Mark Knopfler und Bob Dylan trafen sich in Berlin in der ausverkauften O2 World und erzählten die Geschichte der Rockmusik von zwei Seiten. Auf der Bühne standen ein Schmeichler und ein Schrat.
Der Deutsche möchte, dass die Welt ihn mag. Mark Knopfler tritt vor 11.000 Konzertbesucher in Berlin und stimmt ein Loblied auf die Deutsche Mark an, auf die deutschen Mädchen und das deutsche Bier. Seine Gitarre schimmert preußisch blau. Behaglich rekeln sich die Gäste im Gestühl. Das Lied des Schotten trägt den Titel „Why Aye Man“, es handelt von der Wirtschaftskrise, an der Margaret Thatcher schuld sei, die Premierministerin der achtziger Jahre. Seither wolle niemand mehr in Großbritannien arbeiten, auf „Maggie’s Farm“, singt Knopfler. Und da freuen sich die aufmerksamsten Zuhörer noch einmal ganz besonders, weil der Sänger einen Klassiker zitiert: Bob Dylan hatte „Maggie’s Farm“ geschrieben und gesungen, um seiner Gemeinde durch die Blume zu erklären, dass der Folk ihn bereits 1965 langweilte.
Mark Knopfler und Bob Dylan reisen nun gemeinsam durch Europa. Knopfler, 62 Jahre alt, kam mit den Dire Straits zu Ehren, einer Band, die Bluesrock für Familienfeiern spielte und damit zwischen den späten Siebzigern und frühen Neunzigern erfolgreich war wie niemand sonst. In einer Zeit, als sich Bob Dylan, heute 70, mit der eigenen Legende plagte, religiöse Lieder sang und geisterhafte Auftritte bestritt wie 1987 im Treptower Park. Mark Knopfler half ihm damals bei den Alben „Slow Train Coming“ und „Infidels“. Als die Dire Straits verschwunden waren, fing sich Dylan für ein würdiges Alterswerk. Seither scheint er als Zeitzeuge der ursprünglichen Rockmusik wieder zu wachsen. Während Knopfler immer leiser wird und ländlicher.
Mark Knopfler steht mit einer Folkband auf der Bühne der O2 World zwischen Geigern und Flötisten. Unbewegt trägt seine warme Stimme Lieder vor wie „Privateer“, er fühlt sich wohl in ihnen wie in seinem Seidenhemd und seinen Jeans. Durch die akustische Kapelle kommt auch sein Gitarrenspiel besser zur Geltung. Knopflers beiläufige Bluesphrasen werden begrüßt wie alte Schulfreunde. Seine Gitarren führt er vor wie Sammlerstücke, goldgelbe bis kirschrote Preziosen. Auch sein Publikum lobt er ausführlich, Knopfler schmeichelt Land und Leuten. Und dann spielt er endlich „Brothers In Arms“, die Hymne auf die Waffenbrüderschaft der Dire Straits, wobei nie klar war, wessen Waffenbrüder sie im Geiste waren. Beifall, stehend, Danksagung des Künstlers, Zugabe und Umbaupause.
Schon nach einer Viertelstunde geht im Saal wieder das Licht aus, die Musik bricht los, Bob Dylan krächzt „Leopard-Skin Pillbox-Hat“, und seine überraschten Gäste tasten sich zurück zu ihren Plätzen. Dylan steht hinter der Heimorgel mit Hut und Gehrock. Vor ihm spielt Mark Knopfler die Verzierungen wie ein Musikschüler. Die Band trägt graue Anzüge. Bot Knopflers Bühne Rockmusik als farbenfrohes Fest, wirkt Dylans Bühne streng schwarz-weiß. Er lässt sich ebenfalls eine Gitarre reichen, „It’s All Over Now, Baby Blue“ bellt er. Während der Jüngere die Saiten von den Fingerkuppen perlen lässt, behandelt sie der Ältere wie rostige Drähte.
Immer wieder ließ Bob Dylan sich zu seltsamen Duetten hinreißen. Joan Baez entblößte seine kümmerliche Stimme. Johnny Cash half ihm heraus aus seiner Rolle als protestsingender Bürgerrechtler. Er verbrüderte sich mit Paul Simon, der als Dylan für Mädchen galt, weil er sich nicht mit Hymnen aufhielt, sondern Hits verfasste. Im Duett wollte Bob Dylan seinen Jüngern immer etwas sagen, in der Regel: Ich bin ein anderer. Es ging gegen die reine Lehre, die von seinen Hörern diskutiert wird, seit er sich eine elektrische Gitarre umhängte, sich „Judas!“ schimpfen lassen musste und seit er berühmt ist als Literaturnobelpreisträger ohne Preis.
Zur aktuellen Tour gibt es ein Album, das „Pure Dylan“ heißt und Songs für Kenner zu einer alternativen Hitsammlung vereint. Das erste Stück ist „Trouble In Mind“ von 1979, die Gitarre spielt Mark Knopfler.
Knopfler steht für insgesamt vier Lieder bei ihm auf der Bühne, aber niemand weiß, warum. Weil sich Bob Dylan eigentlich ganz wohl fühlt als Rätsel vom Dienst? Weil sie gemeinsam die modernen Mehrzweckhallen mit den teuren Logen füllen? Weil sie einfach Freunde sind, die sich mit Mark und Mr. Bob anreden? Knopfler ist im fünften Lied plötzlich aus Dylans Repertoire verschwunden, und sein Anhang folgt ihm aus dem Saal. Zunächst vereinzelt und verschämt, bald scharenweise und erheitert über Dylans ruinierte Stimme und die rustikale Art der Darbietung.
Es stimmt schon: „Desolation Row“ erinnert mittlerweile im Gesang an Loriots sprechenden Hund. Die Mundharmonika in „Ballad Of A Thin Man“ klingt asthmatischer denn je. Der Sänger ist zwar festlich angezogen wie zu einer Dankesrede, sagt aber kein nettes Wort. Bob Dylan ist durchaus etwas verlässlicher geworden und verständlicher. Er weiß, dass er den zahlenden Besuchern „Highway 61“, „All Along The Watchtower“ und „Like A Rolling Stone“ nicht vorenthalten kann, und dass die Leute ihre Klassiker gern wieder erkennen. Aber er wird sie nie werktreu aufführen und frei von Zumutungen. Als er aller ehrfürchtigen Zuschreibungen überdrüssig war, rief er sich selbst zum „Song- and Dance Man“ aus. Ein Sänger, der nicht tanzen und ein Tänzer, der singen kann. Zumindest nicht im buchstäblichen Sinn.
An diesem Abend tanzt Bob Dylan munter durch sein Werk wie ein betrunkener Wanderprediger. Geht in die Knie am Mikrofon und mit der Mundharmonika und lässt die Hüften kreisen, wenn er sich an seiner Orgel festhält. Was aus seinem Hals drängt, hört sich nach der Seele jenes alten Mannes an, der er bereits vor 50 Jahren sein wollte, auf den New Yorker Kneipenbühnen.
Was sein Treffen mit Mark Knopfler lehrt: Man kann die Rockgeschichte von zwei Seiten her erzählen. Aus der Sicht des Schmeichlers, der seine Musik als Dienstleistung versteht und auch von seinen Hörern so verstanden wird. Und aus der Sicht des Schrats, der seine Stücke ernster als sich selber nimmt und nicht verlangt, dass man ihn mag. Am Ende zeigt Bob Dylan seine leeren Hände, ohne Zugabe und Gruß geht er davon.