Im Theater ist er längst ein Star. Mit „Herbert“ beweist sich Peter Kurth nun auch im Film. Dafür musste er aber extrem Gewicht zu- und ablegen.

In vorteilhaftem Outfit sieht man ihn eher selten. In Film und Fernsehen ist Peter Kurth meist in Schlabberkleidung zu sehen, wenn nicht gar nur im verschwitzten Unterhemd. Meist hat er noch fettige Haare und benimmt sich auch so. Der Proll von nebenan. Aber so wie in seinem neuen Film „Herbert“, der jetzt im Kino läuft, hat man den 58-Jährigen noch nie gesehen.

Anfangs ist er ein riesiges, bedrohliches Stück Fleisch, ein ehemaliger Boxer, der alle Wut und allen Frust aus sich raus und in den Sandsack drischt. Weil er mal als „Hoffnung von Leipzig“ galt, sich aber durch den Olympiaboykott des Ostblocks 1984 um seine größten Meriten geprellt sah und aus Protest gegen die DDR auf Abwege geriet.

Ein Mann kämpft gegen seinen eigenen Verfall an

Eine einzige Mischung aus Muskelmasse, Tattoos, Testosteron und Schweiß. Ein Mann, der sich sein Leben lang immer über den Körper definiert hat. Bis dieser ihm abhandenkommt. Denn plötzlich bekommt er flatternde Hände, Krämpfe in den Beinen und bricht immer wieder zusammen. „Hast du die Ali-Krankheit?“, fragen ihn die anderen Boxer.

Nein, es ist nicht Parkinson. Sondern die tödliche Muskelschwundkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose, kurz ALS, die erst seit der Ice Bucket Challenge vor zwei Jahren richtig im öffentlichen Bewusstsein angekommen ist. Und so verliert dieser Mensch allmählich alles: Ruf, Job, Lebensmut – und schließlich auch die Sprache. Seinen letzten Kampf hat er nicht im Ring zu bestehen, sondern im Leben.

Ein einziges Stück Fleisch: Peter Kurth als Herbert
Ein einziges Stück Fleisch: Peter Kurth als Herbert © BM | Wild Bunch

Das könnte der endgültige Durchbruch für Peter Kurth werden. Auf den Bühnen zählt der gebürtige Güstrower ja längst zur A-Liga, nicht erst seit die Fachzeitschrift „Theater heute“ ihn 2014 zum „Schauspieler des Jahres“ kürte. Auch im Fernsehen ist er omnipräsent. Im Kino dagegen war er bisher eher auf Nebenrollen geeicht. Vor Kurzem hatte er in „Die Kleinen und die Bösen“ neben Christoph Maria Herbst eine seiner ersten Hauptrollen.

„Herbert“ nun ist ein Film, der ihm ganz allein gehört, den er ganz allein trägt. Ist er jetzt auch im Kino ganz oben angekommen? Da windet sich Kurth etwas. „Das kann ich Ihnen nicht sagen.“ Pause. „Wenn Sie das sagen, dann lassen wir das so stehen“, setzt er hinzu. Um dann doch noch zu konstatieren: „Ich bin jetzt 58. Wann, wenn nicht jetzt ...?“

Von der Probe zur Premiere

Es ist dieser Tage nicht ganz leicht, an Peter Kurth heranzukommen. Der Schauspieler, der von 2006 bis 2011 zum Ensemble des Berliner Maxim-Gorki-Theaters gehörte und dann mit Intendant Armin Petras nach Stuttgart wechselte, hat gerade einen neuen Film abgedreht.

Noch am Morgen des Interviewtags gab es in Stuttgart die Generalprobe von „Nathan der Weise“ mit ihm in der Titelrolle. Dann ging es ab in den Flieger nach Berlin, wo abends die Premiere von „Herbert“ in der Kulturbrauerei ansteht.

Peter Kurth bei der Berlin-Premiere des Films in der Kulturbrauerei.
Peter Kurth bei der Berlin-Premiere des Films in der Kulturbrauerei. © Reto Klar | Reto Klar

Uns bleibt bis zur Projektion eine knappe halbe Stunde, wofür er erst mal ein Bier bestellt. Und dann geht es am Morgen darauf ganz früh wieder zurück. Da ist Premiere. Ganz schöner Stress also. Aber Kurth wiegelt ab. „Die Ringparabel sitzt schon.“ Und um diesen Moment des Triumphs in seiner alten und nach wie vor zweiten Heimstätte Berlin will er sich nicht bringen lassen.

So ein Film, sagt er, ist ein Geschenk. Auch wenn das merkwürdig klingt, schließlich geht es um Kranke, von denen einige als Gäste gerade mit Rollstuhl zur Premiere kommen. Regisseur Thomas Stuber, der 2012 einen Studenten-Oscar gewann und mit „Herbert“ sein Langfilmdebüt gibt, und Buchautor Clemens Meyer („Als wir träumten“) haben die Vorlage ganz auf Kurth zugeschnitten, haben sie ihm buchstäblich auf den Leib geschrieben.

Erst zehn Kilo antrainieren, dann 14 Kilo weghungern

Selten stimmt die Formulierung, dass da jemand eine Rolle verkörpere, so wie hier. Kurth – der übrigens nur noch selten mit dem gleichnamigen Berliner Landespolitiker verwechselt wird – musste sich für den Film ja gleich in zwei völlig fremde Welten eindenken.

Erst die des Boxens. Was auch beinhaltete, dass er ein Vierteljahr vor Drehbeginn zu trainieren begann und zehn Kilo zugelegt hat. Und dann die von ALS. Wofür er sich hollywoodreif mit einer Radikaldiät wieder 14 Kilo herunterhungerte. „Es gibt nicht viele Schauspieler, die diese Körperlichkeit haben“, schwärmt Regisseur Stuber.

Der Ex-Boxer im Ring – da, wo er sich am wohlsten fühlt
Der Ex-Boxer im Ring – da, wo er sich am wohlsten fühlt © BM | Wild Bunch

Und das waren nur die physischen Herausforderungen: Um sich ganz einzufühlen, hat Kurth mit dem ALS-Patienten Harry Köppel Kontakt aufgenommen, durfte ihn lange in seinem Alltag begleiten. Da sei ein großes Vertrauen entstanden, „er hat uns die Tür ganz weit aufgetan“. Zu sehen, wie diese Menschen kämpfen, das hat Kurth nachhaltig beeindruckt, das bewegt ihn noch immer.

Dieser Herbert, den Kurth spielt, ist alles andere als eine Sympathiefigur. Eher ein verbitterter Zyniker, der immer Mauern um sich gebaut hat und bis zuletzt nicht auf andere angewiesen sein will. Aber wie Kurth das spielt, das geht einem zu Herzen. Das ist jetzt schon eine der stärksten Schauspielleistungen des Jahres.

Wenn es nicht mehr funkt, muss man sich trennen

„Herbert“ lief bereits erfolgreich auf internationalen Filmfestivals wie Sundance, Palm Springs und Thessaloniki. Wirkt sich das auch auf künftige Rollenangebote aus? „Auf jeden Fall“, sagt Kurth. Und lässt nichts folgen. Er liebt solch einsilbige Antworten.

Gut möglich also, dass er für das Staatstheater Stuttgart demnächst nicht mehr ganz so viel Zeit hat. Ist er eigentlich aus Treue mit Armin Petras von Berlin dorthin gezogen? „Nein“, hier wird er doch einmal etwas ausführlicher. „Aus Treue macht man keine Kunst. Es geht darum, etwas zu schaffen, auf einem gewissen Niveau zu arbeiten.“

Solange diese Arbeit frisch, fruchtbar und interessant bleibe, könne man weitermachen. Petras und er seien sich aber beide klar darüber, dass man sich, wenn es mal nicht mehr funkt, trennen müsse. „Aber an dem Punkt sind wir noch nicht.“