BER

Airlines warnen vor „Provinzflughafen“ BER

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Thomas Fülling

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Beim Nachtflugverbot liegen die Positionen von Rot-Rot-Grün weit auseinander. Die Koalitionäre kommen ins Trudeln.

Berlin.  Die Regelung des Nachtflugverbots am künftigen Flughafen BER wird zur Kraftprobe für die künftigen Koalitionäre SPD, Linke und Grüne in Berlin. Bislang hat Rot-Rot-Grün das Streitthema Flughafen konsequent vermieden. Zu weit liegen die Positionen speziell beim Nachtflugverbot auseinander. Linke und Grüne fordern Ruhe zwischen 22 und 6 Uhr, die SPD mit dem BER-Aufsichtsratschef und Regierenden Bürgermeister Michael Müller an der Spitze verteidigt die bisher geltende Regelung, die das Fliegen zwischen 5 und 24 Uhr erlaubt.

In den Koalitionsverhandlungen wurde das heikle Thema Nachtflug noch nicht offiziell angesprochen. Die Arbeitsgruppen für Verkehr und Finanzen wollten sich damit nicht befassen. Jetzt steht es als „Dissens“ auf der Liste noch ungeklärter Punkte, die die Chefverhandler am Montag und Dienstag abarbeiten müssen, wenn sie wie geplant am Mittwoch die Ressorts verteilen und den Koalitionsvertrag fertigstellen wollen. Das wird für Turbulenzen und heftige Debatten sorgen. Aber die neue Berliner Koalition wird sich festlegen müssen, wie sie mit dem BER umgeht. Zumal auch Brandenburg einen Kurswechsel von Berlin fordert.

Kommentar: Nachtflüge am BER müssen sein

Zusätzlich wächst in der Luftfahrtbranche die Furcht davor, dass der bald einzige Airport der Hauptstadtregion nach seiner für 2017 avisierten Eröffnung wie ein unbedeutender Provinzflughafen betrieben wird. So warnt der Verband „Airlines for Europe“ vor einer Änderung der bislang für den BER vorgesehenen Nachtflugzeiten. Der Verband mit Sitz in Brüssel vertritt unter anderem so renommierte Fluggesellschaften wie KLM/Air France, Finnair und die Lufthansa-Gruppe, aber auch stark expandierende Newcomer wie Ryanair und Easyjet, die wiederum zu den wichtigsten Kunden der Berliner Flughäfen gehören.

„Kapazität des BER zusätzlich einengen“

„Ich bin besorgt, dass – trotz der Maßnahmen, die der lokale Flughafen und die Fluggesellschaften bereits akzeptiert haben – zusätzliche Maßnahmen der neuen Landesregierung (wie eine Ausdehnung des Nachtflugverbots oder weitere Betriebseinschränkungen) die Kapazität des BER zusätzlich einengen würden, anstatt dem neuen Flughafen zu erlauben, sein Potenzial voll zu entwickeln“, heißt es in einem Brief an den Aufsichtsratschef der Berliner Flughäfen, Michael Müller. Der Verband unterstreicht ausdrücklich die Bedenken, die zuvor bereits die Flughafengesellschaft und die in Berlin tätigen Airlines geäußert haben. Diese hatten gleichfalls in einem Brief an Müller gefordert, alles zu tun, um das in der Planfeststellung für den BER verankerte Nachtflugverbot von 0 bis 5 Uhr nicht weiter auszudehnen.

Bislang gehört Schönefeld zu den wenigen Flughäfen in Deutschland, die noch rund um die Uhr angeflogen werden dürfen. Das soll sich – auch im Interesse von Zehntausenden Anwohnern – mit der Inbetriebnahme des neuen Großflughafens ändern. Vorgesehen ist nun ein strenges Nachtflugverbot in der Zeit von 0 bis 5 Uhr morgens. In dieser Zeit dürfen – wie jetzt schon in Tegel – nur noch Regierungsmaschinen, Postflugzeuge und Notretter starten und landen. Verspätet eintreffende Maschinen – etwa aus den Urlaubszielen am Mittelmeer – sollen dagegen nach Mitternacht nicht mehr landen dürfen.

Eine Kompromissformel für Rot-Rot-Grün könnte lauten, den Beginn des Flugbetriebs um eine Stunde auf 6 Uhr nach hinten zu verschieben. Denn gerade ein früher Start eines Düsenjets in der morgendlichen Stille kann die Nachtruhe eines Anwohners unangenehm beenden. Mit einem solchen Schritt kämen die Berliner den Brandenburgern entgegen, ohne die Wirtschaftlichkeit des BER gravierend zu gefährden. Am Abend könnte es dann bei den bisherigen Einschränkungen bleiben.

250.000 Menschen wohnen im Flughafenumfeld

Auch im Land Brandenburg, in dem ein Großteil der vom BER-Fluglärm betroffenen Ortschaften liegt, ist das Nachtflugverbot ein politisch heißes Thema. Rund 250.000 Menschen wohnen im Flughafenumfeld. Die Befürworter einer längeren Nachtruhe am BER konnten in Brandenburg ausreichend Stimmen für ein Volksbegehren sammeln, das vom Landtag anschließend auch angenommen wurde.

Seither spricht sich die rot-rote Landesregierung für eine Ausweitung der Flugverbotszeiten aus. Doch ohne die Mitgesellschafter in der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH (FBB) kann Brandenburg eine Änderung nicht durchsetzen. Ändert sich die Stimmung in Berlin mit dem neuen rot-rot-grünen Senat in Berlin, könnte sich die Ausgangslage ändern. Beide Länder halten zusammen 75 Prozent der Gesellschafteranteile der FBB und können jede Änderung auch gegen den dritten Gesellschafter, den Bund, durchsetzen. Nicht von ungefähr sprach sich Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) gerade für einen neuen Anlauf bei den Betriebszeiten aus.

Ein längeres Nachtflugverbot hätte wirtschaftliche Folgen

Allerdings befinden sich die Landesregierungen in einem Zwiespalt. Auf der einen Seite haben sie die Interessen der BER-Anrainer zu vertreten, die eine möglichst lange Nachtruhe am Flughafen fordern. Auf der anderen Seite sind sie Gesellschafter des Flughafenbetreibers und haben ein Interesse daran, dass der neue Großflughafen finanziell kein Fass ohne Boden ist. Schlimmer als der stetige Anstieg der Baukosten von anfangs zwei Milliarden auf inzwischen 5,4 Milliarden Euro dürfte dabei die Aussicht sein, dem Flughafen wegen des defizitären Betriebs dauerhaft unter die Arme greifen zu müssen. Genau dieses Szenario droht nun allerdings. So hat Flughafenchef Karsten Mühlenfeld bereits deutlich gemacht, dass das Ziel, den BER ab 2023 kostendeckend zu betreiben, mit einer längeren Betriebspause nicht zu halten ist.

Ein längeres Nachtflugverbot hätte wirtschaftlich gleich mehrere Folgen. Zum einen können bei verkürzten Flugbetriebszeiten weniger Starts und Landungen pro Tag abgewickelt werden. Doch genau dafür bezahlen die Airlines Gebühren an den Flughafen. Weniger Flüge heißt auch weniger Passagiere. Unterm Strich bedeutet dies weniger Umsatz im sogenannten Non-Aviation-Geschäft, das nach dem Wirtschaftsplan für den BER immerhin die Hälfte der Einnahmen sichern soll. Fast alle Läden, Imbissstände und Restaurants liegen – anders als etwa in Tegel – hinter der Flugsicherheitskontrolle, können also nur von Gästen erreicht werden, die auch tatsächlich einen Flug antreten wollen. Eine längere nächtliche Betriebspause sorgt somit in diesem Bereich für Umsatzeinbußen.

Für Airlines könnte ein Drittel des Umsatzes wegbrechen

Zum anderen haben auch die Fluggesellschaften, speziell Low-Cost-Airlines wie Easyjet oder Ryanair, kein Interesse an einem längeren Nachtflugverbot. Wird die Betriebspause am BER verlängert, können die Flieger nicht dreimal, sondern nur zweimal am Tag die Urlaubsziele erreichen. Ein Drittel des Umsatzes bricht weg.

Besonders die Abendzeiten gelten als sensibel. Wenn die Maschine dann wegen eines von Linkspartei und Grünen geforderten um 22 Uhr beginnenden Nachtflugverbots nicht mehr rechtzeitig in Berlin landen kann, muss sie umgeleitet werden. Das beschert den Airlines Mehrkosten und sorgt bei den Passagieren für Unzufriedenheit. „Kommt eine Maschine zu spät in Tegel an, können wir sie heute nach Schönefeld umleiten. Künftig wird das dann Leipzig, Hannover oder gar Rostock sein“, so ein Sprecher von Lufthansa.