Ex-Pornoqueen Michaela Schaffrath (Künstlername „Gina Wild“) war freiwillig in der Wildnis. Ihr Ziel: Publicity. Das Ergebnis: Steigender Umsatz ihrer alten Pornofilmchen. Und sonst? Nicht viel, außer ein paar aufgeregten Stimmen zum Fernsehzirkus „Dschungel-Camp“. Das übliche eben, wenn das Fernsehen an die Ekel- und Geschmacksgrenzen geht.
Kevin ist nicht freiwillig in der Wildnis. Zumindest nicht als Teilnehmer des Erziehungsprogramms, dem sich in der RTL-Serie „Teenager außer Kontrolle“ (Mi., 20:15 Uhr) acht jugendliche Problemkinder - die meisten von ihnen mit einem ordentlichen Vorstrafenregister - unterziehen müssen. Solche Wildnis-Therapieprogramme (englisch: „Brat Camps“) haben in den USA schon eine gewisse Tradition und einen durchaus guten Ruf.
Anders als in militärisch organisierten „Boot Camps“ werden die Jugendlichen hier nicht gedrillt, sondern im Zuge der harten Konfrontation mit der Natur während einer Wüstenwanderung erzogen. Angeblich mit nachhaltig positivem Effekt.
Kevin, das 15-jährige „Gang-Mitglied“ aus Köln-Zollstock, weiß davon zunächst nicht viel. Dennoch haben er und seine Eltern sich auf das Programm eingelassen. Das Motiv der aufrichtig verzweifelten Eltern liegt auf der Hand: RTL bezahlt das Programm, diese letzte Hoffnung, dass aus ihrem Kind doch noch „etwas Ordentliches“ wird. Die Frage ist: Warum lassen sich die Jugendlichen in die Obhut der TV-Erziehungsprofis übergeben, wo sie doch sonst keinerlei Autorität akzeptieren?
Die erste Folge von „Teenager außer Kontrolle“ legt eine einfache Antwort nahe: Weil sie ins Fernsehen kommen. Es scheint die einzige Instanz zu sein, die sie noch respektieren. Und das Fernsehen respektiert sie - als Kriminelle. Alle acht Jugendlichen werden in einem eigenen kleinen „Imagefilm“ präsentiert: Zu coolem Gangsta-Rap beim Pöbeln im Park, unterwegs mit der Gang und in Herrscher-Pose auf dem Fußballtor des Ghetto-Spielplatzes.
Das schmeichelt ihnen auf den ersten Blick gewaltig. Und doch lockt es sie nur in die Falle. Denn in der nordamerikanischen Wüste wird Ihnen und den Zuschauern schnell klar: Hier hilft keine Selbstinszenierung, hier geht es ans Eingemachte.
Der Fernsehentzug (den man pardoxerweise am Fernsehen mitverfolgen kann) ist sicherlich nur ein Teil des Erziehungsprogramms. Und doch liefert er genug Anlass, darüber nachzudenken, wo diese Jugendliche heute ohne Fernsehen wären. Dazu muss man sich nicht in medienpädagogische Diskussionen verstricken, es reicht ein Blick ins - genau - Fernsehen. Nehmen wir etwa Frank Fußbroich.
Der mittlerweile 40-Jährige ist so etwas wie der erste Reality-TV-Star Deutschlands und kommt aus ganz ähnlichen Verhältnissen wie Straftäter Kevin. Schon 1979 stand beim 11-jährigen Frank ein eigener Fernseher im Kinderzimmer - ein Aufreger für viele Zuschauer, die den Sproß der Kölner Arbeiterfamilie im Fernsehen sahen.
Und mit Aufregern ging es weiter: Lange vor „Big Brother“ startete der WDR die Fernsehserie „Die Fußbroichs“ und begleitete Fred, Annemie und Frank durch Alltag und Schiksalsschläge. Mit dem Älterwerden des Sohns kamen die immer öfter in Form von Strafbefehlen: Hehlerei, Betrug und der Versuch, sich als Dealer zu verdingen. Frank Fußbroich wäre schon vor Jahren ein idealer Kandidat für „Teenager außer Kontrolle“ gewesen. Und das Fernsehen war von Anfang an dabei.
Ganz konsequent macht RTL also einfach nur gut, was die Flimmerkiste in Kinderzimmern wie dem von Frank Fußbroich versaut haben. Das System funktioniert als ewiger Kreislauf. Und wenn es mal jemand schafft, dank einer Wildnistherapie ganz auszusteigen, ist das auch nicht weiter schlimm. Es sitzen immer noch genug vor der Mattscheibe. Bei der ersten Staffel von „Teenager außer Kontrolle“ waren es pro Folge rund vier Millionen.