Menschen, die kundtun, ihre Karriere zu beenden, sind mit Vorsicht zu genießen. Popsänger Elton John etwa hat gerade seinen Rückzug von der Bühne angekündigt. Aber man kann das auch als findigen PR-Coup für seine letzte Welttournee werten, die den 70-Jährigen noch ein paar Jahre auf Trab halten dürfte. Regisseur Steven Soderbergh verkündet schon regelmäßig seinen Rückzug vom Film und dreht dann doch immer wieder, sein nächstes Werk wird jetzt auf der Berlinale gezeigt.
Bei Daniel Day-Lewis freilich ist das etwas anders. Der Brite ist mehr als eine Legende, der einzige männliche Schauspieler, der je drei Oscars gewann. Aber schon Ende der 90er-Jahre hat er sich für fünf Jahre komplett zurückgezogen, um sich in Florenz dem Schuhmacherhandwerk zu widmen. Man muss also befürchten, dass es ihm ernst war, als er vergangenen Juni bekannt gab, er wolle Schluss machen mit der Schauspielerei.
Erneute Zusammenarbeit mit Paul Thomas Anderson
Man kann „Der seidene Faden”, der am Donnerstag in die Kinos kommt, also nicht unvoreingenommen sehen. Es ist ein Abschiedsfilm, sein, wenn man so will, Vermächtnis, auf jeden Fall sein künstlerischer Schlussstrich. Und einen würdigeren Abschluss hätte er kaum wählen können. Noch einmal hat er dafür mit Kultregisseur Paul Thomas Anderson gearbeitet, für dessen Meisterwerk „There Will Be Blood“ er vor zehn Jahren einen seiner Oscars gewann. Und auch dieser Film ist für sechs Oscars nominiert.
Diesmal spielt er einen Meister-Couturier, der in seinem Metier ein absoluter Perfektionist ist, ein Besessener, der ganz in seiner Kunst aufgeht und dabei von nichts und niemandem gestört werden darf. Kaum nötig zu erwähnen, dass Day-Lewis sich für die Rolle eigens das Nähen und Schneidern beigebracht hat.
Der Film lädt aber auch geradezu ein zu Spekulationen, inwieweit dieser Schneidermeister nicht ein Spiegelbild des Meisterschauspielers DDL ist, einem bekennenden Method Actor, der sich akribisch auf seine Rollen vorbereitet und sich so in sie hineinfühlt, dass er während der Dreharbeiten wirklich ein anderer sein soll. Dann freilich müsste man auch nach anderen Parallelen fragen: Wie hoch der Preis der Kunst ist und wie nah Schöpfung und Erschöpfung beisammenliegen. So oder so darf man „Der seidene Faden” ein Abschied nach Maß nennen.
Das wohlfeile Epos spielt im London der 50er-Jahre. Der (fiktive) Schneider Reynolds Woodcock betreibt hier an feiner Adresse ein Modehaus, „The House of Woodcock”, in dem die Reichen, die Prominenten und auch die Adligen sich einkleiden lassen. Der Meister entwirft nicht nur kostbarste Roben für die ausschließlich weibliche Kundschaft, er komponiert Unikate, die eine Persönlichkeit perfekt unterstreichen. So perfekt, dass Woodcock schon mal in Wallung geraten kann, wenn die Damen seine Kreationen nicht immer mit der gegebenen Würde zu tragen wissen.
In einem Hotel lernt der Couturier die Serviererin Alma kennen Focus Features
Man darf hier buchstäblich einem Hand-Werk zuschauen. Stoffe, Gewänder, sie sind nicht nur Arbeitsmaterialien, sie werden unter den Händen des Couturiers zu Kunstwerken. Wofür er Tag und Nacht manisch opfert. Und ein ganzes Bataillon an Schneiderinnen und Näherinnen beschäftigt. Im Zwischenmenschlichen dagegen hat dieser Mann echte Leerstellen. Frauen dienen ihm als Model, Muse, Inspiration. Aber nur kurz, dann langweilen, dann stören sie ihn, dann vergrätzt er sie aus dem Haus. Die einzige Frau an seiner Seite ist seine gestrenge Schwester Cyril (Lesley Manville), die genau weiß, wann der Meister seinen Tee und wann seine Ruhe wünscht.
Aber dann trifft der Couturier in einem Hotel auf die wesentlich jüngere und etwas unbedarfte Serviererin Alma (Vicky Krieps). Das einfache Mädchen weiß der gefeierte Mann der High Society sofort zu erobern und mit maßgeschneiderten Kostümen zu formen und zu verändern. Sie wird selbst zu einer seiner Kreationen. Aber als auch sie ihn zu langweilen beginnt, lässt sie sich nicht so einfach wegekeln. Trotzig verteidigt sie den Platz an seiner Seite. Legt sich sogar mit der eiskalten Schwester an. Und greift schließlich zu einem drastischen Mittel, um das Abhängigkeitsverhältnis umzukehren.
Für die Rolle hat Anderson die luxemburgische Schauspielerin Vicky Krieps erwählt, die sich im deutschen Film schon mit Produktionen wie „Das Zeugenhaus“ oder „Der junge Karl Marx“ bewiesen hat, international aber noch ein eher unbeschriebenes Blatt ist. Und es ist imposant, wie natürlich und selbstbewusst sie dem großen DDL begegnet – ganz wie Alma dem Couturier – und sich gegen ihn zu behaupten weiß. Ein Meister, der in seinem Modell, seiner eigenen Kreation seine Meisterin findet.
Auch für diese letzte Rolle ist Day-Lewis gerade wieder für einen Oscar nominiert worden. Er wird diesmal wohl nicht gewinnen, der Sieg für Gary Oldman als Churchill in „Die dunkelste Stunde“ gilt als ausgemacht. Aber noch einmal wird man Zeuge nicht nur einer großen Darstellung, sondern eines kreativen Prozesses: wie ein Hand-Werk zur Kunst wird.
Nie wieder will sich der Star so runterziehen lassen
Als DDL den Film drehte, wusste er selbst noch nicht, dass es sein letzter sein würde. Aber dann überkam den 60-Jährigen beim Spielen eine Traurigkeit, die ihn erdschwer nach unten zog. Was, wie er bekundete, auch nach Drehschluss nicht aufhörte. Das ist dann auch wieder tragisch, wenn eine Kunst so sehr gelingt, dass sie selbst am seidenen Faden hängt, dass sie depressiv macht. Aus diesem Grund jedenfalls mag Day-Lewis keine weitere Rolle annehmen, in der er sich wieder verlieren könnte.
Man muss seinem Freund Paul Thomas Anderson also auch etwas böse sein, dass er mit Daniel Day-Lewis diese Rolle entwickelt hat. Er ist so ein bisschen mit schuld daran, dass dem Kino ein großer Schauspieler verloren geht. Wenn der sich nicht doch noch mal eines Besseren besinnen sollte ...