Koalitionsbildung

In Brandenburg steht Aussage gegen Aussage

| Lesedauer: 6 Minuten
Gudrun Mallwitz

Foto: Ralf Hirschberger / dpa

Brandenburg wird wieder Rot-Rot regiert - laut Ministerpräsident Woidke (SPD), weil CDU-Landeschef Schierack keinen Posten im Kabinett übernehmen wollte. Der widerspricht.

Am Radio durften Brandenburger und Berliner am Mittwochmorgen miterleben, wie zwei sich streiten. Nicht in einer Sendung, sondern in getrennten Interviews.

Erst hörten sie, wie der Brandenburger Partei- und Fraktionschef Michael Schierack sagte, es sei „nicht wahr“, dass er in einer möglichen rot-schwarzen Regierung keinen Ministerposten übernehmen wollte. Die Frage habe gar keine Rolle gespielt in den Sondierungsgesprächen mit der SPD.

Danach hörten sie, wie Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) sagte: „Wir haben mehrfach miteinander telefoniert, haben mehrfach unter vier Augen gesprochen. Und gestern Mittag kam dann nochmal definitiv die Aussage, er möchte lieber Fraktionsvorsitzender bleiben.“

Wer bei beiden Interviews eingeschaltet hatte, fragte sich: Welcher der beiden Spitzenpolitiker sagt da nicht die Wahrheit? Im besten Falle: Haben da vielleicht zwei aneinander vorbei geredet? Womöglich wird das nicht mehr zu klären sein. Zumindest hat nun einer der beiden ein echtes Problem: CDU-Chef Michael Schierack.

Anruf kurz vor 17 Uhr

Denn Regierungschef Woidke hatte am Tag zuvor die Absage an die CDU für eine Regierungsbeteiligung einzig damit begründet, dass deren Verhandlungsführer keine Verantwortung im Kabinett übernehmen wolle. „Ich sehe es nicht als gewährleistet an, dass die CDU-Führung bereit und in der Lage ist, Regierungsverantwortung zu übernehmen“, erklärte Woidke. Seine Schilderung überzeugte zumindest seine Sozialdemokraten. Auf Anhieb. Nach nur einstündiger Beratung genehmigte der SPD-Landesvorstand am Dienstag einstimmig die Aufnahme von Koalitionsgesprächen mit den Linken. Am Sonnabend sollen sie beginnen. Brandenburg soll also weiter rot-rot regiert werden.

Bevor SPD-Parteichef Woidke sich seine Entscheidung absegnen ließ, rief er kurz vor 17 Uhr bei Michael Schierack an. Als das Handy klingelte, saß der CDU-Chef nicht weit von der SPD-Parteizentrale entfernt in der Landesgeschäftsstelle der Union. In der Villa in der feinen Jägervorstadt berichtete er gerade dem geschäftsführenden Landesvorstand, wie gut auch das für 14 Uhr angesetzte letzte Sondierungsgespräch mit den Sozialdemokraten in der Staatskanzlei gelaufen sei. Die anderen Unterhändler – Generalsekretärin Anja Heinrich, Fraktionsvize Dieter Dombrowski und der stellvertretende Parteichef Ingo Senftleben – wirkten ebenfalls sehr zufrieden, wenn nicht gar euphorisch, wie ein Teilnehmer berichtet. Schierack ging hinaus, um mit dem Ministerpräsidenten zu telefonieren.

Nach einigen Minuten kam er zurück, blass. Woidke, so sagte er, habe ihm gerade mitgeteilt, es werde keine Koalitionsgespräche mit der CDU geben. Weil er, Schierack, nicht in die Regierung wolle. „Das war nicht Thema in den Sondierungsgesprächen“ sagte der offenbar geschockte Parteichef. „Wir waren alle baff“, berichtet ein weiterer Teilnehmer aus der Runde. Im größeren Beratungsraum wartete zu diesem Zeitpunkt bereits der Landesvorstand. Alle waren seit Tagen darauf eingestellt, dass die CDU nach fünf Jahren endlich wieder in die Regierung zurückkehren kann. Dies hätte also die Stunde von Michael Schierack werden können. Den viele lange unterschätzt hatten. Der Cottbuser Orthopäde galt in der Union immer schon als netter Kerl, kompetent in Gesundheitsfragen. Aber als eher unpolitisch. Dass er eine bislang so zerstrittene Partei führen kann, musste er erst beweisen.

Vieles sprach für Rot-Schwarz

Fast zwei Jahre nach seiner Wahl zum Landeschef und dem Putsch einiger Abgeordneter gegen die damalige Partei- und Fraktionschefin Saskia Ludwig war die Union unter ihm jetzt fast am Ziel. Bei den Landtagswahlen verbesserte sie sich um vier auf 23 Prozent – und überholte damit die Linke, die nach mehr als acht Prozent Verlusten auf 18,6 Prozent abstürzte. Rot-Rot hat keine satte Mehrheit mehr, sondern nur drei Stimmen mehr. Vieles sprach für Rot-Schwarz.

Was tatsächlich zwischen den Parteichefs Woidke und Schierack vorgefallen ist, wissen nur die beiden. Inzwischen hat Schierack eingeräumt, dass in Vier-Augen-Gesprächen verschiedene Optionen durchgesprochen wurden: ins Kabinett zu gehen, aber auch Fraktionschef zu sein. Im Radio klang das am Morgen noch anders. Ob seiner Partei die Erklärung reicht, wird sich herausstellen. Hartnäckig hält sich das Gerücht, Schierack habe nur deshalb nicht ins Kabinett gewollt, weil er dann auf seine Einnahmen als Orthopäde hätte verzichten müssen. Auf Facebook kann er das lesen, was ihm seine zutiefst enttäuschten Parteifreunde vorwerfen. Das hört sich zum Beispiel so an: „Das Schicksal des Landes Brandenburg hing an einer Arztpraxis. Wie erbärmlich.“ Ein CDU-Abgeordneter sagt: „Schierack muss zurücktreten. Wie soll er als Oppositionsführer noch glaubhaft Rot-Rot kritisieren, wenn er sich selbst vor der Verantwortung gedrückt hat?“

Schierack hat aber auch Fürsprecher. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Stübgen erklärt: „Ich habe keinen Grund, an Schieracks Darstellung zu zweifeln.“ Jörg Schönbohm, einst Vizeministerpräsident, erinnert sich an 1999, als er die Union in die Regierung führte: „Manfred Stolpe hatte mir damals deutlich gesagt, dass er Rot-Schwarz nur machen würde, wenn ich auch ins Kabinett eintrete.“ Für Schönbohm ist eindeutig: „Woidke hat die Frage nicht klar genug gestellt.“ In Schönbohms Wohnort Kleinmachnow sind sich da nicht alle so sicher. „Ich habe viele E-Mails bekommen“, sagt der CDU-Ortsvorsitzende Ludwig Burkardt. Der Tenor: „Da kann man nur noch austreten.“ Nicht nur er bekam derartige Post. Die Entrüstung geht durch die gesamte Brandenburger CDU.

Linke nimmt Koalitionsangebot der SPD an

Am Mittwochabend hat die brandenburgische Linke unterdessen die Einladung der SPD zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen angenommen. Dafür sprachen sich der Landesvorstand und Kreisvertreter in Potsdam mit einer Gegenstimme aus. Sie folgten damit einer Empfehlung des Parteivorsitzenden Christian Görke und der Sondierungsgruppe, die zuvor mit den Sozialdemokraten die Chancen für die Fortsetzung des seit 2009 bestehenden rot-roten Regierungsbündnisses ausgelotet hatte.