Michi klettert an steilen Bergwänden bis ganz oben. Wenn er groß ist, will er von Berlin in die Alpen ziehen – und zur Bergwacht. Bis dahin übt er in der Kletterhalle des Deutschen Alpenvereins.

Viel reden muss man nicht beim Klettern. „Seil“, „Zug“, „Ab“, damit ist eigentlich alles gesagt. Gut so, findet Michi, er ist ja nicht zum Quatschen in der Halle. Das können Tim und er anschließend erledigen, jetzt geht es darum, die beste Route nach oben zu finden.

Der Elfjährige konzentriert sich ganz auf die Wand, auf den nächsten Griff, den besten Platz für die Füße. Es dauert nur wenige Sekunden, dann hat er das Ende der Wand in der Kletterhalle erreicht, ein knapper Ruf „Ab“ und schon steht er wieder neben Tim auf dem Hallenboden.

„Da?“, fragt er und zeigt auf die leicht nach vorn geneigte Wand gegenüber. Tim nickt, die beiden wechseln an die nächste Wand. Jetzt klettert Tim, Michi steht unten und sichert Tim mit dem Seil. „Am Anfang fand ich das Sichern ganz toll“, erzählt er. Inzwischen klettert er ein bisschen lieber im Vorstieg – also als derjenige, der mit dem Seil in eine neue Route einsteigt und es in die Sicherungen einhängt.

Michi klettert Routen bis zum fünften Grad

Aber natürlich weiß er, dass sich die Kletterpartner abwechseln, und „unten stehen ist ja auch nur manchmal langweilig, wenn es lange dauert“, fügt er hinzu. Die nächste Route gehört ohnehin wieder ihm.

Einmal in der Woche kommt Michi in die Kletterhalle des Deutschen Alpenvereins am Hüttenweg, um dort zu trainieren. Angefangen hat er vor drei Jahren, als seine ganze Familie beim Urlaub im Elbsandsteingebirge einen Kletterkurs buchte. „Jetzt klettern wir alle“, sagt er, „außer Mama“. Ein bisschen Anlaufzeit brauchte die Familie noch, bevor aus dem Familien-Kurs ein Familien-Hobby wurde.

Vor eineinhalb Jahren stiegen Michis Vater, die beiden großen Schwestern und der Jüngste so richtig ein. Eine seiner Töchter habe vor Kurzem den ersten Wettkampf gewonnen, erzählt Vater Michel Götz sichtlich stolz. Und Michi klettert schon Routen bis zum fünften Grad, „manchmal schaffe ich auch den sechsten“, sagt er.

Retter für Menschen in Bergnot

Die Bewertungsskala beschreibt die Schwierigkeit einer Kletterroute: Wer den fünften oder sechsten Grad bewältigt, ist über das Anfängerstadium längst hinaus.

Einen anderen Sport macht Michi nicht, er konzentriert sich ganz auf das Klettern. Am liebsten würde er später zur Bergwacht gehen, sagt er: Im Fernsehen hat er die Serie „Bergwacht“ gesehen. Seitdem will er selbst einer der Bergretter werden, die Menschen helfen, wenn sie im Gebirge in Not geraten. Allein bei der Bergwacht Bayern engagieren sich 4200 Einsatzkräfte, alle ehrenamtlich.

Mit der Frage, womit er neben den Einsätzen bei der Bergwacht sein Geld verdienen will, hat sich Michi mit seinen elf Jahren noch nicht so eingehend beschäftigt. Aber in jedem Fall will er in die Berge ziehen, „wahrscheinlich nach Österreich“, sagt er.

Magnasiapulver nimmt den Fingerschweiß auf

Zum DAV kamen Michi und seine Familie aus anfangs ganz praktischen Erwägungen: Um beispielsweise in Kletterhallen allein an die Wand zu dürfen, muss man sichern können – und beim Alpenverein könne man das „relativ günstig“ lernen, sagt Michis Vater. DAV-Mitglieder zahlen 40 Euro für den Klettergrundkurs, bei dem sie die Prüfung zum Kletterschein Toprope ablegen können.

Die Familienmitgliedschaft kostet 123 Euro jährlich, hinzu kommt eine Aufnahmegebühr von 23 Euro. Und die Kosten für die Ausrüstung: Ein Klettergurt muss unbedingt sein, gebraucht werden außerdem Kletterschuhe, die den Füßen in der Wand guten Halt geben. Wanderstiefel tragen Kletterer höchstens auf dem Weg zur Wand. An Michis Gurt hängen zusätzlich Sicherungsgerät, Karabinerhaken, Abseil-Achter und sogar eine Tasche mit Magnesiapulver, das den Fingerschweiß aufnimmt.

Sehr lässig sieht Michi aus mit der Ausrüstung am Gurt, der halblangen Kletterhose und dem T-Shirt mit dem Aufdruck „Ich darf das“. Aber wichtig ist ihm das offenbar nicht, jedenfalls reagiert er eher ratlos auf die Frage, ob Klettern unter seinen Schulfreunden als cooler Sport gelte: „Weiß nicht. Keine Ahnung. Ein bisschen vielleicht“, sagt er. Aber mit seiner Entscheidung für das Hobby hat das nichts zu tun.

„Geckos“, „Geröllheimer“ und „Gipfelstürmer“

Viel wichtiger ist, dass er ebenso wie der Rest seiner Familie in der DAV-Trainingsgruppe seinen Platz gefunden hat. Er klettert bei den „Gipfelstürmern“, der Gruppe für die Zehn- bis Zwölfjährigen, für die Älteren gibt es zum Beispiel die „Geckos“ und die „Geröllheimer“. „Hier wird jeder nach seinen Bedürfnissen gefördert, das gefällt uns“, sagt Vater Michel, selbst bei den „Kletteroldies“ aktiv.

Drei Jugendleiter betreuen die Gipfelstürmer, die jüngsten Kletterer beim Berliner Alpenverein. „Klettern können Kinder eigentlich, sobald sie laufen“, sagt Jugendleiterin Jana Rühl. Aber erst mit neun oder zehn Jahren könnten sich Kinder selbst sichern. Vorher sei das Verständnis für die Regel: „Ich muss so aufmerksam sein, dass mir der andere nicht runterfällt“ nicht gegeben.

Der andere, das ist für Michi fast immer Freund Tim. Nur im Urlaub muss er auf ihn verzichten. Aufs Klettern aber nicht, denn ohne Sitzgurte, Karabiner und Seil fährt seine Familie nicht in die Ferien: „Egal, wo es hin geht“, sagt Michi, „die Klettersachen nehmen wir immer mit.“

Alle Folgen der Serie unter www.morgenpost.de/traumberuf