Am 23. September wäre sie 80 Jahre alt geworden. An einem solchen Tag mag man sich fragen, was Romy Schneidere wohl täte, wenn sie noch leben würde. Wäre sie noch immer die Grande Dame des französischen Kinos wie die fünf Jahre jüngere Catherine Deneuve? Hätte sie sich längst aus der verhassten Öffentlichkeit zurückgezogen wie die drei Jahre ältere Brigitte Bardot? Oder würde sie sich in eher belanglosen TV-Filmen verschwenden wie die nur drei Wochen jüngere Christiane Hörbiger? Die Spekulationen sind müßig. Romy Schneider ist seit über 36 Jahren tot. Sie wurde am 29. Mai 1982 tot in ihrer Pariser Wohnung gefunden. Gestorben, so die offizielle Todesursache, an Herzversagen. Oder, wie Alain Delon damals treffender sagte, „an gebrochenem Herzen“.
Sie hatte etliche Schicksalsschläge hinnehmen müssen. Hatte viel Alkohol genommen und viele Tabletten. Am Ende konnte sie auch das nicht mehr betäuben. Drei Jahre zuvor hatte sich ihr Ex-Mann Harry Meyen erhängt. Anderthalb Jahre zuvor hatte sie sich von ihrem zweiten Mann Daniel Biasini getrennt. Und nur zehn Monate davor starb ihr Sohn David auf grausame Weise, als er beim Klettern über einen Zaun gepfählt wurde. Seitdem erlosch Romy Schneider, starb jeden Tag ein wenig mehr. Sie hatte alles gegeben für ihre Kunst, aber nichts für sich selbst übrig gelassen.
Und doch bleibt sie, ein Privileg der früh Gestorbenen, unvergessen. Kein Jahr vergeht, an dem nicht ein neuer Romy-Bildband erscheint. Und wann immer die alten „Sissi“-Filme im Fernsehen wiederholt werden, setzt es Traumquoten. In diesem Jahr freilich wurde ihr noch anders gedacht. Mit gleich zwei Filmen, die sich mit Interviews befassten, die sie gegeben hatte. „3 Tage in Quiberon“, hat im Kino Furore gemacht. Marie Bäumer, die wegen ihrer Ähnlichkeit immer gedrängt wurde, einmal Romy zu spielen, hat das immer abgelehnt, es dann aber doch noch getan. In einem Kammerspiel über drei Tage, als die Schneider im Jahr vor ihrem Tod zur Entgiftung in Quiberon kurte, ein „Stern“-Reporter ganz Persönliches aus ihr rauskitzelte und sie es schutzlos geschehen ließ. Dass ihre Tochter Sarah Biasini den Film kritisierte, schmälert dessen Ruhm nicht. Er zeigt eher, dass er ins Schwarze traf.
Und dann gab es kürzlich noch die Arte-Dokumentation „Eine Nacht mit Romy“ über ein Interview, dass der Star 1976 Alice Schwarzer gegeben hat. Ein Artikel für die erste „Emma“-Ausgabe sollte es werden, es wurde eine Lebensbeichte. Die Schneider erkannte in der Schwarzer eine Wesensverwandte. Die zwei bestgehassten Frauen Deutschlands, die eine, weil sie Sissi war und nicht mehr sein wollte, die andere, weil sie eine Emanze, eine Anti-Sissi war.
Das Interview wurde nur mit Kassettenrekorder aufgezeichnet, es gibt keine Bilder dazu. Man sieht in der Filmdoku nur immer wieder das alte, noch erhaltene Band laufen, hört Romys Stimme. An einer Stelle aber wird abgeschaltet. Was dann kam, hat Alice Schwarzer erst später in einem Buch über Romy Schneider preisgegeben: dass Hans Herbert Blatzeck, der zweite Mann ihrer Mutter Magda Schneider und Romys Manager, das junge Mädchen bedrängt hat. Die Flucht nach Frankreich erscheint da in einem ganz anderen Licht.
Aber all das wollten die Fans damals nicht wissen. Romy Schneider war, wie später Prinzessin Diana, eine Königin der Herzen. Auch Romy Schneider kam früh zu majestätischen Weihen, wenn auch nur auf der Leinwand. Beide wurden verehrt und abgöttisch geliebt. Beide wollten mit ihrer Vergangenheit abschließen. Beide litten unter den Projektionen, denen man sie unterwarf. Und darunter, eine öffentliche Person zu sein. Als Romy 1982 starb, haben die Deutschen sie freilich das zweite Mal verloren. Das erste Mal war schon Ende der 50er-Jahre, als sie nicht mehr die Sissi sein wollte, als sie selbst eine Million DM, eine damals unvorstellbare Summe, in den Wind schlug für einen vierten Sissi-Film. Lieber verstörte sie das Publikum mit gewagten Filmen wie „Mädchen in Uniform“ und „Schöne Lügnerin“. Und floh schließlich nach Frankreich. Die Sauberfrau ging mit dem Hallodri Alain Delon durch. So hat es damals das deutsche Publikum damals gesehen, das wie ein verschmähter Liebhaber zurückblieb.
In Frankreich erfand sich Romy Schneider neu. Lernte eine neue Sprache. Senkte ihre Stimme. Häutete sich wie eine Schlange. Ließ sich von Regisseuren wie Luchino Visconti formen. Und fand in George Sautet einen kongenialen Regisseur, mit dem sie ihre besten Filme drehte. Die Deutschen wollten sie aber weiter nur als Backfisch, das süße Maderl, das ewige Kind sehen. Ein kollektives Missverständnis. Obwohl sie als Tochter zweier Filmstars eigentlich nie eine Kindheit hatte und von ihrer Mutter schon mit 14 Jahren zum Kinderstar aufgebaut wurde. Obwohl man ihr auf der Leinwand bei der Pubertät zusehen konnte, wollte eine ganze Nation – wie ein eifersüchtiger Vater – nicht wahrhaben, dass das Kind erwachsen wurde.
Dass es einen eigenen Weg ging. Und eine Schauspielerin wurde, die nun auch reifere Frauen spielte. Frauen, die sich oft nahmen, was sie wollten, und auch nicht selten eine Vergangenheit hatten. Die Franzosen verehrten sie als „la Schneider“, die Deutschen nannten sie beharrlich bei ihrem Mädchennamen, Romy. Der Wandel von der Raupe zum Schmetterling nahmen man als persönlichen Affront wahr. Aus einer Nationalheiligen war eine Vaterlandsverräterin, aus einer Heiligen eine Hure geworden. So sah man das damals.
Die Deutschen liebten und hassten ihren Star und rieben sich an ihm. Und Romy Schneider litt darunter zeitlebens, wie die nun verfilmten Interviews einmal mehr zeigen. Die Deutschen erregten sich auch über ihre Aktfotografien, über ihre Abtreibungsbeichte im „Stern“ oder wie sie in einer Talkshow offen mit Burkhard Driest flirtete: „Sie gefallen mir. Sie gefallen mir sehr.“ Dabei sehnte sich die Schneider letztlich, und darin war sie den meisten Deutschen ganz ähnlich, nach einem bürgerlichen Glück. Sie glaubte es für drei Jahre gefunden zu haben, in den 60er-Jahren in Berlin mit Harry Meyen. Es hielt, man weiß es, nicht an. La Schneider ging erneut und nun endgültig nach Frankreich. Aber die Leere in ihrem Herzen blieb.
Ihr Grab liegt nicht in Österreich, wo sie geboren wurde. Nicht in Deutschland, wo sie zum Star wurde. Und auch nicht in Paris, ihrer neuen Heimat. Sondern im kleinen Ort Boissy-sans-avoir („Boissy ohne Besitz“), 60 Kilometer von Paris entfernt, wo auf einem einfachen Stein ihr Mädchenname steht: „Rosemarie Albach“. Bis zuletzt der Wunsch nach einer Kindheit, die sie nie gehabt hat.
Freilich: Die Fans, die sie einst geliebt und ihr dann nicht verziehen haben, sind alt geworden. Längst sind andere Generationen nachgerückt, die sich auch noch an den „Sissi“-Filmen ergötzen, den Star aber unvoreingenommen wahrnehmen. Als der Ausnahmestar, der sie war. Man wünschte sehr, Romy Schneider hätte das noch erlebt. Man wüsste auch gern, was sie, die in so vielen Filmen gegen die Nazi-Gräuel mitspielte, heute zu dem überall erstarkenden Rechtsradikalismus zu sagen hätte. Sie war ein Weltstar, wie das deutschsprachige Kino nicht viele hat. Sie fehlt uns. Sie fehlt uns sehr.