Pernille Fischer Christensen hat ein enges Verhältnis zu Berlin. Hier auf der Berlinale, hat sie ihren ersten Film „En Soap“ gezeigt. Und wurde so einem internationalen Publikum bekannt. Hier lief auch „Eine Familie“. Gerade hat die Dänin sogar für ein halbes Jahr in Berlin gelebt. Und hier nicht nur ihren neuesten Film „Astrid“ vollendet, ein Biopic über Astrid Lindgren. Sondern auch schon ihr nächstes Drehbuch geschrieben. Kurz bevor sie nach Kopenhagen zurückzog, haben wir sie im Café Einstein getroffen.
Können Sie eigentlich Deutsch sprechen?
Pernille Fischer-Christensen: (radebrecht ein wenig) Ich kann es versuchen, aber es ist sehr schwer. Nein, das wär’ ein’ Katastrophe. (lacht, dann auf Englisch weiter:) Ich habe gerade fünf Monate in Berlin gelebt. Am Mehringdamm, gegenüber von Mustafas Gemüse-Kebab. Ich habe es geliebt hier. Für meine Tochter fanden wir eine skandinavische Schule. Und ich habe Deutschunterricht genommen. Aber für ein Interview reicht es nicht.
Sie waren mit fast all Ihren Filmen auf der Berlinale. Woher kommt diese spezielle Verbindung zu dieser Stadt?
Ich liebe die Berlinale, aber wenn du auf dem Festival zu tun hast, kriegst du nichts von der Stadt mit. Aber das Gefühl, das du hast, wenn du einen Film hier zeigst, ist wirkliches, reines Interesse. Diese Mischung aus intellektueller Tiefe, Offenheit und Bodenständigkeit, wie man dir begegnet, die ist ziemlich selten. Deshalb bin ich gern hier. Als ich hierherzog, fragten mich viele Freunde: Warum Deutschland? Genau aus diesem Grund. Und da bin ich wohl nicht allein. Ich glaube, Berlin ist derzeit die Hauptstadt Europas. Wenn ich jung wäre, würde ich hierher wollen.
In Kopenhagen fühlen Sie sich nicht so frei?
Ich bin dort geboren und aufgewachsen und liebe Kopenhagen. Auch die Menschen dort, darf ich das sagen?, sehen besser aus. Aber das ist auch die Kehrseite, man ist da sehr oberflächlich. Den Leuten bedeutet es viel, wie sie aussehen, wie ihre Häuser aussehen, das dänische Design, diese Perfektion... In Berlin ist das erfrischend anders. Da muss man sich um sowas keinen Kopf machen.
Es heißt, Sie seien sehr schüchtern und würden nicht gern Interviews geben. Was tut man Ihnen an, wenn man Sie jetzt interviewt?
Ach, ich gebe schon Interviews. Ich habe nur in der Vergangenheit Filme gemacht, über die es sehr schwer war zu reden. Bei „Astrid“ ist das anders. Bei diesem Film ist das nicht so schwer. Ich habe sechs Jahre mit Astrid Lindgren, ihren Büchern und ihrem Leben verbracht, und ich bin ihrer immer noch nicht müde.
Sind Sie jetzt eine Lindgren-Expertin?
So würde ich mich nicht bezeichnen wollen. Ich habe nicht das Gefühl, ich hätte jetzt einen Schlüssel zu ihr gefunden. Darum geht es auch in diesem Film, so ist er auch entstanden, aus Neugierde. Und Zweifeln. Diese aufkommenden Fragen, könnte es so gewesen sein, könnte sie dies getan, könnte sie das gedacht haben, wieso haben ihre Geschichten eine solche Auswirkung.
Wie sah denn Ihre Kindheit aus? Wie sehr waren Sie von Astrid Lindgren beeinflusst? Gibt es überhaupt eine europäische Kindheit ohne Astrid Lindgren?
Ich bin zwar Dänin und in Kopenhagen aufgewachsen, aber mein Vater war Arzt und arbeitete im Sommer an verschiedenen Krankenhäusern in Schweden, nah an Dänemark. Also hatten wir ein Haus in Smoland, nahe am See Bolmen. Wir haben also unsere halbe Kindheit in Schweden verbracht. Das waren noch die 70er-, 80er-Jahre, eine Zeit one I-pad und Iphone, wir hatten auch kein Fernsehen, hatten nicht mal warmes Wasser im Haus, manchmal nicht mal Elektrizität. Das war ein sehr einfaches, natürliches Leben. Meine Mutter war Kindergärtnerin, und Astrid Lindgren war eine ihrer ganz großen Heldinnen. Sie hat uns immer aus den Büchern vorgelesen und dann mit uns darüber gesprochen. Als sie gestorben ist, haben wir ihre Asche im See Bolmen verstreut. Es waren also gar nicht mal nur ihre Bücher, die uns geprägt haben, es war ihr Umfeld, in dem wir gelebt haben.
In Deutschland kennen viele die Bücher, aber die meisten kennen eher die Verfilmungen nach Astrid Lindgren.
Fernsehen hatten wir in meiner Kindheit gar nicht. Ich bin mit den Büchern aufgewachsen. „Michel aus Lönneberga“, der bei uns „Emil“ heißt. „Pippi“ natürlich. Und „Ronja Räubertochter“. Das ist mein absolutes Lieblingsbuch, als das erschien, hatte ich das Gefühl, das bin wirklich ich. So bin ich auch immer durch die Wälder gestreift, ich kam auch immer erst zurück, wenn’s dunkel wurde. Die Bücher haben mir wirklich viel bedeutet. Aber das ist heute anders. Als ich in Vorbereitung zu dem Film Kinder befragte, welche Bücher sie von Astrid Lindgren gelesen haben, sagten sie gern: Ich habe sie alle gesehen.
Ist es nicht eigentlich absurd, dass noch nie ein Film über Astrid Lindgren gedreht wurde? Und ist es nicht noch absurder, dass eine Dänin einen Film über die Schwedin gemacht hat?
Für Schweden ist Astrid Lindgren eine Ikone. Eine Mutter Teresa. Eine Instanz kurz vor Gott. Vielleicht brauchte es gerade die Distanz. Ich bewundere sie für alles, was sie getan hat. Aber sie war für mich einfach eine Autorin, nicht diese Instanz. Das war auch genau die Art, wie wir den Film gemacht haben: sie als menschliches Wesen zu begreifen und gerade nicht als Ideal. Dem nahezukommen, von dem wir glaubten, das könnte sie gewesen sein. Der Film sollte ihr ganz nah kommen, so dass man glaubt, sie berühren zu können.
Überlegt man sich dabei, ob man anecken könnte? Die Tochter von Astrid Lindgren hat sich ja prompt gegen Ihren Film ausgesprochen.
Die ersten Zweifel hatte ich schon beim Schreiben. Ich bin leider eine sehr langsame Schreiberin. Und hier kam hinzu, dass das mein erstes Biopic war und ich nicht wusste, ob ich das überhaupt hinkriege. Wieviele Freiheiten man sich nehmen darf. Das hat viel Zeit gebraucht.
Und wie schwer war es, dafür die richtige Hauptdarstellerin zu finden?
Das hat mich eben ebenfalls vor enorme Anstrengungen gestellt. Wir zeigen Astrid von 16 bis etwa 20, aber sie macht eine enorme Entwicklung durch, von einem Kind zu einer jungen Frau und einer frühen Mutter. Unsere Astrid musste auch noch speziell aussehen, denn Astrid Lindgren war nun mal nicht wie jede X-Beliebige. Und sie musste Smaländisch sprechen, was ein eigener Dialekt ist. Also suchten wir in Smaland. Wir haben da einen Aufruf gestartet und es kamen tausend Mädchen. Sie waren alle Amateure. Und ich bekam ganz schnell eine Depression.
Eine Depression?
Ja. Ich sagte mir, was hast du da nur geschrieben: große Szenen, große Emotionen! Wer soll das spielen? Ich glaubte schon, ich würde den Film nicht machen können. Uns wurde klar, das ging nur mit einer Schauspielerin. Dann haben wir uns auf Theaterschulen umgeschaut. Und da kam Alba herein, in der Theaterschule von Kopenhagen, und sie hat mich hin- und weggerissen. Sie ist halb Schwedin, halb Dänin, wuchs in Schweden auf. Wir haben irgendwie den gleichen Hintergrund, wir haben beide Wurzeln in beiden Ländern. Und sie hatte diese Fähigkeit, sowohl ein kleines Mädchen zu sein, eine Pippi mit all ihrer Fantasie, aber auch diese verletzliche Frau, die schwere emotionale Momente durchlebt. Die ersten Testaufnahmen waren grandios. Alle haben geheult. Man hätte das auch mit bekannten Schauspielerinnen machen können, aber ich hätte mir nicht viele in der Rolle vorstellen können. Und die hätten vielleicht auch nicht die Art, wie ich arbeite, goutiert. Mit Alba war das ganz natürlich. Wir haben uns ganz intuitiv verstanden.
Wie mit Trine Dyrholm, die in all Ihren Filmen mitspielt?
In der Tat ging mir das schon ein paar Mal so in meinen Filmen, am meisten mit Trine. Als wir uns kennenlernten, ging ich noch zur Filmhochschule und sie hatte gerade die Theaterschule beendet. Wir haben zusammen meinen Abschlussfilm gedreht, meinen ersten Spielfilm. Auch das neue Projekt, an dem ich jetzt schreibe, ist für Trine Dyrholm. Ich schau mich schon auch anderweitig um, kehre aber immer wieder zu Trine zurück. Da ist einfach was richtig mit ihr. Ich glaube, das könnte mir mit Alba wieder passieren.
Ist Astrid Lindgren eine frühe Heroin des Feminismus?
Nun, sie hat Pippi Langstrumpf erfunden, nicht wahr? Ist das nicht schon die Antwort? Als ich ein Kind war, gab es nicht viele weibliche Vorbilder. Pippi war eine echte Alternative zu Aschenputtel. Ich wollte als Kind keine Prinzessin sein, ich war so ein unruhiges Mädel, voller Fantasie, konnte nie still sitzen. Und habe mich ganz in Pippi gesehen. Sie ist ein echtes Vorbild für Frauen. Man muss die Pippi in sich zulassen, muss seine Gedanken befreien von vorgefassten Denkweisen. Auch wenn man sieht, wie Astrid Lindgren gelebt hat, muss man sie als Heldin sehen. Wie sie sich um ihren Sohn gekümmert hat und sich nicht hat unterkriegen lassen von der „Schande“, sondern dafür gekämpft hat, was sie für richtig hielt.