Konzert in Berlin

Morrissey verkündet solide den Weltschmerz

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Matthias Wulff

Foto: Getty Images

Der britische Sänger Steven Morrissey gab in der Zitadelle Spandau sein einziges Deutschlandkonzert in diesem Jahr. Der Grandseigneur der Melancholie ließ sich von seinen Fans nicht beirren.

Da könnten sie vorn noch so viele Blumen auf die Bühne werfen, Steven Patrick Morrissey wird die Menschen vor ihm nicht zur Kenntnis nehmen. Er ist gekommen, um eine Vorstellung zu geben. Er ist der Meister der großen Gefühle und nicht das Blumenkind. Seine Haltung ist äußerst gerade und aufrecht und selbstsicher, zuweilen kündigt er den Refrain mit der einen oder anderen ausladenden, imperialen Armbewegung an, seine Songs begleitet er mit sparsamem Mitwippen Er trägt seine Stücke vor, eher wie ein Schauspieler im Theater als wie ein Popmusiker, der ja zumeist durch die Gegend hüpft. Die Theatralik seiner Gesten, seiner Ansprachen und seiner Musik vereinen sich zum Gesamtkunstwerk des Mister Morrissey.

75 Minuten wird das Konzert des Sängers aus Manchester an diesem Montagabend gehen, seinem einzigen Auftritt in Deutschland auf seiner Tour in diesem Jahr. In diesen Tagen, die stündlich mit neuem Wetter überraschen, hatte er in der sehr gut besuchten Zitadelle in Berlin-Spandau (und das bei einen strammen Eintrittspreis von 50 Euro) ausgesprochen Glück. Es ist mild und trocken, und die anfänglich beharrlich nervenden Wespen schlagen die Raucher mit unermüdlichem Einsatz in die Flucht. „Ich war überall auf der Welt“, kündigt Morrissey in seinem britischsten Britisch ein Lied an, „ich war in Leipzig. Ich war in Hannover. Und ich war in Essen. Und ich muss sagen: People are the same everywhere”, so der Titel einer seiner neuen Songs.

Was natürlich aus seiner Perspektive seine Richtigkeit hat, das Konzert hätte überall in der Republik stattfinden können: Sein Publikum ist auf ungewöhnliche Weise unscheinbar. Es ist der Tag der Pärchen, fast durchgehend heterosexuell, die Mitte der achtziger Jahre seine frühere Band „The Smiths“ toll gefunden haben und sich in deren rotzigen Mischung aus Arroganz, Melancholie und Weltabgewandtheit wiederfanden. Sie waren damals zwischen 15 und 20 Jahre alt und sind heute die neuen Normalos: Zivilisiert, ernsthaft, zaghaft mittänzelnd und vor allem dann richtig bei der Sache und textsicher, wenn ein Gassenhauer wie „Everyday ist like Sunday“ erklingt. Die üblichen modischen Berliner Schrägheiten, im guten wie im üblen, sind irgendwo anders. So stechen einige Männer heraus, die in legerer Sommerkleidung und nach hinten gegeltem Haar wie gut gelaunte Vertreter aus der Immobilienbranche wirken und ihre iPhones fröhlich schwenken. Ansonsten freut man sich eher still.

Es ist grundsolide, was Morrissey und die fünf anderen Herren auf der Bühne vortragen. Seine neue Band spielt ohne Fehler, lässt es am Ende noch ordentlich mit viel E-Gitarren-Gewimmere krachen. Morrissey ist ein Handwerker im allerbesten Sinne, denn wer schafft es sonst noch mit 52 Jahren eine Zeile wie „I just can’t find my place in this world“ zu singen und dabei eine überzeugende und nicht peinliche Figur zu machen? Er kann es halt. Wie er da auf der Bühne stolziert, erscheint er gestandener denn je. Sein bissiger Charme ist geblieben, doch das Zornige, das Borstige ist nicht mehr zu erkennen. Er sei „so wenig unglücklich“ wie nie zuvor in seinem Leben, hat er vor ein paar Wochen dem englischen „Telegraph“ erzählt, er sei besser in der Lage, „die Welt von sich fern zu lassen“. Für jemanden, der sich obsessiv mit Einsamkeit und Tod beschäftigt, ist das keine schlechte Zwischenbilanz.

Es ist ein wenig schade, als das Konzert um 21.15 Uhr schon zu Ende ist. Bei „I am throwing my arms around Paris“ und „Irish Blood, English Heart“ ist in Ansätzen Stimmung zu erkennen, es wird endlich dunkel, jeder vermisst noch das eine oder andere persönliche Lieblingslied, doch mehr als eine Zugabe gönnt Morrissey dem Publikum nicht. Vielleicht ist es ja auch okay so, die Nächte werden nicht mehr durchgemacht, morgen klingelt wieder der Wecker.