Konzert in Berlin

Wie Roxette den Riesen-Stadion-Pop wiederbeleben

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Frédéric Schwilden

Foto: dpa / dpa/DPA

Bei "Joyride" fallen Luftballons, bei "It must have been love" leuchten die Augen: Roxette feiern in der O2 World nach langer Krankheit von Sängerin Marie Fredriksson ihr Comeback - vor dem ungefährlichsten Publikum der Welt.

Wenn es noch Bands gibt, auf die sich jeder einigen kann, dann bestimmt Roxette. Die kann man selbst 25 Jahre nach ihrer Gründung bedenkenlos auflegen, wenn Besuch kommt. Die Schweden spielen sehr gefällige Musik, nicht zu rockig, aber trotzdem mit Soli, die Männer gerne nachmachen.

Kurzum, Roxette kommen immer gut, egal ob Ende 50 oder Anfang 20. Entsprechend durchmischt ist auch ihr Publikum in der O2 World. Da hüpft das Hipster-Teen mit selbstgemaltem Roxette-Shirt, das wirkt dann individueller, neben den vier Muttis, die es mal so richtig krachen lassen, mit Sekt und Knick-Stäben natürlich. Pappi nimmt den Kleinsten auf die Schulter, der trägt grüne Ohrenschützer.

Die Erwartungen sind groß. Sprechgesänge formen sich, zerfallen wieder. Einer fängt an, und auf einmal ist ein ganzer Block, eine ganze Kurve damit erfüllt. Der Zwei-Finger-Pfiff ist auch sehr beliebt. Licht aus, Spot an.

Für Marie Fredriksson ist der helle Lichtkegel fast ein bisschen zu grell. Die Sängern ist dünn wie ein Geist. Selbst die Lederhose, der Nietengürtel und die silbern glitzernde Jacke können da nicht drüber hinwegtäuschen. Das kurze, weißblonde Haar ist jetzt nicht frech, sondern streng. Aber, wenn als zweiter Song bereits „Sleeping In My Car“ gespielt wird, bemerkt man das gar nicht. Und auch, dass Fredriksson anfangs nicht so hoch kommt mit ihrer Stimme, pah, bestimmt schlecht abgemischt. Man will das alles gar nicht sehen und hören. Ein jeder will die bezaubernde elfengleiche, strahlende Sängerin bewundern, will das Lächeln und das Gepose von Per Gessle abfeiern, einer der sich mit 53 noch die Fingernägel schwarz lackiert.

Die Schweden haben das ungefährlichste, zahmste Publikum der Welt. Um den Steh-Bereich sind zwei blitzgerade, weiße Linien gezogen. Von ganz hinten bis zur ersten Reihe. Gut einen Meter Abstand zu den begrenzenden Rängen, alle 40 Meter steht einer mit einer Taschenlampe. Und in diesen Bereich traut sich wirklich niemand. Kein Schild, keine Absperrung hält sie davon ab, nur eine weiße Linie auf dem Boden. Nach dem vierten Lied braucht Gessler schon ein Handtuch um sein Gesicht zu trocknen, die Besucher bleiben immer noch brav zwischen den zwei Linien.

Zehn Jahre haben Roxette für ihr achtes Studio-Album gebraucht. Nachdem bei Fredriksson ein Hirntumor festgestellt wurde, zog sich die Band zurück. Krebs ist immer eine der härtesten Diagnosen. Abrupt trennt sie das Leben in unbeschwertes Vorher und sorgenvolle Zukunft. Acht Jahre nach der Diagnose gilt sie als geheilt.

Im Februar dieses Jahres erschien „Charm School“. Wieder viel Up-Tempo, viel Synthies, viel Disco, Rieson-Stadion-Pop, gar nicht schlecht und eine Ansage: Hey, seht her, ich bin gesund! „Only When I Dream“ ist einer dieser Momente, wo sie das ganz laut ruft. „Some might say it's over now. I don't believe them.“ Recht hat sie.

Dann wird alles ganz still. Nur noch Gessle und die Sängerin stehen auf der Bühne. Gitarre und Stimme: „It Must Have Been Love“. Ein heiliger, ganz seltsam schöner Moment ist das, wenn um einen herum, tausende Menschen einen Refrain singen. Eigentlich sollte das einem Angst machen, also, dass so viele Menschen zur selben Zeit das Gleiche tun. Aber wenn man in ihre Gesichter schaut, dann ist da Freude und ein Blitzen, wie bei Kindern, die voller Ehrfurcht vor dem Kerzenlicht eines Weihnachtsbaums erstarren. So falsch wird das schon nicht sein. Der Riesen-Display auf der Bühne lässt hundert kleine Sternchen leuchten.

Natürlich fallen am Ende des Konzerts die Luftballons von der Decke: bei „Joyride“. Natürlich spielen Roxette eine Greatest-Hits-Show, und irgendwie sind das „Thank You“, das „It's good to be here“ mehr Höflichkeitsgesten als Ausdruck von echter Dankbarkeit und Begeisterung. Klar war das unpersönlich, diese Art der Inszenierung, die sich auf die guten Songs, das Aussehen auf „The Look“ verlässt. Sei's drum. Das hat hier niemand gesehen.