Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) führt den Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg. Allerdings nur kommissarisch: Er rückte im August für den damaligen Brandenburger Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) nach, der sich aus Gesundheitsgründen zurückzog. Wowereit hatte den Vorsitz erst im Januar 2013 an Platzeck abgegeben, nachdem wieder einmal ein Eröffnungstermin für den Pannenflughafen BER abgesagt werden musste. Nun werden Wowereit Ambitionen nachgesagt, den Posten erneut übernehmen zu wollen.
Berliner Morgenpost: Herr Diepgen, in den vergangenen Tagen hat es Diskussionen gegeben, wer Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafengesellschaft BER werden soll. Warum ist der Vorsitz so wichtig?
Eberhard Diepgen: Der Aufsichtsratsvorsitz ist nicht nur unter den Gesichtspunkten von Aufsicht und Kontrolle zu sehen. Der Vorsitzende kann wichtige Akzente im laufenden Geschäft setzen. Es geht auch um die Frage, welche Signale ein Aufsichtsratsvorsitzender für die Geschäftspolitik und Entwicklungsmöglichkeiten eines Hauptstadtflughafens aussendet.
Geht es dabei um den Großflughafen oder um Berlin?
Das betrifft die Entwicklungsmöglichkeiten des Flughafens und damit die Auswirkungen auf zum Beispiel internationale Linienverbindungen, aber auch das Nachtflugverbot oder die Konkurrenz zu anderen Flughäfen. Aus meiner Sicht muss dabei die Interessenlage Berlins sehr deutlich gemacht werden, auch öffentlich.
Und das funktioniert nicht, wenn Berlin nur mit einfachen Aufsichtsratsmitgliedern vertreten ist?
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Der Aufsichtsratsvorsitzende ist ein hervorgehobener Repräsentant des Unternehmens. Wenn ein Aufsichtsratsvorsitzender mit Rücksicht auf parlamentarische Beratungen oder Wahlentscheidungen in Brandenburg öffentlich über Begrenzungen im Flugverkehr nachdenkt, wenn Lufthansa-gesteuerte Interessen des Bundes für Flughäfen in München und Frankfurt ständig formuliert werden, führt das zu Verunsicherungen der Flughafenkunden und bei Standortentscheidungen nationaler und internationaler Fluggesellschaften zu Lasten Berlins. In der Gemengelage unterschiedlicher Interessen der Berliner Flughafengesellschafter halte ich es für richtig, dass der Berliner Regierungschef mit seinem ganzen politischen Gewicht tätig wird.
Also sollte der Regierende Bürgermeister im Aufsichtsrat sitzen. Aber muss er denn auch Vorsitzender sein?
Es geht um die spezifischen Interessen Berlins am Flughafen. Der ist ein Infrastrukturprojekt, kein Projekt, das an mittelfristigen Renditeüberlegungen orientiert ist. Dann hätten wir auf den BER verzichten und viel Geld mit Tegel verdienen können. Im Aufsichtsrat müssen wirtschafts- und infrastrukturpolitische Gesichtspunkte eingebracht werden. Das Gewicht eines Regierungschefs in diesem Zusammenhang ist nach all meinen Erfahrungen größer als das Gewicht eines sonstigen Mitglieds. Das ist nicht nur eine Frage der Person, es hat auch etwas mit Funktionen zu tun, die die Durchsetzungskraft stärken oder schwächen.
Wäre es nicht besser, wenn den Aufsichtsratsvorsitz ein Externer übernehmen würde, jemand, der nicht unmittelbar aus der Politik kommt?
Ich habe vor vielen Jahren in meiner Amtszeit die Auffassung vertreten, dass angesichts der Aufgabenstellung beim BER und der drei Gesellschafter Externe mit ihren ganz anderen Fragestellungen und Erfahrungen den Vorsitz im Aufsichtsrat führen sollten. Diese Konzeption hat sich nicht als tragfähig erwiesen. Ich hatte damals den Präsidenten des BDI, Hans Olaf Henkel, gewonnen und gemeinsam mit Manfred Stolpe gegen viele Widerstände als Vorsitzenden durchgesetzt. Im Spannungsfeld der politischen Interessen sahen sich die Regierungschefs aus Brandenburg und Berlin aber bald gezwungen, in den Aufsichtsrat einzutreten, und ich musste den Vorsitz übernehmen.
Also sollte Klaus Wowereit um den Aufsichtsratsvorsitz der Flughafengesellschaft kämpfen?
Ich halte das Ziel von Klaus Wowereit, den Aufsichtsrat weiter zu führen, für richtig und unterstützenswert. Dabei geht es mir weniger um die Person, sondern um den Amtsinhaber. Ein Regierender Bürgermeister, der den Aufsichtsratsvorsitz nicht anstrebt, erfüllt seine Amtspflicht nicht hinreichend. Das kann erst anders sein, wenn der Flughafen in ruhigen Bahnen arbeiten kann.
Am BER explodieren die Kosten, der Eröffnungstermin ist unklar. Sollte ein Regierungschef da nicht besser die Finger von diesem Projekt lassen?
Vor der politischen Verantwortung kann er sich so oder so nicht drücken.
Aber kann denn ein Regierungschef das leisten? Neben seinen sonstigen Amtsgeschäften?
Ja. Er kann sich die Ressourcen und den Sachverstand aus seiner Verwaltung für die verschiedenen Aufgabenstellungen nutzbar machen. Bauingenieur muss er deswegen nicht sein. Die problematischen Entscheidungen am BER liegen in der Vergangenheit. Ich weiß nicht, ob man heute noch einen Generalunternehmer mit aller Verantwortung einschalten kann. Das wäre wahrscheinlich hier das Richtigere gewesen. Wenn das nicht geht, müssen die Abläufe und Verantwortlichkeiten in der Flughafengesellschaft entsprechend gestaltet werden. Die Frage ist, ob die Verantwortung für den laufenden Flugbetrieb und die Baumaßnahme nicht stärker getrennt werden sollten.
Etliche Politiker, vor allem aus Ihrer Partei, meinen, Wowereit habe als Aufsichtsratsvorsitzender versagt, und der Rücktritt sei richtig gewesen. Dennoch sagen Sie, er soll sich den Aufsichtsratsvorsitz zurückerobern?
Die Alarmsignale und die öffentliche Kommentierung haben damals zum Rücktritt von Klaus Wowereit geführt. Aber er ist der Regierende Bürgermeister. Solange er es ist, gehört der Flughafen zu seinen besonders bedeutsamen Aufgaben.
Das heißt, hinter den übergeordneten Interessen Berlins muss die Kritik an Wowereit zurückstehen?
Ich äußere mich nicht zu politischer Verantwortung für die Vergangenheit. Die Schockwellen werden sicherlich Lernprozesse ausgelöst haben.
Was sind denn die wichtigsten Aufgaben des Aufsichtsratsvorsitzenden in den kommenden Monaten?
Zunächst die allgemeinen Aufgaben eines Aufsichtsrates. Er muss nicht selbst bauen, aber er muss fürs Controlling sorgen. Er muss prüfen, ob die inneren Abläufe am Flughafen richtig organisiert sind. Er muss die Dynamik für den Bau des Flughafens aufrechterhalten und sicherstellen, dass heute schon die Entscheidungen getroffen werden, die den Flughafen und seine notwendigen Kapazitäten in 20 oder 30 Jahren absichern. Das verlangt das heutige Planungsrecht. Und er muss diese Perspektivüberlegungen von allen Gesellschaftern einfordern.
Aber braucht der Aufsichtsratsvorsitzende angesichts der komplexen Probleme am BER nicht vor allem den Sachverstand eines Unternehmers?
Ich sehe den Aufsichtsrat in seiner Gesamtheit. Seine Mitglieder – ob aus Wirtschaft oder Politik – arbeiten mit ihren Apparaten. Außerdem: Ein Unternehmer im Aufsichtsratsvorsitz ist auch keine Garantie gegen Pleiten, und bei landeseigenen Betrieben muss im Ergebnis immer die Politik den Kopf hinhalten. Noch mal: Ein Regierender Bürgermeister hat die Chance, auf eine breite Verwaltung zurückzugreifen, auf wirtschaftlichen und bautechnischen Sachverstand. Ich kann mir schon vorstellen, wen man fragen muss, um dann rechtzeitig Alarmsignale zu hören.
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