Niederfinow. Routiniert ist er in die gelben Gummistiefel geschlüpft, hat die orangefarbene Warnweste übergestreift, den Baustellenhelm aufgesetzt. Udo Beuke will raus aus dem warmen Bürocontainer, hinaus zu seinem Tausende Tonnen schweren Baby. „Immerhin sehe ich das nur alle ein bis zwei Jahre.“ Seit seiner Pensionierung 2012 ist der Bauingenieur und Architekt nur noch Gast, nicht mehr Ausführender beim Bau des neuen Schiffshebewerks in Niederfinow. Die lange Zugfahrt von seinem Wohnort Karlsruhe nimmt er trotzdem auf sich: Der 68-Jährige will wissen, wie sein Lebenswerk vorangeht. „Das ist ein Jahrhundertprojekt“, schwärmt Beuke. Schließlich werde in Deutschland nur alle 50 Jahre mal ein neues Schiffshebewerk gebaut.
Mehr als zehn Jahre lang hat der Koloss in Niederfinow, für den 2009 der erste Spatenstich erfolgte, den Berufsalltag Beukes dominiert. So lange hat er bei der Bundesanstalt für Wasserbau in Karlsruhe Entwürfe für das Hebewerk gezeichnet, Varianten vorgeschlagen, über Alternativen diskutiert und letztlich entschieden, wie die Konstruktion aussehen soll. Nicht allein, wie er betont. Beuke spricht von einer Gemeinschaftsleistung. „Planer, Ingenieure, Konstrukteure, Bauarbeiter arbeiten Hand in Hand.“
Beuke legt den Kopf in den Nacken, lässt den Blick emporschweifen an dem gigantischen Bauwerk aus Stahl und Beton, das sich direkt vor ihm 54,55 Meter in die Höhe schraubt. Doch die Kräne, deren Ausleger sich über dem Rohbau drehen, sind kaum zu sehen. Die Wetterlage macht Beuke das Schauspiel zunichte, das künftige Schiffshebewerk ist in dichtem Nebel gehüllt. Aber es ist da: 225 der bewilligten 300 Millionen Euro sind bereits verbaut, die Hülle steht, jetzt muss die Maschinerie errichtet werden.
220 Gegengewichte und 224 Tragseile werden eingebaut
Derzeit wird am Herzstück der Anlage gearbeitet: 220 Gegengewichte, die den Trog über 224 Tragseile anheben und absenken, werden eingebaut. Schwerlastkräne hieven sie in die Höhe, um sie in die Halterungen einzuhängen. Insgesamt werden rund 10.000 Tonnen bewegt. Selbst nachts wird gearbeitet. Dann wird der noch nicht geflutete Trog mit 5200 Sandbehältern gefüllt. „Zum Beschweren, um die spätere Volllast im Betriebszustand zu simulieren“, erläutert Rolf Dietrich, der Leiter des Wasserstraßen-Neubauamtes (WNA) aus Berlin.
„Unfassbar, dass das, was ich jahrelang als Striche auf dem Papier und als Computersimulation gesehen haben, jetzt dreidimensional in der Landschaft steht“, ist Beuke begeistert. Eigentlich sollte das neue Schiffshebewerk 2014 an den Start gehen, dann wurde die Inbetriebnahme für 2016 avisiert. Ärger mit dem Generalunternehmer sorgte für einen Terminstau. Nun wird wohl 2017 Eröffnung gefeiert. Ein Thema, über das Rolf Dietrich nicht sprechen will. „Aber wir sind im Budget“, betont er. „Keine Überziehung.“
Der WNA-Chef hat den Architekten Beuke zu den Pylonen begleitet, den vier massiven Betontürmen des Hebewerks. Dietrich und Beuke sind alte Bekannte. Das Wasserstraßen-Neubauamt plant, koordiniert und führt aus, was der Bund beschlossen hat. 2008 kam von dort die Finanzierungszusage. „München hatte damals das Nachsehen, die hatten auf Unterstützung für den Transrapid gesetzt. Stattdessen wurde das Geld für Niederfinow bewilligt“, erinnert sich Beuke. Für ihn sei das ein Anlass gewesen, die Sektkorken knallen zu lassen. Schließlich hatten er und seine Kollegen in der Bundesanstalt für Wasserbau da schon Jahre in die Planung gesteckt.
Gearbeitet wird 24 Stunden am Tag
Die Männer setzen ihren Baustellenrundgang fort. Jetzt stehen sie zwischen dem alten und dem neuen Hebewerk. Der Architekt schaut auf das Industriedenkmal, das vor gut 80 Jahren in Dienst gestellt wurde und noch immer arbeitet. „Nur 71 Fehltage. Eine Meisterleistung deutscher Ingenieurskunst“, betont Beuke. Doch inzwischen ist das Material abgenutzt. Vor allem aber: Moderne große Güterschiffe passen nicht hinein – ein Engpass im transeuropäischen Verkehrsnetz. Um dieses Nadelöhr auf der Havel-Oder-Wasserstraße zu beseitigen, die Berlin mit Szczecin (Stettin) und der Ostsee verbindet, sei der Bau eines neuen Hebewerks unverzichtbar gewesen, sagt Dietrich. Künftig können dann bis zu 110 Meter lange Containerschiffe mit riesigen Tonnagen Niederfinow mit seinen 36 Metern Höhenunterschied passieren. Dietrich: „Das ist umweltbewusst. Und bringt Arbeitsplätze.“
Schon jetzt sichert das Hebewerk Arbeitsplätze. Rund 150 Menschen sind auf der Baustelle aktiv. Permanent. Gearbeitet wird 24 Stunden am Tag. Die ansässigen Pensionen freut das ebenso wie die Lebensmitteläden und Lokale. Das soll so bleiben. Das Hebewerk als Leuchtturm in der Tourismuswirtschaft, der Berliner und Brandenburger anzieht, darauf setzt man im Landkreis Barnim. Bislang kommen 150.000 Besucher im Jahr. Wenn das neue Hebewerk fertig ist, könnten es 300.000 Gäste sein, schätzt Dietrich.
Industriefans soll dann ein ganzer Hebewerk-Park geboten werden. Mit Animationen und Simulationen im 2009 eröffneten Informationszentrum und Führungen durch das neue und alte Schiffshebewerk in Verbindung mit der Staustufe Liepe am Finowkanal von 1743 und der Schleusentreppe von 1914. Das werde Technikbegeisterte locken, sind sich Beuke und Dietrich einig. „Die Galerien und die Brücken für die Besucher in 40 Metern Höhe werden einen atemberaubenden Blick in den Hubraum des neuen Hebewerks ermöglichen“, sagt Dietrich. „Dazu der Blick in die verglaste Seilrollenhalle mit den mächtigen Seilrollen und die fulminante Aussicht ins Oderbruch, das ist schon etwas Besonderes“, schwärmt der WNA-Chef. „Und vielleicht kann ein Besuch hier bei jungen Leuten auch das Interesse an den Ingenieurwissenschaften wecken“, hofft Beuke. Für ihn nicht nachvollziehbar, wie es „in einem so attraktiven Beruf“ an Nachwuchs mangeln könne.
Weitere Infos: www.wsa-eberswalde.de