Der Sex-Schocker, der auf der Berlinale gewonnen hat, lotet Hemmschwellen und Schamgrenzen aus – und verlangt viel vom Zuschauer.
Als dieser Film auf der vergangenen Berlinale den Goldenen Bären gewann, reichten die Reaktionen von Bestürzung bis Hohn. Ein Film zum Fremdschämen, ein Sexperimenatlfilm, eine Schockentscheidung – das waren so die Schlagzeilen. Nun kommt der Film in die Kinos. Und man kann sein Urteil von damals einer Revision unterziehen: Hat man vielleicht im Rummel des Festivals vorschnell geurteilt? Wir haben uns den Film also noch mal angeschaut. Die Meinung darüber hat sich indes nicht verändert, eher gefestigt.
„Touch Me Not“ ist eigentlich gar kein Film. Kein Spielfilm und auch keine Dokumentation. Am ehesten noch eine Versuchanordnung. Eine Frau und ein Mann haben aus unterschiedlichen Gründen Probleme mit ihrer Körperlichkeit und dadurch mit ihrer Sexualität. Beide versuchen, sich ihren Berührungsängsten zu stellen.

Die rumänische Regisseurin Adina Pintilie hält das in ihrem ersten Langfilm nicht nur fest. Sie lässt ihre Kamera als sichtbaren Teil der Inszenierung aufbauen, über die sie immer wieder auch selbst kommuniziert. Ihre Kamera ist auch stets unerbittlich dabei, wenn ihre Figuren ihre Ängste erforschen. Wenn Laura einem Callboy beim Onanieren zuschaut, sich von einer Transfrau beraten lässt oder sich bei einem Therapeuten auf Rollenspiele einlässt. Oder wenn Tomas einen Touch-Workshop mit Behinderten besucht, die weit weniger Schwierigkeiten mit ihrer Körperlichkeit haben als er.
Man kann es mutig nennen, wie die Mitwirkenden des Films, teils ausgebildete Schauspieler, teils Laien, sich vor der Kamera in jeder Hinsicht nackig machen, körperlich, aber noch viel mehr seelisch. Pintilie will Grenzen in alle Richtungen ausloten, die zwischen Realität und Fiktion, zwischen Frau und Mann und auch zwischen „normal“ oder „anders“. Ihre Bilder sind dabei in klinisch-aseptisches Weiß getaucht, was den Labor-Eindruck noch verstärkt.

Irgendwann wird die Regisseurin aufgefordert, ihren sicheren Platz auf der anderen Seite der Kamera aufzugeben. Dann muss sie selbst vor ihre Kamera treten und eigene Hemmungen offenbaren. Das ist vielleicht die interessanteste Szene des Films, die aber auch die Frage aufwirft, ob der Film nicht nur eine Therapie in eigener Sache ist.
Egal ob Voyeurismus, Sex im Rollstuhl oder im Sadomaso-Club: Immerzu geht es hier um Hemmschwellen, Schamgrenzen, Ekel und deren Überwindung. Und das lässt keinen Zuschauer ungerührt. Man muss sich darauf einlassen wollen, muss sich auch auf intimste Momente einstellen, wo man lieber wegschauen möchte. Im besten Fall beginnt man, über seine eigenen Schamgrenzen nachzudenken. Man kann sich von dem Film aber auch auf unangenehme Weise herausgefordert fühlen. Bei der Berlinale jedenfalls verließen viele Zuschauer empört den Saal.