50-50-50 sind keine Traummaße. Aber Zahlen, die für den Schauspieler Florian Martens etwas bedeuten. Die 50, wir verraten kein Geheimnis, hat er knapp überschritten. Seitdem besucht er gelegentlich ein Fitness-Studio, in den ersten 50 Lebensjahren fand Martens das bei einem Blick in den Spiegel für verzichtbar. Er trainiert jetzt in der Nähe seiner Wohnung in Pankow – und traf dort den Regisseur Carl-Hermann Risse.
Eine folgenreiche Begegnung. Die beiden kannten sich von der Ernst-Busch-Hochschule; dort hat Martens studiert – zur eigenen Überraschung. Dazu später mehr. Risse wollte mit ihm ein Stück inszenieren. Martens bat sich Bedenkzeit aus, sagte dann zu. Und kam so dank des Besuchs eines Fitness-Studios zu seinem ersten Theaterauftritt seit 18 Jahren – und wir zur zweiten 50: Am 19. November 2011 wird er zum 50. Mal den chaotischen Darry spielen, der seinem Kumpel Barry ein bisschen im Haushalt helfen will und dabei nicht nur die Küche zerlegt, in der Komödie am Kurfürstendamm im Slapstick-Klassiker „Das Ende vom Anfang“.
Die 50 hat Martens auch serienmäßig durchbrochen – und das ist in der Fernsehbranche eine beachtliche Leistung: Seit 1994 ermittelt er gemeinsam mit Maja Maranow in der ZDF-Krimireihe „Ein starkes Team“ – die beiden waren auch mal in echt ein Paar, was sehr aufmerksame Fernsehzuschauer möglicherweise gespürt haben. Befreundet sind die beiden immer noch. Mitte Oktober lief die Jubiläumsfolge. „Ist janz jut jeworden“, sagt Martens, der privat berlinert, was wir aber in den folgenden Zitaten ignorieren, weil es gedruckt immer ein bisschen komisch aussieht. Am Montag starten in Berlin die Aufnahmen zu einer neuen Folge. Dass meistens im Westteil der Stadt gedreht wird, bedauert Martens als bekennender Ost-Berliner, mit dem Kudamm fremdelt er immer noch und erzählt eine Anekdote aus der Zeit des Mauerfalls: „1989 bin ich fünf Stunden lang den Kudamm hoch- und runtergelaufen. Schuhe für 500 Mark und Uhren, so teuer wie eine Eigentumswohnung. Unglaublich. Aber eigentlich ist das immer noch so. Hier hat sich gar nichts verändert.“ Diesmal kommt ihm der Westen entgegen. Er hat einen kürzeren Weg, wenn er nach den Aufnahmen ins Theater fährt.
Ein halber Zentner zu viel
Ein bisschen Muffe hat er schon gehabt, vor dem „En-suite-Gespiele“. Als seine Schwester Anfang der 90er Jahre 220 Vorstellungen am Stück am Kudamm spielte, dachte Martens, dass er sich in so einem Fall „zu Tode langweilen würde“. Das war zu der Zeit, als er an der Volksbühne engagiert war. Als Frank Castorf den Laden übernahm, hat Martens gekündigt: „Ich bin mit Castorf immer gut klar gekommen bis auf den heutigen Tag, wir waren zwischenzeitlich Nachbarn in den Hackeschen Höfen. Aber ich hab mir damals ein Pendant zu Castorf gewünscht, jemand, der konventionelles Theater im allerbesten Sinne macht, aber das gab es nicht an der Volksbühne.“
Aber es gab schöne Film und Fernsehangebote. „Ich dachte, ich mache das ein Jahr und dann juckt es mich und ich muss zurück zur Bühne. Aber dann juckte nichts mehr“, sagt Martens. Er war „voll im Geschäft“, drehte mit Dieter Wedel Mehrteiler – und dachte nicht mehr ans Theater. Vielleicht fiel ihm der Abschied auch leicht, weil seine letzten Bühnen-Auftritte schwere Kost waren. Koltès' „Die Nacht kurz vor den Wäldern“, ein Monologstück: „Ein Satz, der ging über 48 Seiten – das hat keiner verstanden, inklusive meiner Person. Dagegen sind die großen Dramatiker Trivialliteratur.“
"Auf den Leib geschrieben"
Martens erzählt das, als ob es gestern gewesen wäre. Wenn er redet, glaubt man, dem Otto aus „Ein starkes Team“ gegenüber zu sitzen. „Die Rolle ist mir auf den Leib geschrieben“, sagt Martens, der einräumt, dass es für eine optimale Karriere nicht optimal ist, mit einer Figur identifiziert zu werden. Dass er auch im Fernsehen berlinert, führte dazu, dass sein Agent gefragt wurde, ob Martens überhaupt Hochdeutsch könne. Er kann! Hat schließlich eine klassische Ausbildung an der Busch-Hochschule gemacht. Wenn er von seinem Weg dorthin erzählt, macht er das mit einem sicheren Gespür für die Pointen. Es folgt die Kurzversion. „Einen Kopf kleiner und einen halben Zentner leichter – dann wäre ich nie Schauspieler geworden. Sondern Jockey.“ Die Schule hat er nach der zehnten Klasse verlassen: „Ich hab' Rekorde im Schwänzen aufgestellt, habe nur gemacht, wozu ich Lust hatte.“ 183 Mal kam er zu spät – „das war inoffizieller DDR-Rekord“.
Seine Mutter sorgte sich. Sie hatte Angst, „dass ich asozial werde, das war in der DDR ein Straftatbestand“. Also besorgte sie ihm eine Lehrstelle. Als Baumaschinist. Außerhalb Berlins. „Eine gruselige Lehrzeit, schlimmer als bei der Armee. Nur Männer, zehn in einem Zimmer, drei verdreckte Klos für 80 Leute, es herrschte Faustrecht.“ Trotzdem hat er die Lehre abgeschlossen, später umgesattelt auf Berufskraftfahrer („ohne Tonnenbegrenzung“), aber ohne Berechtigung für Fahrten ins nichtsozialistische Ausland. Irgendwann langweilte ihn das. Er erinnerte sich an seine Auftritte im Arbeitertheater, die waren ganz gut angekommen. Ein Kollege meinte: Bewirb dich doch mal an der Schauspielschule. Martens war ja durchaus vorbelastet. Die Eltern Schauspieler, die Schwester auch. Weil ihm sein Chef nicht freigeben wollte – Martens hatte Frühschicht –, fuhr er heimlich in Arbeitsklamotten zur Aufnahmeprüfung an die Schauspielschule, die damals ein Ausweichquartier in Biesdorf bezogen hatte. „Der 24-Tonner passte kaum auf den Hof. Ich hatte eine Latzhose an, Stiefel, Schiebermütze und sah mit meinem Vollbart aus wie 30. Und sollte den Romeo spielen.“ Er bestand.
Eine dicke Brille und Schiebermütze trägt er jetzt wieder – auf der Bühne. Und eine Perücke. Das hat ihn so verändert, dass ihn eine Besucherin auf der Premierenfeier gefragt hat, was er denn hier mache? Sie hatte ihn auf der Bühne – er spricht dort Hochdeutsch – nicht erkannt.
Ist für Martens „Das Ende vom Anfang“ der Beginn eines Theater-Comebacks? Das lässt er offen. Erst mal das Ende abwarten. Bis zum 20. November 2011 spielt er noch – insgesamt 51 Vorstellungen.