Der frühe Baselitz: Eine Ausstellung in der Potsdamer Villa Schönigen zeigt erstmals die Werke des Künstlers Georg Baselitz von 1959 bis 1966. Eine Zeit, in der die Berliner Staatsanwaltschaft gegen den Maler ermittelte.
Schaut man aus dem Fenster der Villa Schöningen hinaus, breitet sich dort eine arkadische Schönheit in Raureif aus. Wie in Watte gepackt wirkt das, der Zeit enthoben. Fast wie eine Landschaft aus einem Gemälde Caspar David Friedrichs.
Seltsamer Gegensatz, denn im Inneren des Potsdamer Privatmuseum zeigt der Maler Georg Baselitz seine ganz frühen Bilder. Eine Zeitkapsel mit 20 Werken aus seiner Berliner Zeit, entstanden zwischen 1959 bis 1966. Da hängt sie nun, „Die große Nacht im Eimer“, bedeutendstes Bild aus dieser Phase. Damals sorgte es in seiner ersten Einzelausstellung bei Werner & Katz für Furor. „Unsittlich“ hieß es, „reine Pornografie“. Einzig wegen einer onanierenden Figur, 1,85 Meter hoch im Format, eingetaucht in düsteres Braun. Doch kein provozierender Held steht vor uns, sondern ein reichlich geknickter Kerl, übergroß der geneigte Kopf, und doch irgendwie gesichtslos. Er hält sich an seinem Pimmel fest, etwas mühsam, so, als ob die Rettung von dort unten käme. Inspiration war für Baselitz wohl der anarchische Brendan Behan, der 1964 mit 41 Jahren am Suff verstorbene irische Literat, der sich zuweilen mit Pornoschriften finanziell über Wasser hielt.
Die Leute jedenfalls waren geschockt, Baselitz ebenfalls, aber darüber, dass so etwas möglich war im freien Westen. Denn die Polizei rückte an und der Staatsanwalt ermittelte gegen den jungen Maler, der aus dem Osten kam. Die Provokation von einst ist mittlerweile museal: Jene Skandalvariante hängt im Museum Ludwig in Köln. Mit der „Nacht im Eimer“ begann seine Karriere.
Wanderer zwischen Ost und West
Sein künstlerischer Einstieg in Berlin war für Baselitz alles andere als einfach. „Ich war aggressiv, ja wahnsinnig wütend“, meint er rückblickend. Eine gewisse Rebellion gehört schließlich zum Aufbruch, und als Raubein gibt er sich noch immer gerne. Kein Mensch interessierte sich damals für die zeitgenössische Kunst, das Berlin der Nachkriegszeit war eine urbane Wüste, eine Galerienszene gab es nicht. Muffiges Klima, befanden die jungen Künstler. „Zwanzig terpentingetränkte Zigaretten täglich, Nitroverdünnung im Hals, Kopfschmerzen und Schwindel“, so Baselitz über sein schwankendes Lebensgefühl im Jahr 1963.
Zunächst war er 1956 an der Hochschule in Weißensee in Ost-Berlin eingeschrieben, dort flog er nach zwei Semestern in hohem Bogen raus – wegen „gesellschaftspolitischer Unreife. Statt praktische Kombinatsarbeit zu leisten, hatte er es vorgezogen, zu malen. So wechselte er an die Universität der Künste im Westteil der Stadt. Alles neu, glücklich aber ist er auch hier nicht.
Der junge Student aus Sachsen, Jahrgang 1938, zaudert, zögert und hadert. Er sucht seinen ureigenen Weg in der Malerei, die um ihn herum von der Abstraktion dominiert ist, das Figürliche hingegen verschrien. Im Osten bestimmte der Sozialistische Realismus die Diskussion. Krieg, Zerstörung, Holocaust hocken tief im Kopf. Wie sollte er also malen? In welcher Richtung bloß weitermachen? Mit seinem Studienfreund Eugen Schönebeck verfasst er das Pandämonische Manifest. Dokument einer Identitätssuche, anarchische Ver-rückungen ganz im Sinne eines Antonin Artaud und seines „Theaters der Grausamkeit“ „Der Rausch“, heißt es da bittersüß, „vertieft die Abgründe.“ Und diese Abgründe gebären Dämonenköpfe.
„Natürlich malten wir“, erzählt er. „Wir nahmen das Studium ernst, haben das Beste gegeben. Aber die Hoffnung, dass man damit herauskam aus Berlin oder sogar verkauft, diese Hoffnung hatte eigentlich überhaupt niemand.“ Er erinnert sich: „Ich weiß nicht, wie die Miete rein kam. Aber das war natürlich alles mickrig. Wenn ich an die Verhältnisse heute in Berlin denke, was die Künstler für Räume haben und trotzdem nur Scheiße machen. Ich wäre nicht neidisch, aber die Situation war völlig anders.“
Jahrelang scheute sich Baselitz davor, jene Berlin-Bilder öffentlich zu machen. Vermutlich, weil ihm einiges zu martialisch geriet, malerisch zu unausgereift, vielleicht scheinen ihm Bilder wie „Geschlecht mit Klößen“ (1963) oder das Selbstbildnis „Win D.“ von 1959 einfach zu existenzialistisch. Er hielt die Werke also unter Verschluss, weil sie nicht „auf der richtigen Linie“ sind, brummelt er. Das stimmt nur halb, denn Bilder wie „Porträt Rayski“ oder „G. – Dezemberfreude ich bin der Tod“ stehen für jene unverwechselbare Authentizität des Jungmalers B., und die Potsdamer Ausstellung ist deshalb so interessant, weil sie eben diese ersten Spuren klar nachzeichnet, die über die Frakturbilder zu Baselitz’ so typischer Malerei im Kopfstand führte.
Blick zurück in die Vergangenheit
Es scheint, als ob Baselitz in dieser Schau in seine Vergangenheit schauen und gleichzeitig seine Künstlerschaft erneut unter Beweis stellen möchte. Seine gestischen, raumgreifenden Remix-Bilder fragen in gewisser Weise die eigene Geschichte ab, in dem er die alten Werke mit anderen Mitteln noch einmal animiert. Bestandaufnahme eines 74-Jährigen. Da gibt es die ironische Light-Variante der „Nacht im Eimer“. Der Masturbations-Typ der Sechziger marschiert in „Big Night“ (2008) ganz locker in Cowboystiefeln durchs luftig leichte Himmelblau. Ganz anders die historische Version „Englischrot im Wasser“. Da trägt der Typ Hitlerbärtchen, ein mächtiger Totenkopf liegt zu seinen Füßen. Dieses sei im Frühwerk bereits angelegt gewesen, im Remix aber tritt das Motiv viel stärker hervor.
Berlin aber wirkt irgendwie immer noch nach. Ob er nicht loslassen kann? Nun, da Meister Baselitz Schloss Derneburg längst verlassen und sein Domizil am bayerischen Ammersee bezogen hat, rechnet er immer wieder mit der Hauptstadt ab. „Es gibt dort Hunderte Galerien, alle reißen das Maul auf, doch dahinter steckt nichts! Großmäulig und einfach furchtbar.“ Die Vergangenheit bleibt tief eingeschrieben. Wahrscheinlich steckt hinter diesen Worten eine tiefe Enttäuschung darüber, dass er damals nicht so wahrgenommen wurde, wie er es sich gewünscht hat.