Die Deutsche Kinemathek zeigt die bewegte Geschichte der Berlinale – in einer einzigartigen Fotoausstellung mit vielen Entdeckungen.
Sie kamen eigentlich, um auf der Berlinale ihren Film „Magnolien aus Stahl“ vorzustellen. Aber als die Teilnahme am Festival längst verhandelt war, fiel überraschend die Mauer. Und als Julia Roberts und Sally Field im Februar darauf nach Berlin kamen, standen sie plötzlich auf der Mauer, Hand in Hand mit zwei DDR-Grenzposten. Ein Fotograf hat den flüchtigen Moment festgehalten. Ein Bild mit hohem Symbolwert. Zu sehen ist es nun im Museum für Film und Fernsehen in der feinen Ausstellung „Zwischen den Filmen“, die nichts weniger will als „eine Fotogeschichte der Berlinale“ zu erzählen.
Man sieht James Stewart auf dem Ernst-Reuter-Platz nass werden. Sieht Menschenmassen, die sich an der Kongresshalle um Sidney Poitier drängen, und Leonardo DiCaprio, der am Berlinale-Palast artig Sefies mit Fans macht. Und Claudia Cardinale, die 1964 vor dem abgeriegelten Brandenburger Tor posiert und die Tragödie der Teilung entweder nicht begreift oder tapfer weglächelt. Schlaglichter aus 68 Jahren Berlinale.
Warum kommt die Ausstellung gerade jetzt und nicht erst zur 70. Berlinale 202o? Sie ist ein Beitrag zum Europäischen Monat der Fotografie. Aber das ist nur eine Wahrheit. Die andere ist, dass Carlo Chatrian, der Nachfolger Dieter Kosslicks als Berlinale-Chef, sein Amt erst im Mai kommenden Jahresantritt und man derzeit schlicht nicht über die 69. Berlinale hinaus plant. Die Schau soll aber auch ein Dankeschön an Kosslick sein, dessen Vertrag im April 2019 endet.

Denn, auch das ist ein Teil der Geschichte, die hier erzählt wird: Die 22 Jahre, die Moritz de Hadeln das Festival leitete, sind vergleichsweise schlecht fotodokumentiert. Kosslick hat das gleich als Manko erkannt – und beschäftigt einen ganzen Pool von derzeit 16 Fotografen, die alles auf der Berlinale festhalten. Wie die Porträts, die Gerhard Kassner von allen Gästen macht und die während des Festivals im Berlinale Palast hängen. Danach gehen sie an die Deutsche Kinemathek, die damit auch das Fotoarchiv des Festivals ist.
Außerdem verfügt die Kinemathek über die Nachlässe von Fotografen, die viele Jahre das Festival begleitet haben, wie Heinz Koester, Erika Rabau oder Mario Mach, der ein unglaublich reiches Archiv hinterließ, ein Schatz mit teils nie gezeigten Bildern, die das Herzstück der Ausstellung bilden. Über 100.000 Fotos hat Kuratorin Daniela Sannwald dafür ausgewertet. 300 sind zu sehen, und die sind sinnig in zehn Themen gebündelt: die Stars und Paare, die Mode, die Kinos und die Stadt, die Bären und die Partys, aber auch die Presse und die Fans, die überall lauern. Und die Politik, die mit und auf der Berlinale betrieben wird. Auch jeder künftige Berlinale-Gast sollte diese Schau besuchen, um zu sehen, was da auf einen zukommt.

Auf Festivals, das wird hier schnell deutlich, geht es nicht nur um Filme, um bewegte Bilder. Sondern auch um den Rummel drumherum. Und der brennt sich ins Gedächtnis – durch Standbilder, Fotografien, Momentaufnahmen. Bewusst und konsequent hat man, übrigens erstmalsin diesem Haus, bei einer Ausstellung zum Thema Filmausstellung auf Filmausschnitte verzichtet. Es gibt auch keine Szenenbilder.
Ein diametral anderer Ansatz als der, den die Konkurrenzin Venedig angewandt hat. Das hat gerade, als ältestes Festival der Welt, seinen 75. Geburtstag gefeiert, unter anderem ebenfalls mit einer großen Fotoschau. Aber da wurden zu 90 Prozent Bilder aus Festivalfilmen gezeigt und fast gar keine Impressionen der jeweiligen Festivals.

Was das für ein Versäumnis war, zeigt die Berliner Ausstellung. Hier kann man verfolgen, wie sich die Mode ändert, wie nach 1968 die Diskussion wichtiger wird als die Repräsentation. Wie die Berlinale mehr und mehr zum politischen Forum wird, das auch Politiker entdecken, die sich gern mit Stars ablichten lassen. Und wie aus dem Schaufenster in die freie Welt plötzlich der Ort wird, an dem der Kalte Krieg überwunden wird. Das ist viel mehr als bloß eine Fotogeschichte der Berlinale. Es ist auch eine einmalige Rück-Schau auf die einst geteilte Stadt und auf die Alltags- und Kulturgeschichte der Bundesrepublik. Eine Lehrstunde in grandiosen Fotos. Und ein hübscher Vorgeschmack auf die nächste Berlinale, die dann die letzte von Dieter Kosslick sein wird.
Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen, Potsdamer Str. 2, Tiergarten. Mi-Mo 10-18, Do 10-20 Uhr. Bis 5. Mai 2019