Film

Was Familie wirklich ausmacht: „Shoplifters“

| Lesedauer: 3 Minuten
Barbara Schweizerhof

Foto: Wild Bunch

Der Gewinner von Cannes: Hirokazu Koreedas herzzerreißenes Drama „Shoplifters – Familienbande“ über Liebe, Zusammenhalt und Diebstahl.

Familie, was ist das eigentlich? Der japanische Regisseur Hirokazu Koreeda gibt darauf in seinem in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichneten Film „Shoplifters – Familienbande“ eine zunächst einleuchtende Antwort: Familie, das ist ein Zusammenhalt verschiedener Generationen, die sich gegenseitig versorgen, einander sowohl Freude wie Ärger bereiten, aber eben zusammengehören. So wie es Vater und Sohn, Großmutter und Töchter, Schwestern und Schwager in „Shoplifters“ zu tun scheinen.

Dabei gehört die Familie, die Koreeda hier vorstellt, nicht eben zu den mit Reichtum gesegneten. Gleich zu Beginn sieht man, wie Vater Osamu (Lily Franky) und Sohn Shota (Jyo Kairi) ihr unauffälliges Aussehen nutzen, um aus einem kleinen Laden ein paar Lebensmittel zu entwenden. Die gute Stimmung, die sie dabei verströmen, steht im Kontrast zur Routiniertheit, mit der Osamu den kleinen Shota zur kriminellen Handlung anstiftet. Das Befremden des Zuschauers verstärkt sich noch, als die beiden auf dem Nachhauseweg ein kleines Mädchen auf einem Balkon entdecken, das offenbar von ihren Eltern vernachlässigt wird. Sie bieten ihr etwas von ihrer „Beute“ zu essen an und überreden sie schließlich, mit ihnen nach Hause zu gehen.

Die kleine Yuri (Miyu Sasaki) scheint sich auf Anhieb wohlzufühlen in dem beengten Zuhause, in dem es neben Osamus Frau Nobuyo (Ando Sakura) noch eine Großmutter (Kiki Kilin) und sogar eine Tante (Matsuoka Mayu) gibt. Der Umgangston ist das, was man rau, aber herzlich nennt. Später wollen Osamu und Nobuyo die Kleine zurückbringen, werden aber Zeugen eines heftigen Streits zwischen den Eltern, die offenbar das Verschwinden der Tochter noch gar nicht bemerkt haben. Also nehmen sie Yuri wieder mit – es ist doch keine Kindesentführung, so lange man kein Lösegeld will, rechtfertigen sie ihr Handeln.

Mit einer Art geduldiger Nachsicht, die an die elegischen Familienfilme des großen japanischen Altmeister Yasujirô Ozu erinnert, beobachtet Koreeda den Alltag dieser Menschen, die ihre Existenz gleichsam im Graubereich solcher moralischen Dilemmata verbringen. Sind die Dinge, die Osamu mit Shotas Hilfe zu Beginn aus dem Laden entwendet, das Eigentum von jemanden oder, auch das eine Rechtfertigung von Osamu, gehören sienoch keinem, weshalb sie zu entwenden kein richtiger Diebstahl ist?

Die vollgestellte Wohnung der Familie zeugt davon, wie sehr ihre Mitglieder am Rande der Gesellschaft stehen und auf Vorratshaltung und Resteverwertung angewiesen sind. Sie gehen schlecht bezahlten Arbeiten nach, die sie durch allerlei Tricksereien aufbessern. Nach und nach wird offenbart, dass jede Figur nicht nur ein eigenes Temperament, sondern auch eine eigene Vergangenheit und oft sogar ein Geheimnis hat.

Zum Staunen des Zuschauers löst der Film damit gleichzeitig auf, was diese Menschen in Wahrheit miteinander verbindet – und zeigt so eindrücklich wie zum Nachdenken anregend, wie kompliziert die Frage nach dem, was Familienbande ausmacht, tatsächlich ist.

Drama Japan 2018 121 min., von Hirokazu Koreeda, mit Lily Franky, Matsuoka Mayu, Jyo Kairi