Fernsehen

Dagmar Manzel wundert sich: „Wo kommt dieser Hass her?“

| Lesedauer: 9 Minuten
Peter Zander
Dagmar Manzel will, dass ihre „Tatort“-Folgen politische Themen behandeln. Sonst würde sie das  langweilen

Dagmar Manzel will, dass ihre „Tatort“-Folgen politische Themen behandeln. Sonst würde sie das langweilen

Foto: Henning Kaiser / picture alliance / dpa

Die Berliner Schauspielerin über ihre „Tatort“-Tätigkeit, Gewalt in der Gesellschaft – und die Krimi-Flut im deutschen Fernsehen.

Sie will nicht in die Krimi-Schublade gesteckt werden. Aber da muss sich Dagmar Manzel eigentlich keine Gedanken machen. Die Schauspielerin steht so oft auf Berliner Bühnen und Opernhäusern und dreht darüber hinaus etliche andere Filme, dass man sich eher fragt, wie man bei diesem dichtgepackten Arbeitsplan überhaupt noch eine Folge „Tatort“ pro Jahr unterkriegt. In ihrem vierten Fall „Ich töte niemand“, der am heutigen Sonntag ausgestrahlt wird, ist ihre Kommissarin Paula Ringelhahn einmal ganz anders, nämlich sehr persönlich und verletzlich zu erleben. Kurz vor der Ausstrahlung überrascht Dagmar Manzel mit einer Aussage, die ihr eigenes Terrain betrifft: Es laufen ihr zu viele Krimis im Fernsehen. Wir haben die 59-Jährige im Regent Hotel getroffen.

Frau Manzel, Sie spielen Theater, treten an der Komischen Oper auf und dann drehen Sie auch noch „Tatort“-Krimis. Wie schaffen Sie das alles? Muss man sich um Sie sorgen?

Dagmar Manzel: Das ist schon eine logistische Meisterleistung. Mein Leben ist ziemlich durchgetaktet. An der Oper wird schon für 2019/2020 geplant, darum herum muss man dann die anderen Termine bauen. Normalerweise mache ich zwei Projekte im Jahr, dieses Jahr sind es vier. Das ist wirklich ein bisschen viel. Aber das sind halt Projekte, die mich brennend interessieren, da kann ich das einfach nicht lassen. Das haut mir manchmal die Beine weg. Aber ich arbeite halt auch gern. Und lebe sehr diszipliniert. Sie müssen sich also keine Sorgen um mich machen.

Es gibt „Tatort“-Ermittler, bei denen die Privatgeschichten der Kommissare fast wichtiger sind als die eigentlichen Fälle. Bei Ihren Franken-„Tatorten“ ist das mit Vorsatz ganz zurückgenommen.

Ja, das war der Ansatz. Ich habe immer gesagt, wenn ich das mal machen sollte, dann erstens nur einmal im Jahr, weil ich zu viele andere Projekte habe und nicht ausschließlich „Tatort“-Kommissarin sein wollte. Und zweitens soll e nicht um sie gehen, sondern um die Fälle. Für mich ist das immer auch ein politischer „Tatort“, der sich zu den Problemen unserer Zeit, unserer Gesellschaft bekennt. Das ist mir sehr wichtig. Das ist dann mehr als nur eine Kriminalgeschichte. Nur so wird das dann auch für mich als Schauspielerin interessant. Sonst würde mich das langweilen.

Diesmal ist aber alles ganz anders. Es ist ein sehr persönlicher Fall, bei der Ihre Figur an ihre Grenzen stößt.

Ja, diesmal ist es eine sehr persönliche, emotionale Geschichte. Weil ein Kollege und Freund stirbt, das geht über ihre Kräfte. Was sie sonst so gut kann – eine gewisse Distanz zum Beruf, um sich zu schützen –, das gelingt ihr hier nicht. Sie ist diesmal sehr schutzlos.

Wenn man solche Krimis dreht, hinterlässt das eigentlich andere Spuren als sonstige Dreharbeiten? Weil es immer um Morde geht, und bei Ihnen eben auch um politisch brisante Themen?

Das ist manchmal schon hart. Da sind andere Filme eine regelrechte Erholung. Wir haben bei unserem „Tatort“ öfter Kontakt mit dem Nürnberger Polizeipräsidium, an manchen Drehorten sind auch echte Polizisten oder SEK-Leute dabei, die beraten oder sogar mitspielen. Was die dann so erzählen, das ist manchmal sehr bedrückend. Unsere Ermittler-Figuren sind da, um die Fälle zu lösen, damit der Zuschauer beruhigt ins Bett gehen kann. Aber das brisante Thema, das Unbehagen, das bleibt bei uns.

Wie in diesem Fall, wo es hochaktuell um Flüchtlinge geht, um Integration, und wie gewisse Kreise dies zu verhindern suchen.

Der Film macht sehr deutlich, dass ­sowohl Fundamentalisten als auch Rechtspopulisten Werte wie Ehre, Achtung, Respekt – die erst mal positiv besetzt sind – dazu benutzen, um zu Gewalt aufzurufen. Da sind ganz viele Parallelen auf beiden Seiten, auch wenn die sich mit Hass gegenüberstehen.

Es geht auch darum, wie Heranwachsende mit rechtem Gedankengut infiltriert und zu Gewalttaten aufgerufen werden. Was, glauben Sie, kann man dagegen tun, wie kann man junge Menschen davor schützen?

Es heißt immer, Deutschland ist ein reiches Land, hier findet jeder Arbeit. Aber so ist es halt nicht. Von Anfang an in der Erziehung, von der Krippe an, muss man Werte und Menschen zusammenbringen in Form eines Dialogs. Dass es wirklich möglich ist, mit verschiedenen Religionen oder auch ohne Religion zusammen zu leben. Das funktioniert nur, wenn man rechtzeitig mit Kindern und Jugendlichen versucht zu arbeiten. Nur Verbote auszusprechen oder mit Jugendknast zu drohen, das reicht nicht. Die Jugendknaste werden immer voller, und wenn die danach raus kommen, ist das Problem auch noch nicht gelöst.

Wie könnte man es lösen?

Es gibt Beispiele aus anderen Ländern, Skandinavien etwa, da wurden ganz andere Ansätze entwickelt, wie man Menschen aus anderen Ländern integriert. Dass das so schwer ist, dass da so viel vernachlässigt und versäumt wurde, das kann und will ich nicht verstehen. Wo kommt dieser Hass her, in Dresden etwa, wo der Ausländeranteil so lachhaft gering ist? Und doch gehen die Leute dort jeden Montag auf die Straße und demonstrieren gegen Ausländer. Aber nur den Stab über solche Leute zu brechen, bringt auch nichts. Es ist ja nicht nur Dummheit und Unwissenheit, es hat auch seine Ursachen. Die Leute sind enttäuscht und frustriert, fühlen sich abgehängt. Da muss man ansetzen. Sonst verschärfen sich die Fronten weiter.

Das ist ja nicht nur ein deutsches Phänomen, das findet sich in ganz Europa. Macht Ihnen das manchmal Angst?

Ich mach mir schon Sorgen. Ich habe großes Glück, ich lebe in einem sicheren Land, habe ein erfülltes Leben. Ich kenne keinen Krieg wie noch meine Eltern. Dafür bin ich sehr dankbar. Aber um meine Kinder und Enkel mache ich mir schon Sorgen. In welcher Welt werden die denn groß, welche Welt hinterlassen wir ihnen? Es bringt nichts, Menschen auszugrenzen, man muss sich mit ihnen auseinandersetzen. Aber dann muss auch irgendwann gehandelt werden.

Ihr „Tatort“ setzt sich stark mit diesem Thema auseinander. Es gibt allerdings auch viele Kritiker, die sagen, man könne im deutschen Fernsehen gesellschaftspolitische Themen nur noch im Krimiformat erzählen. Sehen Sie das auch so?

Ja, das finde ich auch sehr traurig. Man kann sich einen ganzen Abend durchs Programm zappen, alles wird nur noch in Krimis erzählt. Fernsehen ausschließlich mit Krimis, Talkshows und Politsendungen zu verbinden, ist sicher zu wenig. Es gibt schon auch mal interessante Fernsehfilme, aber es könnten, es müssten viel mehr sein. Wenn man mal schaut, was sich so im skandinavischen Fernsehen tut, kriegt man kaum die Kinnlade hoch. Wie mutig sind die denn? Die sind total politisch, aber da muss es nicht nur Krimi sein. Hier ist man immer übervorsichtig, hat Angst, dass sonst die Quote runtergeht. Bei Quote kriege ich immer so einen Hals. Manche anspruchsvollen Filme werden aus Angst oft nur im Spätprogramm gezeigt. Dabei sollte es diese Filme gerade im öffentlich-rechtlichen Fernsehen zur besten Sendezeit geben. Man müsste viel mutiger sein, auch um die jungen Zuschauer zu halten, die sich bei Netflix & Co Produktionen anschauen, die nicht auf Quote zielen.

Ist man ein bisschen ein Nestbeschmutzer, wenn man dieses Krimi-Überangebot kritisch betrachtet, aber gleichzeitig selbst „Tatort“-Kommissarin ist?

Ja, schon. Der „Tatort“ ist natürlich der Mercedes unter den Krimis, der hat auch ein Level und Niveau, da wird mit viel Sorgfalt recherchiert und am Drehbuch gearbeitet. Ich bin auch richtig stolz, „Tatort“-Kommissarin zu sein. Aber dennoch drehe ich nur eine Folge im Jahr. Ich möchte nicht in der Schublade Kommissarin landen und will unbedingt auch andere Filme drehen. Ist das Nestbeschmutzung? Ich weiß nicht. Das muss man schon sagen dürfen.