Die schönsten Lippen reservierte Max Kaus für seine Frau Gertrud, Turu genannt. Sie sind so elegant und fein geschwungen, so erotisch, so vollendet in der Form wie überhaupt ihre Bildnisse. Turu war sein intimstes Gegenüber, er zeigt sie schlafend, ihr Gesicht bettet sich in die eigene Schulterpartie wie in ein gemütliches Nest. Physiognomisch gar nicht möglich, diese Verrenkung täte höllisch weh. Dann zieht Turu ihren Kimono an, setzt einen Turban auf, Kaus verpasst ihr schmale, asiatische Augen, wie sich selbst übrigens auch, wie auf einem seiner Selbstporträts in der Villa Grisebach zu sehen ist.
Seine Werke wurden von den Nazis für verfemt erklärt
Doch wer ist überhaupt dieser Max Kaus? Der Maler, Zeichner und Grafiker war ein echter Berliner, 1891 hier geboren, doch wir wissen herzlich wenig über ihn, denn er hat es nie geschafft, in die erste Liga der großen Berliner Künstler vorzudringen. Dabei sind gerade seine frühen Grafiken vom Feinsten in ihrer atmosphärischen Aufladung.
Zugegeben, Grafiken sind nun nicht das populärste Medium in der Öffentlichkeit. Im Brücke-Museum übrigens sind einige seiner Werke vertreten, darunter Turu-Porträts, er gehörte ja in den weiteren „Dunstkreis“ der Brücke-Maler, ohne je Mitglied zu sein. Mit Erich Heckel, Mitbegründer der „Brücke“, acht Jahre älter, verband ihn eine lange Freundschaft.
In den 30er-Jahren lehrt Kaus an den Vereinigten Staatsschulen (VS), und dann widerfährt ihm das, was auch Heckel erleiden muss: Die Nazi erklären seine Werke für verfemt, er muss sein Amt aufgeben, in den Museen werden seine Bilder abgehängt. Nach dem Zweiten Weltkrieg bekommt er ein Lehramt an der Hochschule für Bildende Künste (HfBK) und wird einige Jahre später zum stellvertretenden Direktor unter Karl Hofer.
Für Berlin wiederentdeckt hat ihn nun der Kunsthistoriker Markus Krause von der Villa Grisebach, wo eine kleine Schau mit Kaus’ schönsten frühen Lithografien und Radierungen – Landschaften, einige Stadtansichten, Akte, im Mittelpunkt seine herausragenden Porträts – zu sehen ist. Die Exponate stammen aus einigen Privatsammlungen und aus dem Brücke-Museum, verkäuflich sind sie nicht. Sie sind selten, in Museen eigentlich nie zu sehen, auch auf dem Kunstmarkt wird man kaum fündig.
Abgerundet wird diese Wiederentdeckung durch ein Werkverzeichnis der Druckgrafik, das Krause in jahrelanger Sisyphosarbeit erstellt hat. Er hatte Glück, Kaus’ dritte Frau Sigrid, 40 Jahre jünger als ihr Mann, lebt in Berlin, pflegt den Nachlass und war wohl nicht unfroh darüber, dass Krause den Schatz heben wollte.
Bei einem Luftangriff in der Mommsenstraße wurden 200 Bilder zerstört
Auch nach umfangreicher Recherche ist nicht klar, wie viele Werke Kaus eigentlich geschaffen hat. Der Umstand ist tragisch: Durch einen Luftangriff auf sein Atelier 1943 in der Mommsenstraße wurden 200 Gemälde im Feuer vernichtet. Dem Künstler gelang es, zumindest die frühen Grafiken – sie sind leicht zu transportieren – zu retten. Der Künstler zog auf die Pfaueninsel, Ende des Krieges wurde auch dieses Haus beschossen, und ein Großteil der einst geretteten Blätter wurde vom Flammenmeer verschluckt.
Zunächst kam für Krause erschwerend hinzu, dass der Expressionismus-Sammler Lothar-Günther Buchheim, der die umfangreichste Kollektion von Kaus-Grafiken besaß, etwas trotzig über sie wachte. Schließlich hatte er dem Künstler mit Ausstellungen die Treue gehalten. Dahinter versteckt sich wieder eine dieser erstaunlichen Dachbodengeschichten: Buchheim hatte ein Konvolut mit rund 100 Blättern früher Druckgrafik auf dem Dachboden einer Jüdin bei Paris entdeckt. Die Dame stammte aus Berlin, sammelte in den 20er-Jahren expressionistische Kunst. Sie emigrierte 1933 – nahm die Mappe mit Kaus’ Arbeiten mit. Erst 2013, drei Jahre nach Buchheims Tod, konnte Krause seine Arbeit mit diesem Teil der Grafiken beginnen.
Interessant ist, wie Max Kaus überhaupt zur Druckgrafik kam, jener künstlerischen Domäne der Brücke-Künstler, die viel mit den Techniken experimentierten. Schleifstein, Farbwalze, Presse: Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff druckten ihre Lithografien selbst, das bedeutete, sie hatten jeden Abzug im Blick, jede Abweichung zum Blatt davor – etwa die Manipulation durch das Verfließenlassen von Tusche oder das Verätzen. Kaus und Heckel waren zusammen im Ersten Weltkrieg in Belgien als Sanitäter stationiert.
Und in ihrer „Freizeit“ versuchten beide, sich mit der Kunst seelisch irgendwie über Wasser zu halten. Heckel war so etwas wie sein Mentor, zeigte Kaus, wie man druckt. Die Bedingungen, unter denen die Lithografien entstanden, müssen abenteuerlich gewesen sein, die Materialien in Kriegszeiten knapp. Die Druckpressen fertigten die beiden Kunst-Sanitäter aus demontierten Holzvertäfelungen des zerstörten Bahnhofes in Ostende an. Von einem Steindrucker bekamen die beiden kleine Steine zum Drucken.
Als Kaus 1918 nach Berlin zurückkam, war er wie befreit, kaufte sich eine Litho-Presse. Das, was er da gesehen hatte, wollte raus aus seinem Kopf. All diese Gesichter mit den Augen, den großen, schweren Augen.
Villa Grisebach, Fasanenstr. 25, Mo–Fr, 10–18 Uhr, Sa 11–16 Uhr. Bis 30. April 2016. Werkverzeichnis: 59 Euro