Von seinem Besuch auf der Baustelle des BER südlich von Berlin kam Anton Hofreiter (Grüne) kürzlich mehr als ernüchtert zurück. Herunterhängende Kabel und aufgerissene Decken im BER-Terminal haben den Vorsitzenden des Verkehrsausschusses im Bundestag an der zuletzt für den 27. Oktober 2013 avisierten Eröffnung des Airports zweifeln lassen. Zumal in einigen Abschnitten der Baustelle nicht gearbeitet wird, seit im Sommer das gesamte Ausmaß des Flughafendesasters bekannt wurde.
Erst im November werde man wohl realistisch beurteilen können, ob der neue Termin gehalten werden kann, sagt Anton Hofreiter im Gespräch mit Morgenpost Online. Mehr als das beunruhigt ihn jedoch die Finanzierung der Mehrkosten beim Bau des BER. Brüssel muss weiteren Zuschüssen seitens der Gesellschafter nämlich zustimmen. Und genau da könnte es Probleme geben.
Morgenpost Online: Herr Hofreiter, als die Planer 1992 den Flughafen von München-Riem in das Erdinger Moos verlegten, hat am darauffolgenden Tag alles gut geklappt. Was haben die Münchner anders gemacht?
Anton Hofreiter: Dort waren fähigere Leute am Werk, die genauer hingeschaut haben. Der Zeitplan war technisch begründet und nicht durch die Wünsche der Politik bestimmt.
Morgenpost Online: Welche Lehren kann man aus dem BER-Desaster jetzt schon ziehen?
Anton Hofreiter: Wir brauchen bei öffentlichen Unternehmen eine stärkere Kontrolle durch die Parlamente und damit automatisch durch die Opposition. Beim Flughafen BER kontrolliert sich die Regierung selbst, und das funktioniert nicht.
Morgenpost Online: Wie beurteilen Sie die Informationspolitik des Flughafens?
Anton Hofreiter: Sie ist eine Frechheit. Die Controllingberichte sollten öffentlich sein. Wir mussten richtig darum kämpfen, um sie zu bekommen. Dabei können sensible Daten ganz einfach geschwärzt werden. Es gibt keinen Grund, solch relevante Information über ein öffentliches Unternehmen den Abgeordneten vorzuenthalten.
Morgenpost Online: Glauben Sie, dass der 27. Oktober 2013 als neuer Eröffnungstermin für den BER zu halten ist?
Anton Hofreiter: Ich hoffe es, aber sicher ist der Termin noch nicht. Das hat uns der neue Technikchef Horst Amann bei einer Baustellenbesichtigung gesagt.
Morgenpost Online: Warum gibt es schon wieder Zweifel?
Anton Hofreiter: Im Moment ruhen die Arbeiten auf der Baustelle, bis die Planungen für den weiteren Bau abgeschlossen sind. Erst wenn wieder richtig gearbeitet wird, lässt sich realistisch sagen, ob der neue Termin gehalten werden kann. Das ist nach derzeitigem Stand im November der Fall.
Morgenpost Online: Wurde der neue Termin politisch gesetzt, weil man die Eröffnung nicht noch weiter hinauszögern will?
Anton Hofreiter: Ich hoffe, dass Herr Amann klug genug ist, sich auf diese Spiele nicht einzulassen.
Morgenpost Online: Das Management des Flughafens wurde umgebaut. Es gibt einen neuen Technikchef. Zudem soll künftig ein eigener Geschäftsführer die Finanzen verantworten. Reichen diese Veränderungen aus?
Anton Hofreiter: Die Geschäftsführung des Flughafens war eine der großen Schwachstellen bei diesem Projekt. Die genannten Schritte sind sinnvoll. Ich bezweifle aber, ob Herr Schwarz geeignet ist, als Sprecher der Geschäftsführung den BER aus dem Chaos zu führen. Denn er war ja erheblich daran beteiligt, dieses Chaos überhaupt erst entstehen zu lassen. Er gehört daher ausgetauscht.
Morgenpost Online: Welche Schuld hat der Aufsichtsrat, der die Geschäftsführung eigentlich überwachen sollte?
Anton Hofreiter: Er steckt hier genauso mit drin. Hier müssten, sollten einige Mitglieder durch neue, fähige Leute ersetzt werden.
Morgenpost Online: Die drei Gesellschafter Bund, Berlin und Brandenburg scheinen sich nicht einig zu sein, welches Vorgehen am BER das beste ist.
Anton Hofreiter: Weil sie selbst nicht unschuldig an der Entwicklung sind. Die Gesellschafter haben ein Bauernopfer gebraucht und die alte Planungsgesellschaft pgbbi entlassen. Ihr Sündenbock ist jetzt Rainer Schwarz. Die Aufsichtsratsmitglieder haben ein massives Interesse, Verantwortung abzuwälzen, weil sie ganz offensichtlich nicht sorgfältig gearbeitet haben.
Morgenpost Online: Der Aufsichtsrat behauptet, die Geschäftsführung habe ihn über das tatsächliche Ausmaß der Probleme im Unklaren gelassen.
Anton Hofreiter: Natürlich hätte der Controllingbericht an manchen Stellen schärfer formuliert oder eine Ampel von Gelb auf Rot gestellt werden müssen. Aber in dem Bericht steht eindeutig, dass die Brandschutzanlage im März noch nicht verkabelt war. An der Stelle brauche ich doch keine rote Ampel, um zu verstehen, dass eine solche Brandschutzanlage dann nicht mehr rechtzeitig bis zum Juni fertig wird.
Morgenpost Online: Diese Erkenntnis hätte man aber zuallererst vom Flughafenchef selbst erwartet.
Anton Hofreiter: Das stimmt, gilt aber ebenso für den Aufsichtsrat, der die Geschäftsführung überwachen soll. Die Gesellschafter halten an Schwarz fest, weil sie sich hinter ihm verstecken können.
Morgenpost Online: Das mag für Berlin und Brandenburg zutreffen, aber doch nicht für den Bund.
Anton Hofreiter: Im Gegenteil, der Bund ist hier besonders in der Pflicht. Der Bund hält 26 Prozent der Anteile des BER, um genau so ein Chaos, wie es jetzt entstanden ist, zu vermeiden. Er hat mehr Erfahrung mit solchen Großprojekten und ist an mehreren großen Flughäfen wie etwa München beteiligt.
Morgenpost Online: Was muss sich im Aufsichtsrat ändern?
Anton Hofreiter: Ein erheblicher Teil des Problems ist die Einstellung der Mitglieder. Sie interessieren sich ganz offensichtlich nicht genügend für die auftretenden Schwierigkeiten. Klaus Wowereit wollte schlechte Nachrichten nicht hören, weil sie nicht sein durften. Im Bund hat man das Ganze als Berliner Problem abgetan. Und von der Brandenburger Regierung braucht man nicht viel zu erwarten.
Morgenpost Online: Immerhin hat der Bund eine Sonderkommission zum BER eingerichtet, die das Projekt überwachen soll.
Anton Hofreiter: Diese Soko hat momentan eine große Aufgabe. Sie muss sicherstellen, dass die Notifizierung von Brüssel für die Zuschüsse der Gesellschafter kommt.
Morgenpost Online: Wie gut sind die Chancen, dass das klappt?
Anton Hofreiter: Ich habe da Bedenken. Sowohl ein Darlehen der Gesellschafter als auch höheres Eigenkapital ist am Ende ein Zuschuss. Man kommt daher um die Genehmigung von Brüssel nicht herum. Ich befürchte, dass die Wettbewerbskommission ihre Zustimmung an Bedingungen knüpfen wird.
Morgenpost Online: Sie meinen eine Privatisierung? Das hat beim BER doch schon am Anfang nicht geklappt.
Anton Hofreiter: Brüssel könnte eine Zwangsprivatisierung anordnen. Da muss man dem Käufer noch Geld mitgeben, und das wird teuer.
Morgenpost Online: Was ist dann die Alternative?
Anton Hofreiter: Die Kommission könnte Berlin zwingen, den BER als Regionalflughafen zu führen und ihn nicht zu einem internationalen Drehkreuz mit einem hohen Anteil an Umsteigepassagieren auszubauen. Dann stünde er nämlich nicht in Konkurrenz mit anderen Flughäfen in Europa. Das würde insbesondere den Plänen von Air Berlin einen Strich durch die Rechnung machen und sämtliche Kalkulationen zur Rentabilität des Flughafens zunichtemachen. Ob sich der BER dann jemals rechnen würde, wäre mehr als fraglich.
Morgenpost Online: Zudem gibt es Einschätzungen, dass der BER zu klein geplant wurde.
Anton Hofreiter: Ein Regionalflughafen bemisst sich nicht so sehr an der absoluten Zahl der Passagiere, sondern an den Umsteigern. Der BER kann daher schnell an seine Kapazitäten stoßen und trotzdem ein Regionalflughafen bleiben, an dem die Passagiere ankommen und nicht umsteigen und weiterfliegen.
Morgenpost Online: Wie kann Deutschland erreichen, dass die EU-Kommission keine Zwangsprivatisierung oder ein Abweichen von den Drehkreuzplänen für den BER fordert?
Anton Hofreiter: Nur wenn die Regierung so großen Druck auf die Kommission ausübt, dass sich Deutschland als größter Nettozahler bei seinem Hauptstadtflughafen nicht so ganz an alle Regeln halten muss. Aber da werden die Kollegen aus den anderen EU-Ländern genau hinschauen.