Klaus Lederer

Kultursenator gegen Umbenennung der Martin-Luther-Straße

| Lesedauer: 13 Minuten
Jens Anker und Volker Blech
Kultursenator Klaus Lederer im Karl-Liebknecht-Haus.

Kultursenator Klaus Lederer im Karl-Liebknecht-Haus.

Foto: Reto Klar / FUNKE Foto Services

Kultursenator Klaus Lederer spricht über die Umbenennung von Berliner Straßennamen und die Erinnerungskultur.

Klaus Lederer hat seine zweite Amtszeit als Kultursenator begonnen. Sie wird von der Pandemie und den Folgen bestimmt sein. Darüber hinaus gibt es im Berliner Senat und im Kulturleben eine Reihe von Themen, die gerade kontrovers diskutiert werden.

Herr Lederer, Sie sind der einzige Senator, der sein Amt behalten hat. Andreas Geisel ist auch noch vertreten, der hat aber sein Ressort gewechselt. Wie machen sich die neuen Kolleginnen und Kollegen so?

Klaus Lederer: Ich habe ein gutes Gefühl. Dadurch, dass der Senat fast komplett neu besetzt ist, ist da eine Aufbruchsstimmung zu spüren und manche Routinen der letzten fünf Jahre werden auf den Prüfstand gestellt. Es kann für die Berlinerinnen und Berliner viel Positives herauskommen. Unsere Senatsklausur war sehr konstruktiv und wir haben ein ambitioniertes 100-Tage-Programm mit 40 Punkten aufgelegt.

Die Linke hat das Ressort Justiz gegen Stadtentwicklung getauscht. Wie kam es dazu?

Das ist Ausdruck eines veränderten Wahlergebnisses. Wir haben in Berlin unser Ergebnis entgegen dem Bundestrend fast gehalten, während die Grünen stärker geworden sind und mit der SPD fast gleichauf liegen. Das hat sich in der Ressortverteilung ausgedrückt.

Ist das ein Bedeutungsverlust für die Linke?

Wir haben mit Stadtentwicklung ein wichtiges Gestaltungsressort abgeben müssen. Mit Blick auf den Mieterschutz, das bedarfsgerechte, soziale Bauen und gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung werden wir aber kräftig mitgestalten. Und: Wir haben mit Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung auch ein wichtiges Themenfeld, um Akzente zu setzen. Lena Kreck, Katja Kipping und ich werden die Senatspolitik mit Sicherheit progressiv beeinflussen.

Wie glücklich sind Sie mit dem Umgang mit dem Enteignungsvolksentscheid. Das ist ja für die Linke ein zentrales Thema?

Das ist richtig. Die Frage, ob die Herausforderungen der Gegenwart nicht eine andere öffentliche Regulierung privatwirtschaftlicher Bereiche erfordert, ist aus demokratisch-sozialistischer Sicht richtig. Man muss sich aber vergegenwärtigen, dass Artikel 15 des Grundgesetzes…

…in dem die Vergesellschaftung vorkommt…

…noch nie zur Anwendung kam. Dass da verfassungsrechtliche und wohnungswirtschaftliche Fragen noch mal intensiver ausgelotet werden müssen, ist klar. Das kann man nicht so eins-fix-drei beschließen. Nach den Erfahrungen mit dem Mietendeckel ist es besonders wichtig, sich gründlich mit den Rechtsfragen einer Vergesellschaftung auseinanderzusetzen. Wir werden jetzt die Expertenkommission einsetzen. Davon verspreche ich mir, dass wir danach genauer wissen, was die Knackpunkte sind und wo besonders Obacht nötig ist.

Ist denn das Thema geeignet, die Koalition sprengen zu lassen?

Es gibt in der Koalition unterschiedliche Positionen. Die SPD lehnt es mehrheitlich ab, die Grünen sind ambivalenter, die Linke findet das richtig. Wir wissen um den Dissens. Die Verabredungen aus dem Koalitionsvertrag müssen jetzt umgesetzt werden. Wenn das geschieht, sind die Grundlagen der Koalition stabil.

Es gibt bei den Kulturinstitutionen eine Reihe von Positionen neu zu besetzen. Worauf müssen wir uns einstellen?

Dietmar Schwarz wird in den nächsten fünf Jahren die Deutsche Oper an eine Nachfolge übergeben. Es gab Entscheidungen, die jetzt erst wirksam werden. Ich freue mich auf Christian Spuck am Staatsballett, auf die Doppelspitze Susanne Moser und Philip Bröking an der Komischen Oper. Mit Joana Mallwitz wird eine hervorragende neue Chefdirigentin am Konzerthaus auf Christoph Eschenbach folgen, die für ein eindrucksvolles künstlerisches Profil des Hauses sorgen wird. Oder Iris Laufenberg, die ab 2023 ans Deutsche Theater kommt. Damit sind ein paar Weichen gestellt.

Sind Ihnen noch weitere Fälle von Mitarbeitern bekannt, die sich über Arbeitsweisen ihrer Chefs beschwert haben und wo Sie möglicherweise auch umplanen müssen?

Ich möchte dem Eindruck widersprechen, dass Kultureinrichtungen generell Orte des Machtmissbrauchs sind, wo Mitarbeiter durchgängig schikaniert werden. Ja, das Thema ist da und wir hatten auch solche Vorfälle. Machtmissbräuchliches Verhalten ist inakzeptabel. Deswegen ist mir sehr wichtig, weiter daran zu arbeiten, ein angstfreies Klima an den Kultureinrichtungen zu schaffen. Es gibt unterschiedliche Grade des Machtmissbrauchs und unterschiedliche Wege, damit umzugehen. Wir entwickeln mit FairStage, Initiativen und dem Bühnenverein Präventionsstrukturen, haben mit Themis eine wichtige Vertrauensstelle. Das wird uns weiter beschäftigen, so viel ist sicher.

Das Humboldt Forum hat sich in den vergangenen Jahren weniger als Präsentationsort denn als Ort der Kontroversen offenbart. Welche Diskussionen stehen hier noch an?

Ich gehöre ja zu denen, die anfänglich keine großen Fans des Projekts waren. Aber ich glaube, wir haben mit der Ausstellung „Berlin Global“ eine moderne, niedrigschwellige Ausstellung etabliert, die vom Publikum gut angenommen wird. Ich glaube auch, dass Generalintendant Harald Dorgerloh die richtigen Fragen stellt. Jetzt muss man mit den Beteiligten in einen Arbeitsmodus kommen, der auch funktioniert. Aber der alles entscheidende Punkt wird sein, ob das Humboldt Forum es schafft, aus den vergangenen Fehlern zu lernen und eine überzeugende Programmatik zu entwickeln. Das wird man nur schaffen, wenn man es in jeder Hinsicht mit der Aufarbeitung des Kolonialismus ernst meint. Wir in Berlin sind dazu bereit.

Sind Sie mit den Berliner Ausstellungsräumen zufrieden?

Ich finde die Berliner Ausstellung sehr überzeugend. Es gibt auch dort Räume, die immer wieder von Dritten neu gestaltet werden. Selbst eine Dauerausstellung ist nie von Dauer.

Im Dezember hat es eine Studie des Leipziger Politologen Felix Sassmannshausen zu den Berliner Straßennamen gegeben. Demnach weisen 250 Namen antisemitische Bezüge auf, darunter der Richard-Wagner-Platz und die Martin-Luther-Straße. Wie stehen Sie dazu?

Ich begrüße die Debatte. Wir haben ja bei der Diskussion um den Namensgeber der Beuth-Hochschule gesehen, dass dadurch Veränderungen angestoßen werden können. Die Hochschule hat sich am Ende dazu entschieden, auf den Namen eines durch und durch antisemitischen Menschen zu verzichten. Auch um andere Namen entzünden sich Kontroversen.

Wie ist Ihre Position?

Bei Figuren wie Heinrich von Treitschke wäre eine Umbenennung längst überfällig. Wir wissen, dass er ein antisemitischer Einpeitscher war. Auch dafür wurde er mit einem Straßennamen geehrt. Auch Richard Wagner steht zur Debatte. Da sagt Paul Spies, eine Umbenennung wäre richtig, der Intendant der Komischen Oper, Barrie Kosky, fragt dagegen, ob wir noch bei Sinnen wären.

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Und auf welcher Seite stehen Sie?

Die Debatte ist wichtig, sie ermöglicht historisches Lernen. Es gibt sehr unterschiedliche Möglichkeiten, Persönlichkeiten in ihrer Widersprüchlichkeit ernst zu nehmen. Das muss nicht unbedingt mit einer Umbenennung einhergehen, sondern kann auch mit einer Kontextualisierung geschehen. Ich bin kein Freund davon, die Geschichte aus der Stadt zu tilgen. Aber es gibt Namen, wo die Umbenennung die richtige Konsequenz ist.

Das heißt, bei Richard Wagner und Martin Luther sind Sie dagegen?

Ja, genauso ist es. Wir sollten uns fragen, welche dieser Menschen für uns in der Gegenwart noch eine Relevanz haben. Das ist bei Wagner mit Sicherheit sein kompositorisches Schaffen und bei Martin Luther seine Wirkung als einer der Väter der Reformation. Das kann man nicht einfach tilgen. Man kann aber die Tatsache nicht übersehen, dass es sich bei beiden auch um Antisemiten gehandelt hat, die dies auch öffentlich sehr nachdrücklich verfochten haben. Da muss nach Möglichkeiten gesucht werden, diese Widersprüchlichkeit sichtbar zu machen, sodass folgende Generationen davon lernen können.

Der deutschen Sprache gehen Wörter verloren. Im Staatsballett verzichtet man auf Tschaikowskys „Nussknacker“ wegen rassistischer Bilder. In Museen werden Bilder umbenannt. Was davon halten Sie für richtig, was ist überzogen?

Sprache hat sich immer verändert und wird sich weiter verändern. Deswegen verstehe ich die Aufregung nicht, als sei hier der Untergang des Abendlandes nahe. Dass diskriminierende, herabsetzende Worte nicht mehr verwendet werden, ist doch ein zivilisatorischer Fortschritt! Ich respektiere die Entscheidung, den „Nussknacker“ erst mal abzusetzen und über eine andere Form der Inszenierung nachzudenken, die von Teilen der Gesellschaft dann nicht mehr als diskriminierend empfunden wird.

Wir befinden uns noch immer in der Pandemie. Wo brennt es in der Kultur am meisten, wo rechnen Sie mit Verlusten?

Manche Menschen, die in der Pandemie die Prekarität ihrer Arbeit erkannt haben, die für sich entschieden haben, die Branche zu wechseln – die werden uns fehlen. Ich habe Signale aus unterschiedlichsten Teilen der Veranstaltungs- und Kulturbranche erhalten, dass das ein ernsthaftes Problem sein wird. Da geht es um Technikerinnen und Techniker, Beleuchterinnen und Beleuchter, also Leute, die den Laden am Laufen halten. Inwieweit auch Künstlerinnen und Künstler sich entschieden haben, aufzuhören, kann ich nicht beurteilen. Ich hoffe, es sind viele dabeigeblieben. Es stellt sich insgesamt ganz ernst die Frage, ob wir Prekarität nicht nur in der Kultur weiterhin so akzeptieren wollen, oder ob wir endlich eine vernünftige soziale Absicherung anstreben.

Wie stellen Sie sich das konkret vor?

Die Künstlersozialkasse sichert nicht alle und auch nicht gegen Erwerbslosigkeit. Vielen in der Veranstaltungsbranche hilft sie nicht. Die Diskussion über Mindestlohn und Mindestgage in der Kunstszene gibt es ja seit Jahren und ich meine, es braucht für prekäre Beschäftigung, auch Selbstständigkeit, auch Scheinselbstständigkeit, insgesamt andere Regulierungen und Absicherungen. Wir haben in der Pandemie gesehen, wie verletzlich manche Branchen sind. Wenn wir aus dem Feuerwehrmodus raus sind, muss diese Diskussion sehr ernsthaft und mit praktischen Konsequenzen geführt werden.

Es besteht die Sorge, dass es wegen der Pandemiefolgekosten zu Einsparungen kommen muss. Wo wird das der Fall sein?

Ich kann die Sorge verstehen. Auch Berlin hat die Corona-Lasten zu tragen. Aber wir haben uns entschieden, dass wir die Corona-Hilfen kreditfinanzieren und in den Folgejahren ausgleichen werden. Das erlaubt uns, auf dem Niveau der Vorjahre weiterzumachen und sogar in kleinem Ausmaß zusätzliche Ausgaben zu tätigen. Ich schließe also eine Kürzungsorgie aus. Berlin ist wirtschaftlich besser durch die Pandemie gekommen als andere Länder und Kommunen, es kann gut sein, dass wir uns schneller erholen.


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Aber es ist doch so, dass zwar im Haushalt zwar ein leichter Anstieg vorgesehen ist, der aber geringer ausfällt als ursprünglich geplant. Irgendwo muss doch etwas eingespart werden?`

Der Haushalt wächst weniger stark als geplant, richtig. Aber daraus folgt, dass wir nicht kürzen müssen. Wir gehen jetzt nicht mit dem Rotstift durch den Kulturhaushalt. Eine andere Frage ist die nach den Investitionen in die Infrastruktur. Da haben wir uns viel vorgenommen, in Schulbauten und den Ausbau des ÖPNV. Da wird sich die Frage stellen, ob das ein oder andere Vorhaben an anderer Stelle nicht ein oder zwei Jahre nach hinten geschoben wird.

Was sind denn Projekte, die Sie tendenziell verschieben müssen?

Die Komische Oper wird gebaut, und auch mit der Zentralen Landesbibliothek gehen wir weiter in die Planung. Aber da sind die Vorläufe so, dass wir nicht sagen können, ob wir 2026, 2027 oder 2028 anfangen zu bauen. Die ZLB hat aber eine hohe Priorität bei mir. Dann gibt es Vorhaben, die wir sichern wollen, die auch wichtig sind, wie der Friedhof der Märzgefallenen oder das Polizeigefängnis an der Keibelstraße, wo die Planungsprozesse noch laufen und wir sehen müssen, wann wir in die Umsetzung gehen.

Deutschlandweit wächst der Druck, Einschränkungen zurückzufahren. Welche Pläne haben Sie?

Wir diskutieren das permanent, natürlich. Viel hängt von der Frage ab, wann wir die Spitze der Welle erreicht haben. Aber alle können etwas tun, indem sie zum Impfzentrum oder zum Hausarzt gehen und sich impfen lassen. Ich möchte, dass bei dieser Diskussion auch die Perspektive derjenigen eingenommen wird, die im Gesundheitswesen, der Eingliederungshilfe oder der Polizei arbeiten. Sie halten die Dinge unter schwierigsten Bedingungen am Laufen. Wir sollten nicht nur die durchaus verständliche Perspektive derjenigen einnehmen, die nach zwei Jahren müde sind und sich wünschen, dass das alles einfach nur noch schnell vorbei ist. Politik hat die Aufgabe, auf die Verletzlichsten zu schauen.