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Elfriede Jelinek: Erstmals seit Jahren vor der Kamera

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Thomas Abeltshauser
Neben der heutigen Jelinek werden auch immer wieder frühere Interviews gezeigt und zu einer assoziativen Collage verbunden.

Neben der heutigen Jelinek werden auch immer wieder frühere Interviews gezeigt und zu einer assoziativen Collage verbunden.

Foto: Farbfilm

„Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen“ ist ein vielschichtiges Porträt der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin.

„Das Ich ist nicht Herr im eigenen Haus, sondern höchstens der Hausmeister, der die Böden des Bodenlosen aufwischt“, kritisiert die österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek den Anspruch auf Authentizität. Die Berliner Regisseurin Claudia Müller setzt ihn als schillernden Kommentar an den Beginn ihres Dokumentarfilms „Elfriede Jelinek – Die Sprache von der Leine lassen“ stehen, mit dem sie sich ebenso reflektiert wie vielschichtig der Nobelpreisträgerin und ihrem Werk nähert.

Mehr noch als die Autorin selbst stehen dabei deren Texte im Zentrum, zahlreiche Passagen aus Werken wie „Die Kinder der Toten“ und der später von Haneke adaptierte Roman „Die Klavierspielerin“. Gelesen werden sie aus dem Off von Schauspielerinnen wie Maren Kroymann, Sandra Hüller und Sophie Rois.

„Elfriede Jelinek“: Die Filmemacherin kann aus dem Vollen schöpfen

Claudia Müller, die bisher für diverse Fernsehsender sehr kundig Künstlerinnen wie Jenni Holzer und Valie Export porträtierte, gelingt in ihrem ersten Kinodokumentarfilm so ein ebenso angeregtes wie anregendes Porträt Elfriede Jelineks. Dabei greift sie größtenteils auf Archivmaterial zurück, montiert Interviews aus mehreren Dekaden, 8mm-Aufnahmen, TV-Sendungen und Bühnenausschnitte mit trügerisch friedlichen Landschaftsbildern zu einer assoziativen und vielschichtigen Collage, die sich atmosphärisch mit den Texten verbindet.

Dabei kann Müller aus dem Vollen schöpfen, über Jahre hat Jelinek bereitwillig Auskunft gegeben über ihr Schaffen, bis sich die Autorin nach der Verleihung des Nobelpreises 2004 ganz aus der Öffentlichkeit zurückzog, auch aufgrund einer Angststörung.

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Der Trailer zum Dokumentarfilm: „Elfriede Jelinek“

Der Film setzt die 1946 geborene Schriftstellerin in Beziehung mit der Geschichte und Region, beleuchtet das schwierige Verhältnis zwischen Jelinek und ihrer österreichischen Heimat, deren nicht aufgearbeitete Nazivergangenheit sie immer wieder kritisiert. Wie in dem legendär gewordenen Theaterstück „Burgtheater“ und dafür von vielen Landsleuten als „Nestbeschmutzerin“ angefeindet wurde.

Anhand zentraler Momente in Jelineks Leben, von der schwierigen Kindheit mit einer fordernden und überforderten Mutter, ihren katholischen und jüdischen Wurzeln, dem frühen Drang zum Schreiben und der Entwicklung zur literarischen Stimme, entspannt sich das Bild einer kritischen Künstlerin, die wortmächtig und oft sarkastisch nach Wahrheiten jenseits biographischer Spuren fahndet und in ihrer Auseinandersetzung mit Macht- und Geschlechterverhältnissen in der Gesellschaft permanent aneckt.

Erstmals seit Jaharen war Jelinek bereit, wieder vor die Kamera zu treten

„Die Sprache von der Leine lassen“ ist eine wunderbare Würdigung, die vor allem auch Lust auf das (Wieder-)Lesen macht. Hochproduktiv ist Jelinek noch immer: in wenigen Tagen erscheint mit „Angabe der Person“ eine Art „Lebensbilanz“, die erneut für Diskussionen sorgen dürfte. Am Ende des Porträtfilms passiert dann doch noch das Unerwartete.

Jelinek erklärt sich kurzentschlossen bereit, vor die Kamera zu treten. Zum ersten Mal seit Jahren. Claudia Müller macht daraus keine Sensation, sondern zeigt die Schriftstellerin aus wohlwollender Distanz, wie sie an ihrer Lieblingsbrücke im Münchener Englischen Garten steht. Elfriede Jelinek ist präsent, aber nach eigenen Regeln.

Dokumentarfilm D 2022 96 min., von Claudia Müller, mit Elfriede Jelinek