Das Oberverwaltungsgericht verhandelt die Klage über einen Schallschutz für 25.000 BER-Anwohner. Setzen sich die Kläger durch, müsste der Schallschutz-Etat um 286 Millionen Euro aufgestockt werden

Für die Anwohner des künftigen Hauptstadtflughafens BER in Schönefeld geht es um möglichst wenig Lärmbelästigung, für die Flughafengesellschaft um rund 286 Millionen Euro.

Zwei Tage lang will das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Klagen mehrerer Anwohner sowie der Gemeinden Mahlow-Blankfelde und Eichwalde gegen das brandenburgische Infrastrukturministerium verhandeln. Mit einem Urteil wird am Freitag gerechnet.

Dann steht fest, ob das Ministerium als Planfeststellungsbehörde den Flughafen dazu zwingen muss, den ursprünglich nur mit 139 Millionen Euro vorgesehenen Schallschutz-Etat nicht nur um 305 Millionen Euro, sondern um 591 Millionen Euro aufzustocken.

Auflagen systematisch verfehlt

Dasselbe Gericht hatte bereits im Mai 2012 geurteilt, dass rund 25.000 Anwohner Anspruch auf weitaus besseren Schallschutz haben, als die Flughafengesellschaft FBB vorgesehen hatte. Die FBB gehört Berlin und Brandenburg sowie dem Bund.

Die „Auflagen beim Lärmschutz wurden systematisch verfehlt“ rügten die Richter. Die Flughafengesellschaft müsse das im Planfeststellungsbeschluss vorgesehene Schallschutzprogramm umsetzen. Es gehöre sichergestellt, dass in Wohngebäuden der Lärmpegel von 55 Dezibel in Räumen bei geschlossenen Fenstern tagsüber nicht überschritten werde. Das bedeutet, dass ein normales Gespräch nicht durch ein vorbeifliegendes Flugzeug gestört werden darf.

Die Flughafengesellschaft legte den Kostenerstattungsvereinbarungen mit den Anwohnern jedoch zu Grunde, dass ein Maximalpegel von 55 Dezibel sechsmal am Tag überschritten werden dürfe – so oft, wie es auch nachts laut Planfeststellungsbeschluss erlaubt ist.

Bei der Verhandlung wird nun im Kern darum gestritten, wie das im Planfeststellungsbeschluss für den Tagzeitraum vorgesehene Schallschutzprogramm auszulegen ist. Denn das Infrastrukturministerium geht auch nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts davon aus, dass der Pegel von 55 Dezibel durchschnittlich etwas mehr als einmal am Tag überschritten werden darf.

Der BER-Aufsichtsrat und die Geschäftsführung einigten sich im August auf einen Kompromiss: Im Durchschnitt soll es etwas weniger als 0,5 Überschreitungen des Grenzwerts geben. Dadurch dürften die Mehrkosten sinken. Nach Ansicht der Kläger – erneut vertreten durch den Würzburger Rechtsanwalt Wolfgang Baumann – darf dies kein einziges Mal am Tag der Fall sein.

Flughafenkoordinator wehrt sich gegen Vorwürfe

Der Flughafenkoordinator der Landesregierung und bisher als Infrastruktur-Staatssekretär für die Planungs- und Genehmigungsbehörde zuständige Rainer Bretschneider wehrte sich am Donnerstag bei einer Sondersitzung des Infrastrukturausschusses des Landtages erneut gegen den Vorwurf, Brandenburg habe bereits seit November 2008 gewusst, dass die Vorgaben für den Schallschutz nicht eingehalten werden. Allerdings überzeugte er die Opposition damit nicht. Fluglärmgegner machten vorige Woche einen brisanten Aktenfund öffentlich. Danach hatte der Flughafen das Verkehrsministerium unter dem damaligen Minister Reinhold Dellmann (SPD) und Staatssekretär Bretschneider darüber informiert, dass der Flughafen womöglich gegen den gerichtlich bestätigten Planfeststellungsbeschluss verstoßen wolle.

Die FBB legte damals mehrere Berechnungen vor, sogar mit bis zu 16facher Überschreitung der Grenzwerte. Dies geht aus dem Vermerk hervor, welcher der Berliner Morgenpost vorliegt. Flughafenkoordinator Bretschneider zufolge hatte das Ministerium der FBB mehrmals deutlich gemacht, dass die Planfeststellungsbehörde keinen Anlasss sehe, von den Regelungen im Planfestellungsbeschluss abzuweichen.

„Wie eine Selbstanzeige des Flughafens“

Allerdings konnte er nicht beantworten, weshalb nicht aufgefallen sei, dass der Flughafen nicht mehr Geld für den Schallschutz eingeplant hat. Das Ministerium mahnte die Gesellschaft erst im Dezember 2011. Das war fünf Monate vor dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts.

Wie der Vermerk beweist, wusste das Ministerium schon Ende 2008, dass der Flughafen mit 139 Millionen Euro Kosten rechnet –wenn der Schallschutz so ausgerichtet würde, dass 16-mal am Tag die Gespräche bei geschlossenem Fenster durch Flugzeuge gestört werden, der Grenzwert also 16-mal überschritten werden darf. Die Flughafengesellschaft startete nur wenige Monate später, Anfang Juni 2009, ganz offiziell ihr Schallschutzprogramm. Die Berliner Morgenpost berichtete damals, die Flughafengesellschaft habe 138 Millionen Euro bereit gestellt. Das entspricht in etwa dem Betrag des „Billig-Schallschutzes“ mit 16 zu hörenden Überschreitungen.

Der von den Fluglärmgegnern veröffentlichte Aktenfund kommt dem verkehrspolitischen Sprecher der CDU-Fraktion, Rainer Genilke, „wie eine Selbstanzeige des Flughafens vor“. Auch die Bündnisgrünen und die FDP sehen sich in ihrer Kritik bestätigt. ,,Die Genehmigungsbehörde weiß seit fast viereinhalb Jahren, dass die Flughafengesellschaft das rechtsverbindliche Lärmschutzniveau nicht einhalten will“, sagte der Verkehrsexperte der Grünen, Michael Jungclaus. „Ich fühle mich getäuscht.“

Wowereit will BER eröffnen

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) will die Eröffnung des Hauptstadtflughafens als Regierungschef erleben. „Der Flughafen wird eröffnet werden, und ich werde dabei sein – als Regierender Bürgermeister“, sagte Wowereit dem Magazin „Cicero“. Wowereit bekannte, dass er wegen des Flughafendebakels im Januar an Rücktritt gedacht habe. „Verantwortung“ habe ihn dazu bewogen, im Amt zu bleiben. „Ich bin gewählt für diese Legislaturperiode.“ Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) warf Wowereit vor, dieser habe nach der geplatzten Inbetriebnahme nicht zu seiner Mitverantwortung gestanden.