Im Martin-Gropius-Bau startet kommende Woche eine Ausstellung mit Kunst aus dem New Yorker Museum of Modern Art (MoMA). Was das besondere daran ist, darüber sprach Morgenpost Online mit Museumsdirektor Gereon Sievernich.

Die MoMA-Schau in der Neuen Nationalgalerie war der große Museumserfolg des Jahres 2004. Mehr als eine Million Menschen schauten sich damals die Werke der großen Malerfürsten aus dem New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) an. Am Donnerstagabend startet in Berlin wieder eine Ausstellung mit wunderschöner MoMA-Kunst, dieses Mal im Martin-Gropius-Bau in Berlin-Kreuzberg. Gezeigt werden aber keine Gemälde, sondern Zeichnungen. Die Ausstellung trägt den Namen „Kompass“ und zeigt rund 250 Arbeiten auf und aus Papier. Dabei sind Werke von wichtigen modernen und zeitgenössischen Künstlern, darunter Jasper Johns, Robert Rauschenberg, Martin Kippenberger und Amelie von Wulffen. Die Ausstellung ist bis 29. Mai 2011 (Mi–Mo von 10 bis 20 Uhr) zu sehen. Dienstags ist geschlossen. Der Vorverkauf hat bereits begonnen. Tickets: 12 Euro, erm. 8 Euro.

Ein Gespräch mit Gropius-Bau-Direktor Gereon Sievernich über die neue MoMA-Ausstellung.

Morgenpost Online: MoMA war der Ausstellungserfolg 2004, nun wieder MoMA, sind Sie nach Peter Raue der neue „Mister MoMA“?

Gereon Sievernich: (lacht) Nein, Peter Raue ist Peter Raue. Aber MoMA hat Berlin damals einen kräftigen Impuls gegeben. Seither ist die Stadt ein noch attraktiverer Ort geworden, nun kommt die zweite Schau aus dem MoMA. Allerdings ist unser Auftritt etwas bescheidener, wir zeigen nicht Malerei, sondern Zeichnungen, das ist der große Unterschied zu der Schau in der Neuen Nationalgalerie. Wir wollen bei Zeichnungen künftig mehr tun, für sie haben wir auch das zweite Obergeschoss umgebaut, alles klimatauglich gemacht, was aus konservatorischer Sicht bei Zeichnungen sehr wichtig ist. Der Kurator dieser Ausstellungen, Christian Rattemeyer, ist jemand, der deutsche Wurzeln hat und Karriere am Museum for Modern Art gemacht hat. Wir haben uns zusammengesetzt und sehr schnell einen Vertrag über die Ausstellung im Gropius-Bau zustande gebracht. Wir sind sehr stolz, dass wir als einziger deutscher Ort die Schau hier zeigen können.

Morgenpost Online: Benötigt man denn immer so einen „door-opener“ wie Herrn Rattemeyer?

Sievernich: Nein, aber es macht natürlich vieles leichter und schneller. Sowohl das MoMA als auch der Gropius-Bau sind ja beide Partner, das MoMA etwa war schon öfter Leihgeber für bestimmte Arbeiten, die hier gezeigt wurden. Also, man kennt uns dort sehr gut. Wir haben ja das Problem, dass wir keine eigene Sammlung haben, also nicht sagen können: Wir haben dieses, dafür wollen wir jenes. Deshalb ist es mitunter schwieriger, das zeigen zu können, was man gern möchte, aber Sie sehen ja: In diesem Fall hat alles wunderbar funktioniert. Die Kollegen vom MoMA haben einfach großes Vertrauen in uns, deshalb konnten wir dieses wunderbare Projekt jetzt angehen.

Morgenpost Online: Was macht den Reiz der Ausstellung aus?

Sievernich: Der Hintergrund ist tatsächlich ein wenig kurios, aber im positiven Sinne. Die Schau der MoMA-Zeichnungen wurde nämlich durch eine „Verbrauchsstiftung“ der Judith Rothschild Foundation ermöglicht, deren Geld in voller Höhe für den Ankauf von Zeichnungen zur Verfügung stand. Und das wurde genutzt für den Kauf von Werken, deren ältester Künstler so um 1900 geboren wurde und der jüngste um 1975. Insofern ist das ein fantastisches Panorama der modernen und zeitgenössischen Kunst seit den 50er-Jahren, das bis in unser Jahrhundert hineinragt.

Morgenpost Online: Wurde für die Schau in Ihrem Haus tief in die Archivschubladen gegriffen?

Sievernich: Na ja, Zeichnungen werden ja nie dauerhaft gezeigt, weil sie sehr lichtempfindlich sind. Deshalb liegen sie ja sonst im Archiv. Wenn so ein Material gleich auf mehreren Stationen ausgestellt wird, dann muss es eine Zeit lang einfach ruhen. Die Ausstellung wurde in New York gezeigt, dann in Valencia und nun auch bei uns.

Morgenpost Online: Das kostet sicher viel…

Sievernich: Das kann man so nicht sagen. Gemessen am kunsthistorischen Wert, ist es weniger, als bei einer Ausstellung mit Gemälden fällig würde. Da haben wir einen sehr guten Vertrag gemacht. Die Stiftung hat in die Sammlung etwa 18 bis 20 Millionen Dollar investiert.

Morgenpost Online: Zur Sammlung gehören Arbeiten von Warhol, Johns, Rauschenberg, Twombly und Kippenberger, welche Arbeit gefällt Ihnen am besten?

Sievernich: Mir gefällt die Arbeit von Marcel Odenbach, die einen Wald zeigt. Wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass die darauf abgebildeten Baumstämme aus vielen Schichten von Zeitungsausschnitten zusammengesetzt sind. Eine Montage aus Text-Schnipseln, die zu einem Birkenwäldchen wurden, eine ganz raffinierte Arbeit. Daneben sind auch frühe Zeichnungen von Beuys zu sehen. Zeichnungen sind ja etwas, was oft am Anfang des Schaffens steht, sie offenbaren etwas sehr Prozesshaftes in der Arbeit der Künstler, vieles, was man erst auf den zweiten Blick sieht. Überhaupt zeigen wir mehr, als das Wort Zeichnung erahnen lässt, nämlich wie bei Odenbach auch Montagen und Collagen, kurzum Werke aus und auf Papier. Ein Blick auf die Kunstgeschichte des vergangenen Jahrhunderts.

Morgenpost Online: Haben Sie nach den Erfolgen mit Olafur Eliasson und Frida Kahlo keine Angst, dem selbst erzeugten Erfolgsdruck nicht mehr gerecht werden zu können?

Sievernich: Das Museumsgeschäft ist immer voller Überraschungen. Bei Frida Kahlo etwa hätten wir niemals mit 240.000 Besuchern gerechnet, doppelt so viele als erwartet.

Morgenpost Online: Befremdet Sie das?

Sievernich: Manche sind, glaube ich, weniger wegen des Museums gekommen als vielmehr wegen der Lebensgeschichte Frida Kahlos. Es gibt immer einen Punkt außerhalb der Kunst und der Kunstgeschichte, der den Besucher zum Kommen bewegt. Es ist aber sehr erfreulich, dass nicht nur die „Wissenden“ kommen, sondern auch viele, die einen ersten Gang zu uns wagen.

Morgenpost Online: Wagen wir einen Blick in die Zukunft, welche Highlights erwarten uns noch?

Sievernich: Ein Höhepunkt wird am 21. September die Eröffnung der Ausstellung „Polen – Deutschland, 1000 Jahre“ sein, die durch die Staatsoberhäupter beider Länder eröffnet wird. Dabei erfährt man vieles, was kaum bekannt ist, etwa dass die erste polnische Königin im Kölner Dom begraben ist. Wir wollen zeigen, was sich zwischen diesen beiden Ländern ereignet hat. Da ist noch mehr zu tun als im deutsch-französischen Verhältnis.

Morgenpost Online: Da werden sicher auch viele Besucher aus Polen in Ihr Haus strömen. Woher stammen die Besucher insgesamt? Als „kultureller Leuchtturm des Bundes“ wirkt das Haus ja weit über die Grenzen Berlins, nicht zuletzt auch wegen des Internets.

Sievernich: Grob kann man sagen, dass etwa 60 Prozent nicht aus Berlin kommen. 20 bis 30 Prozent kommen nicht aus Deutschland. Wir werben ja längst in Spanisch, Französisch, Italienisch und Englisch auf unserer Homepage und werden das bald auch in Polnisch tun. Übrigens: Wir haben mal ausgerechnet, dass der Gropius-Bau Berlin durch seine Ausstellungen rund 100 Millionen Euro pro Jahr erwirtschaftet, was also ein Tourist, der für eine Ausstellung anreist, pro Tag in Berlin ausgibt inklusive Hotel. Wir tragen also neben den anderen Museen ganz erheblich zur Attraktivität Berlins bei. Wir betreiben hier ein virtuelles, weltweit bekanntes Universalmuseum.

Morgenpost Online: Bei Frida Kahlo musste man bis zu fünf Stunden auf Einlass warten. Gibt das die Messlatte für Erfolg vor? Solche Wartezeiten gibt es ja nicht mal im Louvre…

Sievernich: Wir würden natürlich gern ohne solche Wartezeiten auskommen und werden auch künftig alles tun, damit Besucher in einem angemessenen Zeitraum in unser Haus kommen. Das ist zwar groß und schön, aber auch sehr arm. Wir bekommen 2,5 Millionen für unser Haus pro Jahr vom Bund. Zum Vergleich: Die Bundeskunsthalle in Bonn bekommt 15,7 Millionen Euro jährlich. Für Ausstellungen haben wir jedoch kein Geld. Ich muss für jede Ausstellung ein Budget entwerfen und mich fragen: Schaffen wir das? Solche Erfolge wie der mit Frida Kahlo helfen dann, auch so was wie mit dem MoMA zu ermöglichen. Wenn wir aber Kunst zeigen, die historisch von Wert ist, aber nicht so großen Erfolg hat, dann haben wir schnell Probleme.

Morgenpost Online: Seit 2001 kamen mehr als fünf Millionen Besucher, und Sie zeigten mehr als 100 Ausstellungen. Eine ziemlich gute Bilanz.

Sievernich: Das Lob nehmen mein Team und ich gern an. Wir hatten Glück, dass die Mischung, für die unser Haus bekannt ist, von Installationen über Fotoschauen bis zur Malerei und Archäologie, vom Publikum gut angenommen wird. Wenn es uns gelingt, auch weiterhin pro Jahr drei bis vier wichtige Ausstellungen zu zeigen, dann sind wir erfolgreich. Dennoch „knirscht“ es finanziell. Ich sage immer etwas scherzhaft: Auch wenn wir ein „Leuchtturm“ des Bundes sind, der uns ja finanziert, so sind die „Leuchtmittel“ doch sehr knapp. Wir könnten in der Spitze noch besser sein, wenn wir etwas besser ausgestattet wären und langfristiger planen könnten.

Morgenpost Online: Mehr Geld ist nicht zu erwarten?

Sievernich: Zurzeit nicht.

Morgenpost Online: Zum Abschluss - benötigt Berlin eine ständige Halle für Gegenwartskunst?

Sievernich: Die „Kunsthalle“ ist ja, wenn man so will, eine Bürgerinitiative des 19. Jahrhunderts gewesen. Mannheim, Baden-Baden und Köln haben deshalb eine solche Halle, warum also nicht Berlin? Angesichts der großen Zahl der in Berlin lebenden Gegenwartskünstler und dieser tollen Kunstszene hier sollten wir schon einen Ort haben, wo sie von einem guten Kuratorenteam beobachtet werden, was die Kunstszene in Berlin noch bereichern würde. Ob am Humboldthafen oder woanders.