200 Künstler, Kuratoren und Galeristen kritisieren in einem offenen Brief Wowereits initiierte “Leistungsschau“ junger Kunstschaffender. Sie werden ihm Kunstmissbrauch als Stadtmarketing und zu Wahlkampfzwecken vor.

Das Bild der Demontage ist schon ziemlich symbolträchtig. Dieser Tage wird am Schlossplatz die temporäre Kunsthalle abgebaut. Verkauft nach Wien, wo sie bald in der Mitte der Stadt als neue, junge Location für große Installationen und Videos dienen soll. Zwei Jahre holperte sich das privat finanzierte Projekt – auf dem unendlich viel Hoffnung lag als Testballon für eine ständige Kunsthalle – mehr schlecht als recht dem dann doch noch schönen Finale entgegen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde deutlich, dass es Klaus Wowereit mit seinen Plänen für eine permanente Kunsthalle nicht so leicht haben würde.

Über 200 Künstler sind beteiligt

Und so kam es auch. Wowereits hochfliegendem Projekt ging nach und nach die Luft aus. Von den ursprünglichen Plänen einer Kunsthalle am Humboldt-Hafen mit dem schillernden Bilbao-Effekt blieb nicht viel, weil sich kein Investor fand. Nun plant Wowereit stattdessen im Sommer eine sogenannte „Leistungsschau“, Budget: 1,6 Millionen Euro. Standort: eine mobile Modul-Architektur am Humboldthafen. Das Auswahlverfahren soll demnächst beginnen. Doch nun laufen Wowereit die Künstler weg, Meuterei in der Berliner Szene. Über 200 Künstler, darunter Thomas Floerschutz und Katharina Sievernich, aber auch jede Menge Unbekannte, stellen einen offenen Brief („Haben und Brauchen“) ins Netz . Sie rechnen ab mit der Idee des Regierenden.

Zuallererst empört man sich über den Begriff „Leistungsschau“, als einer „neoliberalen Rhetorik von Effizienz und Leistungsfähigkeit“; der Künstler an sich möchte sich nicht in den ökonomischen Verwertungsmechanismus eingliedern lassen. Zudem seien das ganze Konzept und die Finanzierbarkeit fragwürdig und intransparent. Dem „einmaligen Ausstellungsspektakel“ gehe die Nachhaltigkeit ab. Die Künstlerschaft sieht sich aufgrund der „Kurzfristigkeit für die Wahlkampfinteressen“ missbraucht. Initiiert wurde der Brief vom Salon Populaire, in dem regelmäßig Foren und Werkstattgespräche stattfinden.

Eine Kritik, die die Senatskulturverwaltung naturgemäß nicht teilt. Rund 1.000 Künstler hätten sich für die Ausstellung beworben, erzählt Torsten Wöhlert, der Sprecher der Kulturverwaltung. Natürlich will er diese 1.000 nicht gegen die 200 protestierenden, aus denen am ersten Tag der Veröffentlichung im Netz gegen Abend schon 559 geworden sind, gegenrechnen. Aber die Kritik an der „Leistungsschau“ kommt für ihn zu früh, denn erst Mitte bis Ende Februar soll das Projekt im Detail vorgestellt werden. So ganz spurlos aber geht der offene Brief an den politisch Verantwortlichen nicht vorbei. Da wird schon mal auf den Parlamentsbeschluss verwiesen, so nach dem Motto: Eigentlich ist das ganze ja eine Idee des Abgeordnetenhauses.

Das ist einerseits nicht falsch, denn die 600.000 Euro als Werbemaßnahme für eine permanente Kunsthalle wurden dort bewilligt. Andererseits wollte Wowereit viel mehr – und die Regierungsfraktionen, besonders der Koalitionspartner ist kunsthallenskeptisch, wollten ihn aber nicht allzu sehr düpieren. Und weil die vom Parlament bewilligte Summe gewissermaßen nur bis zum Erstellen eines Katalogs reicht, legte die Lotto-Stiftung noch eine Million Euro drauf. Vorsitzender ist übrigens der Regierende Bürgermeister.

Doch woher kommt nun dieser Umschwung von Künstlern, die sich bislang nicht zu Wort gemeldet haben? Zumal Wowereits Bedingungen wahrlich nicht die schlechtesten sind. Die Jury, die die Schau mit den 50 bis 80 in Berlin lebenden Künstlern auswählen soll, ist gut und auch prominent besetzt mit internationalen Kunstexperten de Luxe wie Klaus Biesenbach und Hans Ulbricht Obrist. Da gibt es nichts zu meckern.

Wahlkampf mit der Kunst

Es ist die Geschichte eines sich lang anbahnenden Zerwürfnisses. Wowereit handelt gern insbesondere mit der jungen Kunst, die Berlin international den Ruf eines „Hot Spots“ eingebracht hat. Zu Wahlkampfzeiten ist das ein Pfund, mit dem man wuchern kann. Für den Geschmack vieler Künstler wurde zu viel geredet und zu wenig gehandelt. Der Ausbruch, denn anders ist der ein wenig wirre „offene Brief“ kaum zu deuten, offenbart den Wutkünstler, über dessen Kopf entschieden wird und der sich nicht einbezogen wird. „Die Künstler haben einfach das Gefühl, dass hier mit viel Geld viel zu kurzfristig und konzeptionslos gearbeitet wird. Sie wollen nicht für ein schnell gestrickte Schau als Aushängeschild herhalten“, sagt Leonie Baumann, Chefin der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK). Sie ist sich sicher, dass Wowereit bei einem guten Konzept, langfristiger Planung und einer ernsthaften Einbeziehung der Künstler viele von ihnen ins Boot bekommen hätte. Projekte dieser Größenordnung, das weiß man in Kuratorenkreisen, brauchen eine Vorlaufzeit von mindestens zwei Jahren.

Auch Berliner Institutionen wie der NGBK, die Berlinische Galerie oder die Kunstwerke, die tagtäglich mit Künstler an der Basis arbeiten, wurden nicht integriert. „Wowereit setzt auf sogenannte Leuchttüre, statt nachhaltige Projekte zu fördern, und den Boden zu düngen, auf dem kreative Projekte gedeihen. Was Berlin international so attraktiv macht, ist doch das Rohe und die vielen offenen Räume, die nicht zugeschüttet werden sollen durch Großevents wie die Leistungsschau!“, findet die Künstlerin und Mitunterzeichnerin Ania Corcilius.

Bleibt die Frage, braucht Berlin wirklich noch eine Kunsthalle? Im vergangenen Jahr musste die privat gesponserte, temporäre Kunsthalle freien Eintritt gewähren. Sonst wären die Besucherzahlen dramatisch abgesackt. Zudem gibt es mittlerweile Museumschef Udo Kittelmann, der der zeitgenössischen Kunst einen immer größeren Platz in der Stadt eingeräumt hat.

Jetzt also laufen die Bewerbungen für die Leistungsschau. Doch schon allein das Prozedere ist für manche Künstler schlichtweg unakzeptabel. Jeder konnte bis Ende Dezember sein Portfolio einreichen, dann soll die Jury entscheiden, wer ausstellen darf. „Das ist irgendwie wie an der Akademie, zu verschult“, findet eine junge Künstlerin. Ihren Namen will sie nicht nennen, schließlich möchte sie sich nicht selbst aus dem Verfahren katapultieren. Und es ist tatsächlich schwer vorstellbar, dass internationale, ständig reisende Künstler wie Thomas Demand oder Olafur Eliasson wie Schuljungs ihre Mappen beim Pförtner des Kultursenats abgeben.