet, aber dabei werden immer neue Geister beschworen, neue Vorwürfe erhoben. Die Familienaufstellung mit all ihren Erklärungen trägt wenig dazu bei, das zu erhellen, was aus diesen Frauen geworden ist. Irgendwann wirkt es nur noch überladen. Man fragt sich, ob sie selbst überhaupt Interesse daran haben, irgendwas zu klären.

In den 70er-Jahren, als Mütter, die Karriere machen wollten, tatsächlich noch zu sozialen Dramen führten, hätte man vielleicht besser verstanden, was der Kern dieser Hassliebe ist. Heute kann man nicht ganz umhin, das alles sehr historisch zu finden. Ein Reenactment. Am Ende bemitleiden beide Frauen die andere um ihr verpfuschtes Leben, der Schlussapplaus ist lauwarm. Beide Schauspielerinnen spielen großartig, aber sie spielen nebeneinander und nicht miteinander. Langweilig wird es nicht, doch so richtig lebendig auch nicht. Die „Herbstsonate“ bleibt ein Geisterstück, das aus einer Kiste hervorgezaubert wurde.

Herbstsonate, wieder am 2. und 3. Februar, 19.30 Uhr im Deutschen Theater, Schumannstrasse 13 a