Computerspiele

Erwachsene zocken für den Jugendschutz

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Andrea Huber

Foto: picture-alliance / photoshot

Bis zu 100 Stunden probieren sich die Mitarbeiter der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle an einem Computerspiel aus, um seine Alterstauglichkeit zu prüfen. Sieben Prozent der Games werden nicht für Jugendliche freigegeben.

Der Mann, der mit den Joysticks einer Spielkonsole hantiert, hat einen Job, um den ihn viele beneiden werden. Schließlich gehört Spielen zu Marek Brunners Job: Rund 10.000 Computer- und Konsolenspiele habe er schon gesichtet, rund 3000 komplett durchgespielt, sagt der Mann im T-Shirt und lächelt. Keine Frage, das dürfte in Deutschland Rekord sein. Doch Brunner ist kein Freak, sondern arbeitet als Leiter des Testbereichs bei der USK, der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle. Deren bunte Alterskennzeichen – ab 0, ab 6, ab 12 , ab 16 und 18 – prangen auf jedem Computerspiel, das hierzulande in den Läden liegt. Hohe Strafen drohen Händlern, die Spiele an zu junge Käufer abgeben. Titel ohne Kennzeichen „dürfen laut Jugendschutzgesetz nur für Erwachsene zugänglich sein“, so USK-Geschäftsführer Felix Falk.

Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle? Da vermuten Kritiker, die mit ihren Kindern zu Hause diskutieren, ob ein Fantasy-Rollenspiel wie „World of Warcraft“ bereits ab 12 freigegeben sein sollte, schnell eine allzu große Nähe zur Industrie. Doch das Prüfverfahren für Spiele ist kompliziert und die USK, die finanziell von den Verbänden der Computerspielewirtschaft getragen wird, schafft dafür nur den organisatorischen Rahmen. „Wenn die Tür im Prüfraum zugeht, dann ist die USK außen vor“, stellt Jürgen Hilse klar, der einer der beiden ständigen Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden bei der USK ist. Auch wenn die beiden staatlichen Vertreter ihr Büro in den Räumen an der Torstraße haben, werden ihre Gehälter von den Jugendministerien der Bundesländer bezahlt, was ihre Unabhängigkeit garantiert. Seit ihrer Gründung 1994 hat die USK, die ähnlich arbeitet wie die FSK im Filmbereich, auf Antrag der Hersteller rund 30.000 Prüfverfahren organisiert, im Jahr 2010 waren es 2844. Besonders beliebt sind der Statistik zufolge übrigens Arcade-Spiele, die in der Tradition der Automatenspiele stehen: Dazu zählen auch Geschicklichkeitsspiele wie der Klassiker Tetris mit quietschbunten Tetraedern. Nur ein kleiner Anteil aller überprüften Spiele, rund sieben Prozent, erhielt 2010 „keine Jugendfreigabe“.

Beim Tag der offenen Tür wird am Freitag wohl vor allem der USK-Sichterraum im Blickpunkt der Spielefans stehen. Hier laden lässige Sitzmöbel und Knautschsessel zum Daddeln ein, hier findet sich viel Hightech: Spielkonsolen wie Playstation oder Xbox, Computer und Flachbildschirme diverser Hersteller, aber auch ein Schlagzeug für Musikspiele.

Studenten sichten die Spiele

Dies ist der Arbeitsbereich der ehrenamtlichen USK-Sichter, meist Studenten verschiedener Fachrichtungen mit ausgeprägtem Spiele-Faible. Für eine Aufwandsentschädigung von rund 40 Euro müssen sie ein Spiel komplett durchchecken. Das kann im Extremfall über 100 Stunden dauern. Die Sichter müssen offen sein für alle Genres, denn die Bandbreite reicht vom Ponyspiel über Abenteuerspiele à la Indiana Jones bis zum Ego-Shooter. Anschließend müssen die Sichter dem Prüfgremium das Spiel, für das ein Kennzeichen beantragt wird, präsentieren – eine eigene Altersempfehlung dürfen sie nicht geben. Das ist einem Prüfgremium vorbehalten, in dem je vier von über 50 Jugendschutzsachverständigen sitzen, die der USK-Beirat benennt. Auch Psychologe Jürgen Hilse oder Kollegin Lidia Grashof sitzen im Gremium und haben als Vertreter der Obersten Landesjugendbehörden Vetorecht. Sie erteilen am Ende die Altersfreigabe.

Diskussionen gab es etwa um „Toy Story 3“: Während der Hersteller des Konsolenspiels um die Spielzeugfiguren Buzz und Cowboy Woody eine Freigabe „ab 6“ beantragt hatte, entschieden sich die Prüfer für das Kennzeichen „USK 12“. „In allen Instanzen fiel die Entscheidung so aus, da es bei dem Spiel Egoshooter-Elemente gibt und teils eine düstere Atmosphäre herrscht. Jüngeren Spieler haben dafür nicht die mediale Kompetenz“, so Hilse.

Generell findet der Experte Entscheidungen über Spiele für Kinder zwischen sechs und zwölf am schwierigsten, „denn wir müssen immer die Jüngsten einer Altersgruppe im Blick haben und da sind die Unterschiede zwischen einem Sechs- und einem Elfjährigen enorm“. Debatten entzünden sich aber auch an den Spielen für höhere Altersklassen, vor allem an gewalthaltigen Militärshootern wie „Modern Warfare – Call of Duty“ (USK 18). Kommt es zu Schultragödien und Amokläufen, fokussiert sich die gesellschaftliche Debatte schnell auf Computerspiele. Zum Zusammenhang zwischen exzessivem Spielekonsum und solchen Gewalttaten liegen jedoch widersprüchliche Forschungsergebnisse vor, so Hilse.

Auch die sich wandelnde Medienrealität hat Einfluss auf die Entscheidungen des Prüfgremiums. So kann es passieren, dass ein Spiel wie „Doom“, ein früher Egoshooter, heute – nach nochmaliger Prüfung – ab 16 freigegeben ist, während es ursprünglich sogar auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien stand. Felix Falk: „Unter anderem hat sich die Grafik seitdem so weiterentwickelt, dass in diesem Punkt bei Doom keine Gefährdung mehr gesehen wird.“

Auf dem Schreibtisch von Hilse landen jährlich rund 500 Briefe bzw. E-Mails. Manchen sind die Altersfreigaben zu lasch, anderen wiederum zu streng. Beschweren sich die einen, die USK sei ein „Feigenblatt der Computerindustrie“, ärgern sich andere darüber, dass „ein harmloser Western-Shooter keine Jugendfreigabe hat“. Heftigere Kritik kommt gelegentlich von Politikern oder vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN), das befand, nur 36 Prozent der Spiele seien von der USK angemessen eingestuft worden. Hilse verweist dazu auf die „klaren Kriterien für die Alterseinstufung von Computerspielen“. Felix Falk sagt: „Deutschland hat weltweit die verbindlichsten Regeln bei der Prüfung und beim Verkauf von Computerspielen für den im Handel.“ Nur im Online-Bereich sieht er Handlungsbedarf, denn Online-Spielen bleibt die freiwillige Kennzeichnungsmöglichkeit nach USK-Verfahren versperrt. Eine gesetzliche Regelung scheint um so wichtiger, da die Zahl der Online-Spiele rasant wächst.

Doch Jugendschutz und Gesetze sind eine Sache, die elterliche Verantwortung eine andere: „An der Haustür hört der Jugendschutz auf“, sagt Hilse. Felix Falk glaubt, dass Eltern oft noch zu wenig über die Spiel-Realität wissen: „Insofern“, so der Experte, „kann die Altersfreigabe der USK auch Grundlage für Diskussionen zwischen Eltern und Kindern sein.“