Fernsehen

Einmaliger doppelter Blick auf die Stadt

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Foto: rbb / rbb/akg-images/Klaus Morgenstern

RBB plant eine einmalige Reihe: 30 Filme über jedes Jahr der Mauer-Teilung. Eine Stadt-Chronik in nie gekannter Größenordnung.

Bettina Wegner kann sich noch gut erinnern, wie sie von 1980 bis 1983 Berufsverbot im Osten hatte, aber einen Pass, um im Westen zu arbeiten. Das sei schizophren gewesen, sagt die inzwischen 70-jährige Liedermacherin, wie sie ständig zwischen Ost- und West-Berlin gependelt sei. „Ich habe den Pass nur für die Arbeit genutzt, nie privat. Und doch habe ich mich geschämt, weil keiner meiner Freunde einen Pass bekam.“

Dünner und dünner ist sie damals geworden, hat die DDR im Westen immer verteidigt, im Osten aber kritisiert. Schließlich wurde sie ganz ausgewiesen, durfte aber dennoch nach wie vor in den Osten. Und war mehr hüben als drüben.

45 Sendestunden aus zwei Blickwinkeln

Eine Zeitzeugin. Eine Grenzgängerin. Und damit wie geschaffen für ein Projekt des RBB, das wohl einmalig in der deutschen TV-Geschichte sein dürfte. Unter dem Titel „Berlin – Schicksalsjahre einer Stadt“ startet der Sender am 3. November eine Chronik der Stadt in einer noch nie dagewesenen Größenordnung. Und widmet, jeweils Jahr für Jahr, den 30 Jahren der Teilung, vom Mauerbau 1961 bis zur Wiedervereinigung 1990, 30 Filme à 90 Minuten.

Dabei soll die große Geschichte, aber auch der Alltag abgebildet werden, die Weltstadt wie der Kiez, der Kalte Krieg ebenso wie die Datsche. Gezeigt wird die Chronik in drei Staffeln: die 60er-, die 70er-, die 80er-Jahre. Und das zur allerbesten Sendezeit. Der Sender räumt dafür den Sonnabendabend frei. Die letzte Folge läuft am 9. November 2019, dem 30. Jahrestag des Mauerfalls.

Auch wenn es noch fast zwei Monate hin sind bis zur ersten Ausstrahlung, hat der RBB am Mittwoch schon mal eine Pressekonferenz abgehalten. Nicht im eigenen Haus, das wird ja derzeit umgebaut. Sondern im Museum für Film und Fernsehen am Potsdamer Platz. Ein höchst sinniger Ort: Denn um museale Schätze geht es ja auch hier.

Andere Sender hätten Aufnahmen mit veralteter Technik gelöscht oder ihre Archive aus Kostengründen verschlankt. Nicht so der RBB. Der verfügt nicht nur über die Bestände des SFB, sondern auch über die des DDR-Fernsehens. Und kann so doppelt aus dem Vollen schöpfen. Das Archivmaterial blitze, so RBB-Programmdirektor Jan Schulte-Kellinghaus, immer wieder im Programm auf, in Reihen wie „Geheimnisvolle Orte“ etwa. Schon immer dachte er, damit müsse man noch mehr machen. Er hatte da aber eher an einen Themenabend gedacht. Dann aber kam der Produktionsleiter Johannes Unger auf diese spektakuläre Idee.

45 Sendestunden über die Teilung. Auf Privataufnahmen wurde bewusst verzichtet. Das Material speist sich ganz aus Fernseharchivalien. Dazu gibt es Kommentare von prominenten Zeitzeugen, aber auch ganz normalen Berlinern. „Ganz wichtig“, so Unger, „ist dabei der Ost-West-Gegenschnitt.“ Der doppelte Blick, wie sich die eine und die andere Hälfte der Stadt darstellte. „Abendschau“ gegen „Aktuelle Kamera“, „Hitparade“ und „Ein Kessel Buntes“. Die Chronik sei damit auch „Zeitgeschichte im Spiegel des Fernsehens“.

Die Reihe könnte damit durchaus selbst Geschichte schreiben. Und wird überdies von einer Hör-Serie im Info­radio begleitet. Eine Frage bleibt indes. Warum der Titel, bei dem doch jeder erst mal an den Film „Sissi - Schicksalsjahre einer Kaiserin“ denken muss? Sie hätten lange überlegt, ob dass der richtige Titel ist, gibt Unger zu. „Aber dann sind wir zu dem Schluss gekommen: Wenn diese 30 Jahre keine Schicksalsjahre für die Stadt waren, welche dann?“