Schwangerschaft

Eltern mit 19 - Wenn Teenager Babys kriegen

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Anne Klesse

Foto: M. Lengemann / Lengemann

Franziska und Kevin lernten sich im Oktober kennen - mit 18. Ein Jahr später wird ihre Tochter zur Welt kommen. Spätestens am Tag der Geburt wird ihre Jugend beendet sein. Zwischen Freude, Angst und Zweifel - Morgenpost Online hat das junge Paar besucht.

Es ist die große Liebe, das empfinden sie beide so. Franziska hatte Kevin auf der Geburtstagsfeier ihres damaligen Freundes kennengelernt. Als die alte Beziehung dann irgendwann in die Brüche ging, kamen sich Kevin und Franziska näher, trafen sich ein paar Mal. Seit Oktober 2008 sind sie nun ein Paar. Und weil Kevin sich ziemlich schnell ziemlich sicher war, machte er seiner Franzi einen Heiratsantrag.

Am 23. Dezember, einen Tag vor Heiligabend, lud er sie schick zum Essen ein, am Abend gingen sie in die Solar Bar. Panoramablick, Loungemusik, gutes Essen. Kevin hatte sich etwas Besonderes ausgedacht und bei der Vorspeise einen Ring in der Jakobsmuschel verstecken lassen. Einen Verlobungsring.

Als Franziska ihn entdeckte, war sie sprachlos. „Mir war einfach nur schlecht“, sagt sie. Die Übelkeit verging – vorerst –, und sie sagte Ja. Über Weihnachten erzählten sie es ihren Familien. Die Eltern schlugen die Hände über dem Kopf zusammen, sowohl die von Kevin, als auch die von Franziska: Ihr seid doch noch so jung! Wollt ihr euch denn wirklich jetzt schon so festlegen? Wartet doch noch ein bisschen, wer weiß, was das Leben noch so mit sich bringen wird… „Da wussten sie noch nicht, was ihnen kurz danach noch blühen würde“, sagt Franziska und lacht.

Denn nur zwei Monate später war Franziska schwanger. Mitte Oktober wird ihr Kind zur Welt kommen. Dann sind Kevin und Franziska beide gerade mal 19 Jahre alt. Teenager. Spätestens am Tag der Geburt wird ihrer beider Jugend beendet sein.

Das neue Leben als werdende Eltern begann mit einer harmlosen Operation: Franziska musste Anfang 2009 ins Krankenhaus, um sich die Mandeln herausnehmen zu lassen. Sie dachte an alles Mögliche: Nachthemd, Zeitschriften, Handy. Was sie vergaß, war die Anti-Baby-Pille. Nachdem Franziska dann wieder entlassen und mit Kevin zusammen war, schien die Sache mit der Verhütung weit weg. Kevin rechnete nach, ja, jetzt müssten gerade die unfruchtbaren Tage in Franziskas Zyklus sein. Die beiden schliefen miteinander und machten sich keine weiteren Gedanken über das Thema. Mittlerweile weiß Kevin: Er hatte sich verrechnet.

Zwei Tests – um sicher zu sein

Franziskas Periode blieb aus. Schlimmer noch: Während der Arbeit – Franziska macht eine Ausbildung zur Hotelfachfrau – wurde ihr nun wieder schlecht. Und zwar regelmäßig. Kevin lebt in Weißensee, hat gerade sein Abitur an der Heinrich-Hertz-Oberschule gemacht. Franziska kommt eigentlich aus Lichtenberg, aber für die Ausbildung zog sie vor zwei Jahren nach Moers in Nordrhein-Westfalen. Am Freitag, dem 13. Februar, setzte sich Kevin in die Bahn nach Moers. Franziska hatte ihn am Telefon gebeten: Bring zwei Schwangerschaftstests mit! Zwei, um sicher zu sein. Nach Franziskas Spätschicht im Hotel, noch in der Nacht zum Valentinstag, machten sie die Tests. Erst den billigen, dann den teuren. Beide zeigten das gleiche Ergebnis: Positiv. Schwanger.

Jedes Jahr werden in Deutschland schätzungsweise acht bis neun von 1000 der 15- bis 17-jährigen Mädchen schwanger. Etwa 15 Prozent aller Teenagerschwangerschaften enden laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) mit einer Fehlgeburt, etwa die Hälfte der anderen entscheidet sich nach Angaben des Statistischen Bundesamtes für einen Abbruch. Statistisch gesehen werden 2,4 Prozent aller Mädchen vor ihrem 18. Geburtstag mindestens einmal schwanger, 1,4 Prozent haben eine Abtreibung hinter sich, wenn sie volljährig werden.

Teenagerschwangerschaften sind in Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern also eher selten. Die Mehrheit der schwangeren Jugendlichen entscheidet sich in Deutschland heutzutage für einen Abbruch. Bei der Zahl der Abtreibungen gibt es erhebliche regionale Unterschiede: In Berlin ist sie vergleichsweise hoch. Die BzgA erklärt das unter anderem mit dem relativ hohen Anteil sozial benachteiligter Jugendlicher in Großstädten. Für diese Jugendlichen war ihre Schwangerschaft, wie für die meisten ihres Alters, ungeplant.

Der Blick auf den Teststreifen, die Gewissheit, schwanger zu sein: Auch für Kevin und Franziska war dieser Moment völlig unerwartet. „Ich war wirklich schockiert“, sagt Franziska. Ihr erster Gedanke: „Wir kriegen es nicht, natürlich nicht. Wir sind beide noch viel zu jung, mitten in der Ausbildung!“ Eine Abtreibung erschien die einzig vernünftige Lösung. Kevin ging es ähnlich: „Ich wusste nicht, wie ich reagieren soll, und war total überfordert mit der Nachricht.“ Die ganze Nacht lagen sie wach und spielten alle Möglichkeiten durch. Am darauffolgenden Tag riefen sie erst einmal Franziskas Mutter an. Die reagierte überhaupt nicht so, wie das junge Paar befürchtet hatte: „Sie hat das Ganze nicht verteufelt, sondern gleich gesagt, okay, dann ist es jetzt eben so. Dann müsst ihr jetzt damit umgehen. Entweder ihr entscheidet euch für das Kind, beide, oder – wenn sich das einer von euch nicht vorstellen kann – solltet ihr euch lieber dagegen entscheiden“, erinnert sich Kevin.

Eine Woche lang berieten sich die Teenager. „Wir waren total hin- und hergerissen“, sagt Franziska. Die beiden waren so unsicher, dass sie Pro- und Contra-Listen anfertigten. Unter Pro stand so etwas wie „Erweiterung der Familie“, „Bereicherung“ und „ein Kind zu haben ist eine schöne Sache“. Unter Contra schrieben sie „Finanzierung schwierig“, „weniger Freizeit“, „Freiheit aufgeben“, „Zwang, auch blöde Jobs annehmen zu müssen“. Am Ende konnte man sehen: Eine Liste mit Gefühlen stand einer Liste mit Argumenten der Vernunft gegenüber. Kevin und Franziska entschieden sich für die Gefühle. „Letztendlich haben wir es einfach nicht übers Herz gebracht, abzutreiben“, sagt Franziska. Also recherchierten sie im Internet und in Bibliotheken, lasen viel über das Elternwerden, über Unterstützungsmöglichkeiten und wie andere junge Väter und Mütter damit zurechtkommen. Franziska sprach mit einem Mädchen aus ihrer Klasse, die auch gerade Mutter geworden war. „Wir haben eingesehen, dass es machbar ist“, sagt Kevin. Mittlerweile wissen die beiden, dass ihr Kind ein Mädchen wird. Jolina wollen sie die Kleine nennen.

Pendeln zwischen Berlin und Moers

Zurzeit pendeln Kevin und Franziska zwischen Moers und Berlin. Kevin will sich an den Universitäten in Berlin, Düsseldorf und Duisburg bewerben, um Betriebswirtschaftslehre zu studieren. Was Solides, er muss schließlich eine Familie ernähren. Wegen der Numerus-clausus-Zugangshürde schafft er es vermutlich nicht in der Hauptstadt, aber wohl in Düsseldorf. Zurzeit bereitet er zumindest alles für einen Umzug nach Moers vor. Dort wollen die beiden dann erst einmal zusammen in Franziskas 60-Quadratmeter-Wohnung leben und auch zu dritt die erste Zeit verbringen, bis das Baby größer ist und sie mehr Platz brauchen.

Gerade die Finanzierung hatte den beiden große Sorgen bereitet. Mittlerweile kennen sie sich gut aus: Kevin hofft auf 700 Euro Bafög, Franziska hat zurzeit monatlich um die 500 Euro zur Verfügung. Nach der Geburt bleiben ihr etwas weniger, aber dafür gibt es den Kinderzuschuss und Elterngeld dazu. Die Elternzeit wollen sich die beiden teilen – damit Franziska ihre Ausbildung abschließen kann. Franziska soll die ersten zehn Monate bei dem Kind bleiben, anschließend Kevin vier Monate. Als Student bekommt Kevin 300 Euro Elterngeld, ohne sein Studium dafür unterbrechen zu müssen.

Franziska ist jetzt im sechsten Monat und immer noch schlank und rank, nur wer genau hinsieht kann das kleine Babybäuchlein unter ihrem T-Shirt erkennen. Der Schock der ersten Tage hat sich längst verflüchtigt, bei beiden. Kevin und Franziska wissen, dass sie auf vieles werden verzichten müssen, wenn das Baby erst einmal da ist. Aber so ist es jetzt nun mal, Kevin und Franziska haben sich entschieden. Für das Schicksal, für ein gemeinsames Leben und für ihr kleines Mädchen. Sie wissen: Es gibt kein Zurück. Und beide sind glücklich mit dieser Entscheidung.