Sie arbeitet wie ein Mann, wenn sie die Fischernetze einholt. Doch auch wenn eine Geburt sich verkompliziert, ist sie diejenige, die man um Hilfe bittet. „Ihr könnt stolz sein auf eure Schwester“, meint der Vater. Nur leider will sich die junge Frau partout nicht verheiraten lassen. Das entehre die Familie, geifert der Bruder. Doch die zarte Frau lässt sich nicht bekehren. Lieber möchte sie sich diesem Messias anschließen, der predigend durch die Lande zieht und von dem so viel die Rede ist.
Der Jesus-Film – längst ein Untergenre des Kinos, das nicht zufällig gern zu Ostern mit einem neuen Epos aufwartet – ist schon lange davon abgekommen, immer die ganze, sattsam bekannte Geschichte zu erzählen. Jüngere Produktionen beschränken sich auf neue Ansätze in überschaubaren Ausschnitten, etwa in „Auferstanden“ (2016) oder „40 Tage in der Wüste“ (2017). Nie aber war das Konzept so radikal wie bei „Maria Magdalena“.
Ein Jesus-Film aus der Perspektive einer Frau
Erstmals wird die Messias-Geschichte konsequent aus der Perspektive einer Frau erzählt. Das passt ganz gut in die Quotendiskussion und #MeToo-Debatte dieser Tage – auch wenn der Film pikanterweise von der Weinstein Company produziert wurde, derzeit ein toxisches Etikett –, erschöpft sich aber nicht in geschlechtspolitischer Correctness oder Sozialfeminismus. Der Film will tatsächlich eine historische Figur rehabilitieren, die jahrhundertelang ausgegrenzt, diffamiert und stigmatisiert wurde.
Maria Magdalena, so weit sind sich die Quellen einig, war eine Begleiterin Jesu. Und sie war es, und nicht etwa die Jünger, der der Auferstandene zuerst begegnet sein soll. Die Alte Kirche verehrte sie deshalb als „Apostelgleiche“. Hippolyt von Rom begründete im 3. Jahrhundert gar die Ehrenbezeichnung „Apostolin der Apostel“. Eine Frau als 13. Apostel, als Gleichgestellte unter Männern? Dagegen wirkten von Anfang an Kräfte. Die von Männern, versteht sich.
Schon Simon Petrus hat sie laut dem Thomas-Evangelium aus der Mitte der Jünger vertreiben wollen: „Frauen sind des Lebens nicht würdig“, heißt es im Vers 114. Und Papst Gregor I. setzte Maria Magdalena im Jahr 592 mit der Sünderin gleich, der Jesu die Füße gewaschen hat. Damit war es geboren, das Bild der Gefallenen, aus der später gar die Prostituierte wurde. Ein Bild, das nicht nur von der Kirche, sondern auch von den Künsten verbreitet wurde.
Ein falsches Bild, das sich beharrlich festgesetzt hat
Schon Ende des 19. Jahrhunderts fand man in Ägypten eine alte Papyrussammlung in gnostischer Sprache, das Evangelium nach Maria Magdalena, das heute im Besitz der Ägyptischen Abteilung der Staatlichen Museen zu Berlin ist. Und doch hat sich das Bild der Sünderin beharrlich behauptet. Auch und gerade in Jesus-Filmen.
Das hat vielleicht auch damit zu tun, das niemand weiß, wie eng das Verhältnis von Maria aus Magdala und Jesus wirklich war. Nicht nur Dan Brown hat in seinen abstrusen Verschwörungsfantasien darüber spekuliert. Schon in dem in Nagh Hammdi gefundenen Philippus-Evangelium heißt es, Jesu liebte „sie mehr als alle Jünger“ und „küsste sie auf den Mund“. Der Sohn Gottes in einer Liebesbeziehung? Das würde das Zölibat im Grunde erschüttern.
Fakt ist: Erst vor zwei Jahren wurde Maria von Magdala vom Vatikan formell den Jüngern als „Apostolin der Apostel“ gleichgestellt – und als erste Botschafterin des Auferstandenen anerkannt. Da lag es nahe, dem alten, falschen Bilderkanon neue Bilder entgegenzusetzen. Um es vorwegzunehmen: Über einen Wangenkuss hinaus geht die Beziehung in diesem Film nicht. Aber fast scheint es, als hätten die Filmemacher auch sonst Angst vor der Kraft ihrer Interpretation gehabt. Einen spirituellen Film hätten sie machen wollen, bekräftigt Regisseur Garth Davis immer wieder, keinen religiösen.
Die Maria, die er mit den Drehbuchautorinnen Helen Edmundson und Philippa Goslett entwickelt hat, kommt denn fast als gar zu reine Gestalt, als Heilige daher. Gespielt wird sie von der engelhaften, aber immer auch gebrechlich wirkenden Rooney Mara. Nie würde man ihr etwas abnehmen, was auch nur in die Nähe einer Verfehlung gehen könnte.
Dass Jesus ihr dennoch laut den Evangelien sieben Dämonen ausgetrieben hat, wird etwas lavierend dahingehend erklärt, dass das engstirnige Patriarchat sie exorzieren will – weil sie sich nicht vermählen lassen will. An dieser Stelle muss man unweigerlich an die Zwangsverheiratungen von Musliminnen heutzutage denken. Jesus dagegen predigt, vor Gott seine alle gleich. Das meint nicht nur Arm und Reich, sondern auch Mann und Weib. Kein wunder, dass der radikale Emanzipator in Maria Magdalena seine engste Vertraute findet, die ihn am besten versteht und zu deuten weiß.
Die Herren Jünger, sie sehen alt aus gegen sie: Simon Petrus (Chiwetel Ejiofor), der um seine Stellvertreter-Position bangt und sie deshalb, wie man heute sagen würde, mobbt. Und Judas (Tahar Rahim), der die Botschaft vom nahenden Königreich auf Erden naiv wörtlich nimmt. Im Film ist es Maria Magdalena, die versteht, dass eine Utopie jedweder Art nicht von außen, sondern nur aus den Menschen selbst kommen kann. Das wird dann allerdings doch in allzu deklamatorischem Ernst gepredigt – und vom Soundtrack des gerade verstorbenen Komponisten Jóhann Jóhannsson in allzu schweres Pathos getränkt.
Reichlich Diskussionsstoff zu Ostern
Vor allem aber leidet dieser Jesus-Film – unter seinem Jesus. Joaquin Phoenix ist eine der tollsten Fehlbesetzungen seit vielen Jahren. Der Schauspieler ist immer gut, wenn es darum geht, zerrissene Männer zu spielen, die an sich selbst zweifeln, wenn nicht verzweifeln. Als Jesus ist er aber nicht nur schlichtweg zu alt, er spielt so gequält, als ob er auch er ständig (und nicht nur in den 40 Tagen in der Wüste) von Dämonen heimgesucht würde.
So wie dieser Mann hier predigt, fragt man sich nicht nur, wie er mal eine neue Religion gründen konnte, sondern schon, wie er überhaupt Jünger finden konnte, die ihm freiwillig folgen. Maria Magdalena ist da nicht nur eine Apostolin unter Aposteln, sondern fast die eigentliche Glaubensbegründerin, die den wirren Worte Jesu erst einen Sinn zu geben weiß. Das ist denn doch etwas weit hergeholt. Aber allemal Diskussionsstoff zu Ostern.