Gunter Gabriel steht ab Donnerstag im Berliner Renaissance-Theater als Johnny Cash auf der Bühne. Der Sänger hat fast alle Höhen und Tiefen durchlebt. Was er mit seinem Idol gemeinsam hat, darüber sprach der 68-Jährige mit Morgenpost Online.
Morgenpost Online: Herr Gabriel, wie viel Johnny Cash steckt in Gunter Gabriel?
Gunter Gabriel: Gar nichts. Kein bisschen.
Morgenpost Online: Die Sinuskurven-Existenz und das Idol kennen Sie doch aber ganz gut …
Gunter Gabriel: … ja, ich habe festgestellt, dass wir Parallelen haben. Dinge, die er erlebt hat, mit Ausstieg und Absturz und Drogen – bei mir natürlich auch Alkohol, Frauengeschichten: Da gibt es schicksalhafte Parallelen. Aber ich wollte nie Johnny Cash sein. Nur seine Ansichten, die sind identisch. Seine Philosophie, für die Unterprivilegierten zu singen, für Gefangene zu singen – alles das habe ich auch gemacht.
Morgenpost Online: Singen für die sogenannten „Unterprivilegierten im Knast“ – sind das nicht auch Schuldige?
Gunter Gabriel: Wir sind alle Sünder. Es bedeutet ja nicht, dass wenn jemand im Knast sitzt, dass er da sein Leben lang festgemauert ist. Es gibt ja auch viele, die aus Not heraus da reingekommen sind. Ich hatte selber Phasen im Leben, wo ich schwer an der Wand stand und wo ich auch nur durch Glück nicht zum Mörder geworden bin – deshalb kann ich gut verstehen, dass man manchmal in solche Situationen kommt, dass muss man aber nicht grundsätzlich verurteilen.
Morgenpost Online: Ein Mord ist nicht zu entschuldigen.
Gunter Gabriel: Also gegen ganz brutale Kriminalität bin ich erst mal grundsätzlich. Ich bin für ein friedliches Miteinander. Aber ich möchte nicht wissen, wie viele Männer wegen einer Frau im Knast sitzen. Eine Frau, die sie verlassen hat. Ein Mann kann durch die Art, wie Frauen ihn behandeln, ausrasten. Ist mir auch schon passiert.
Morgenpost Online: Wie auf der Autobahn, als Sie Ihre dritte Frau Carin fast tot gefahren haben, weil Sie sie im Bett mit einem anderen erwischten?
Gunter Gabriel: Da ging es um Leben und Tod. Wenn ich sie erwischt hätte … Das meinte ich, das war so eine Situation, wo es gefährlich geworden ist. Ich habe Glück gehabt, dass ich sie nicht verletzt habe.
Morgenpost Online: Und jetzt, mit 68 Jahren, haben Sie das Glück, zum ersten Mal auf einer Theaterbühne zu stehen.
Gunter Gabriel: Ja, das ist eine Herausforderung. Ich hab natürlich erst mal „Nein“ gesagt, weil ich dachte, das kriege ich nicht gebacken, wegen der ganzen Geschichten, die man behalten muss, und die vielen Songs und so weiter. Und weil ich ja auch ein Parallelleben habe: Ich habe eine Band, ich mache 15 bis 20 Jobs jeden Monat, bin fast immer unterwegs. Aber mit 68 Jahren muss man auch gelebt haben und zwar Vollstoff.
Morgenpost Online: Am Donnerstag hat „Hello, I'm Johnny Cash“ Premiere. Haben Sie Angst, Ihrem Vorbild nicht gerecht zu werden?
Gunter Gabriel: Na ja, ich kann ihn nicht imitieren. Es geht ja auch mehr darum, eine Charakteristik eines großartigen Sängers zu zeigen. Ich werde ihm nie gerecht sein können.
Morgenpost Online: Wie eng war Ihre Beziehung zu ihm?
Gunter Gabriel: Ich hätte nie gedacht, 25 Jahre mit dem Kerl befreundet zu sein. Und dass er wollte, dass ich seine Lieder in Deutsch singe. Der Mann, der mein größter Wegweiser war. Eine Woche vor seinem Tod war ich ja noch bei ihm im Studio, wir wollten noch ein Fernsehinterview machen – aber dazu kam es nicht mehr, weil Rettungswagen kamen, um ihn zu holen. Dieser Mann, den ich 25 Jahre kannte. Der war zusammengeschrumpft, hatte keine Haare mehr, keine Augenbrauen, es war grauenhaft.
Morgenpost Online: Wie war das erste Treffen 1977? Sie kamen als Dieb seiner Songs …
Gunter Gabriel: Ja, das war Gänsehaut. Und Ehrfurcht. Ich hatte verdammt noch mal Respekt vor ihm. Wahnsinn, da sitzt man plötzlich bei dem in der Küche. Alle da, seine Kinder, Rosanne Cash, in die ich mich dann auch noch ein bisschen verliebt habe, und er saß da wie ein Patriarch.
Morgenpost Online: In Ihrer Rolle als Johnny Cash sagen Sie: Endlich wieder Berlin, great city, great. Sie sind geboren in Bünde, haben in Hannover studiert, lebten in Hamburg – für welche Stadt schlägt Ihr Herz?
Gunter Gabriel: Ich kenne diesen Begriff Heimat überhaupt nicht. Ich hab zwar in Hannover eine ganz wichtige Zeit erlebt und lebe nun in Hamburg, aber ich würde nie sagen, ich bin ein Hamburger. Obwohl Hamburg jetzt so was wie meine Frau geworden ist.
Morgenpost Online: Und Berlin, die Geliebte?
Gunter Gabriel: Berlin ist meine Geliebte. Und die Geliebten, die sind viel wichtiger als die Frauen. Ich hätte keinen einzigen Song hingekriegt ohne Berlin. Die Stadt hat mir damals schon vom Lifestyle super gefallen und auch wegen der politischen Situation mit der Mauer – hier läuft Weltgeschichte. Und hier war die Plattenfirma, die alle hatte: Frank Farian, Jürgen Drews, Konstantin Wecker, Dieter Bohlen, Frank Zander. 1985 bin ich wegen der Liebe aufs Land gezogen und habe mir gesagt, ich komme nie wieder. Nur, wenn ich in einer Siegerposition bin. Und das bin ich jetzt.
Morgenpost Online: Siegreich über Ihr Leben, Ihre Abstürze?
Gunter Gabriel: Ja, dass ich mein Leben wieder hingekriegt habe. Diese Geschichten mit Carin, das waren die tiefsten Punkte meines Lebens. Ich hatte alles verloren, finanziell, meine Selbstachtung. Ich habe im Wohnwagen gelebt, war komplett im Eimer. Ich hätte nie gedacht, hier in diesen heiligen Hallen eine Rolle zu spielen, als Johnny Cash.
Morgenpost Online: Obwohl Sie inzwischen clean sind, das geht doch nicht spurlos an einem vorbei …
Gunter Gabriel: Ja, aber positiv. Ich habe zurückgefunden zu den wahren Werten des Lebens. Selbst in der besten Zeit hier in Berlin war ich unglücklich und einsam. Das hört sich paradox an, aber erst der Niedergang hat mich gerettet. Wie bei Johnny Cash.
Morgenpost Online: Aber Cash hatte June Carter …
Gunter Gabriel: Ja, das ist mein Handicap.
Morgenpost Online: Spielt Ihre Gitarre den Partner-Ersatz?
Gunter Gabriel: Nein. Frauen sind das Wichtigste, was wir haben. Es gibt Frauen, für die lohnt es sich, sich den Arsch aufzureißen. Ich hatte zwar immer sehr viele Freundinnen – aber nicht nur klischeemäßig „ab in die Kiste“. Das finde ich ekelhaft. Frauen sind das Größte.
Morgenpost Online: Trotzdem haben Sie sie immer betrogen, ihnen wehgetan …
Gunter Gabriel: Das schließt das ja nicht aus. Ich glaube nicht an körperliche Treue. Das ist alles verlogene Scheiße in diesem Leben. Aber ich bin ja nun nicht ständig wie so ein Bekloppter durch die Gegend gerannt und habe Frauen aufgerissen. Ich hab auch das unglaubliche Vergnügen gehabt, immer die Falschen zu erwischen … Ich habe immer nach was gesucht, was ich nicht gehabt habe, ich hatte nie eine Mutter. Und die Psychologen haben gesagt, das ist etwas, was du nie ändern kannst. Das ist deine beknackte Kindheit.
Morgenpost Online: Die Sie immer einsam bleiben lässt?
Gunter Gabriel: Nein. Ich hab natürlich auch einsame Momente, wie jeder, aber ich bin nicht frustriert oder enttäuscht über mein Leben. Es war trotzdem großartig. Ich habe drei großartige Töchter und einen Sohn, die geschiedenen Frauen sind heute wie Schwestern für mich – ich bin nicht allein.
Morgenpost Online: Haben Sie Angst vor dem Tod?
Gunter Gabriel: Nein. Ich habe Angst vor der Gehhilfe. Ich will so was nicht. Und wenn es kommt, dann sage ich: „Halleluja, jetzt ist es so weit“. Aber bis dahin sollte man immer weitermachen.
Morgenpost Online: Ganz nach Cash: „You've got to walk the line“?
Gunter Gabriel: Ja, nicht wie diese Rentner, die darauf warten zu sterben. Ich bin stark. Jetzt habe ich nur ein Ziel: Dieses Musical muss erfolgreich sein – und dann sehen wir weiter.