Gourmetspitzen

Et hätt’ noch immer jot jejange - ooch in Berlin

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Heinz Horrmann

Foto: Amin Akhtar

Heinz Horrmann besucht die „StäV“, das Restaurant „Ständige Vertretung“ am Schiffbauerdamm, und ist begeistert - größtenteils jedenfalls. Denn nicht alles passt.

Die Kellnerin eilt heran, die Restaurantleiterin sprintet durch volle Tischreihen, und der „Köbes“, der rheinische Kellner, transportiert im Eiltempo Kölsch. Dieser Service im Rekordtempo geschieht hier in der „StäV“, dem Restaurant „Ständige Vertretung“ am Schiffbauerdamm, nicht nur aus Liebe zum Gast, das ist auch Selbstzweck. Schnell bedient wird auch schnell ein Plätzchen frei. Die Schlange der Wartenden, die auf einen Tisch spekulieren, ist allabendlich lang.

Ich habe bewusst in Vorbereitung auf die aus dem Rheinischen importierten Alaaf- und Helau-Tage um den Aschermittwoch diese Keimzelle der Köln-Bonner-Fröhlichkeit gewählt. Natürlich wohl wissend, dass es aus dieser Küche des Deftigen bis zur Gourmandise in anderen Häusern ebenso weit ist wie vom Brandenburger Tor bis zum Kölner Dom. Aber, wie heißt es so schön: Es muss ja nicht immer Kaviar sein.

Also hinein in das riesige Restaurant, das auch im Winter die Außentische auf der Straßenterrasse lässt. Bis auf den letzten Platz besetzt ist der Gastraum mit den blankgescheuerten Tischen und den unzähligen Politiker-Bildern an den Wänden. Anders als in typischen Berliner Restaurants, wo jeder nach einem freien Tisch strebt, setzt sich hier jeder zu jedem. Kölsche Kneipen-Philosophie: „Drink doch ene met.“ Und es gilt das Rheinische Grundgesetz: „Et es wie et es, und et kütt wie et kütt.“ (Frei übersetzt: Hab keine Angst vor der Zukunft.)

„So kocht Berlin“ - die Webseite für alle Hobbyköche

Natürlich bestellt man in diesen Räumen einer ehemaligen Zigarrenfabrik vor allem die Hausspezialitäten: herzhafte Sülze mit Remouladensauce und Kartoffelsalat oder die Fleischwurst frisch aus dem Sud. Ein Renner ist der Flammkuchen mit Apfelkompott, Blutwurst und Zwiebeln. Das muss man schon mögen, sonst stehen zehn andere Aroma-Kombinationen zur Auswahl. Wie in der Zeit nach Kriegsende wird immer noch „Himmel un Ääd“ serviert, die einfache, gebratene Blutwurst auf Kartoffelpüree angerichtet und mit Zwiebelringen und Kompott ergänzt.

Die Chefs des Hauses, Harald Grunert und Friedel Drautzburg, wählten die Leibgerichte aus dem Köln-Bonner Raum und ergänzten sie mit Berliner Dauerbrennern. Neben dem Rheinischen Sauerbraten mit Rosinen-Pumpernickelsauce und Kartoffelklößen) steht gleichberechtigt die Berliner Kalbsleber, übrigens perfekt gebraten, auf der Karte. Am Nebentisch wird der Pfälzer Saumagen mit mild gewürztem Sauerkraut genossen.

Wir haben die gegrillte Schweinshaxe bestellt. Das war nun bei aller Begeisterung und Sympathie ein Flop, muss man sagen. Erstens fehlte das Allerbeste, die kross ausgebratene Kruste. Die war mit dem Fettrand abgeschält. Darüber hinaus war das Fleisch völlig ungewürzt, sprich: geschmacksneutral. Unberührt blieben die so genannten Bratkartoffeln auf meinem Teller. Derart unappetitliche Leichenblässe mit Röstaromen zu segnen, kostet in der Küche keinen Cent mehr, würde aber das Produkt deutlich verbessern. Interessanterweise waren die Bratkartoffeln, so perfekt, wie ich es mir vorstelle, bei der Sülze serviert worden. Da fehlt noch Kontinuität.

Rheinische Musik fehlt

Schade, dass in dieser Karnevalszeit in dem sonst so stimmungsvollen Fleckchen Adenauer-Heimat keine rheinische Musik gespielt wird. Köln hat da mit zwei Dutzend Stimmungsgruppen wahrlich genug zu bieten. Das habe ich hier echt vermisst. Wo das Kölsch fließt, erwartet man erst mal eine Männergesellschaft. Doch hier ist die Brigade fröhlicher Frauen gleich stark, da kann man nicht davon sprechen, dass sich ein paar in den maskulinen Kölsch-Tempel „verirrt“ hätten. Und weil das so ist, gehört das Salatangebot zum Erfolgsrezept. Da sind die bunten Salate mit Cherrytomaten, Peperoni, Oliven und bei der griechischen Variation mit Schafskäse, auch mal mit marinierter Hähnchenbrust die Favoriten. Keiner kostet mehr als zehn Euro.

Suppen sind angesagt, in Köln werden sie von Spezialwagen sogar beim Rosenmontagszug an die Teilnehmer und die Jecken am Straßenrand serviert. In der Ständigen Vertretung sind die kundenfreundlich kalkulierte Linsensuppe mit Kasseler und die Eifeler Kartoffelsuppe mit Blutwurst beliebte Begleiter zum Bier. Die Wochenkarte mit Gerichten zu Kantinenpreisen ist mittags (elf bis 15 Uhr) vom Preis-Leistungs-Verhältnis ebenso erwähnenswert wie die wechselnden Tagesmenüs mit Hauptgang.

In einem Lokal diesen Zuschnitts wäre geschliffene Hochklassigkeit deplatziert. Der Service funktioniert schnell und unaufgeregt. Wird einmal ein Gericht vergessen, repariert der „Köbes“ und verstärkt die weibliche Servicebrigade, serviert ein Gläschen aufs Haus. Mit der Erkenntnis: „Et hätt noch immer jot jejange.“ Das versteht auch der Berliner.

Wirklich wahr, auch in der „StäV“ stimmt das einstige Motto vom Kulturforum: „Kölle goes Berlin.“ Oder umgekehrt, ganz wie Sie wollen. Bei soviel Zuspruch würde es sich zweifelsfrei lohnen, die bei vielen Gerichten durchaus gekonnt operierende Küchenbrigade einmal in den bayerischen Haxenhimmel zur Schulung zu schicken. Das war nämlich das einzige Gericht, das zu kritisieren war. Alles andere war so erfreulich und freundlich, wie sich die Kölner den Himmel am höchsten Feiertag im Jahr wünschen, rosig am Rosenmontag.