Aus Protest gegen die Flugrouten vom künftigen Hauptstadtflughafen BER haben am Freitagabend Tausende Demonstranten das Bundeskanzleramt in Mitte mit einer Menschenkette umkreist. Sie forderten unter anderem ein strenges Nachtflugverbot für den Airport. Morgenpost Online sprach mit Flughafenchef Rainer Schwarz darüber.
Morgenpost Online: Herr Schwarz, wie gesundheitsschädlich ist Fluglärm?
Rainer Schwarz: Es gibt genaue Grenzwerte, ab wann Fluglärm als störend oder gesundheitsschädlich eingestuft wird. Die Planfeststellungsbehörde hat bei unserem Flughafen etwa für das Nachtschutzgebiet festgelegt, dass bei geschlossenen Fenstern nicht mehr als sechs Einzelereignisse mit einem Lärmpegel von über 55 Dezibel auftreten dürfen und dass der Dauerschallpegel 35 Dezibel nicht überschreiten darf. Der Planfeststellungsbeschluss geht beim Lärmschutz in einigen Teilen über das hinaus, was gesetzlich vorgeschrieben ist.
Morgenpost Online: Haben Sie Verständnis für die Gemeinden und Bürger, die vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen Nachtflüge klagen?
Schwarz: Bei den drei anderen Flughäfen, für die ich bisher tätig war, gab es bei Veränderungen des Flugbetriebs auch Klagen dagegen. Das ist das gute Recht des Bürgers.
Morgenpost Online: Warum müssen Flugzeuge zu nachtschlafender Zeit in Berlin landen und starten?
Schwarz: Das tun sie nicht: In der im Bürokratendeutsch als Kern-Nacht bezeichneten Zeit zwischen 0 und 5 Uhr wird es im Gegensatz zu heute keine Flüge geben.
Morgenpost Online: Und das ist auch bei Verspätungen so?
Schwarz: Definitiv. Wenn verspätete Flieger nach 24 Uhr kommen, dürfen sie nicht mehr hier landen. Die müssen dann nach Polen oder Hannover oder Leipzig ausweichen. Bisher hatten wir in Tegel eine Nachtflugbegrenzung, aber in Schönefeld 24-Stunden-Betrieb. Wenn in Tegel ein Flieger später reinkam, als er durfte, wegen Streiks oder schlechtem Wetter, wurde er nach Schönefeld umgeleitet.
Morgenpost Online: Wie oft passiert das?
Schwarz: In der Hochsaison alle paar Tage. Das wird künftig in der Hauptstadtregion nicht mehr gehen. Die nun beklagte Genehmigung sieht vor, dass man bis 23.30 Uhr planmäßig noch fliegen kann und die halbe Stunde danach nur als Puffer für Verspätungen bleibt. In dieser Zeit darf man keine Flüge planen. Die Praxis zeigt, dass eine halbe Stunde als Puffer oft nicht reicht. Wir werden also eine massive Verschlechterung haben gegenüber dem Status quo.
Morgenpost Online: Was würde es bedeuten, wenn um 22 Uhr Schluss ist, wie es die Kläger beantragt haben?
Schwarz: Keine normale Fluggesellschaft würde Flüge bis 22 Uhr planen, sondern nur noch bis 21 Uhr oder 21.15 Uhr, um keine Risiken einzugehen. Dann würden viele Carrier gerade im Low-Cost-Bereich ihre Flugzeuge hier nicht mehr stationieren können. Die brauchen eine gewisse Anzahl von Umläufen, müssen etwa vier Mal nach Wien und zurück fliegen oder drei Mal nach Mallorca. Sonst rechnet sich deren Geschäftsmodell nicht. Wenn hier um 22 Uhr Feierabend ist, fällt der letzte Umlauf weg, dann werden sie es sich nicht mehr leisten können, den Standort Berlin zu bedienen.
Morgenpost Online: Es geht also nur um die Billigflieger?
Schwarz: Nein, noch weitere Einschränkungen in den Tagesrandzeiten träfen auch die Langstrecken. Nach Asien fliegt man aus Europa eben üblicherweise am späten Abend los, aus den Vereinigten Staaten kommt man oft sehr früh morgens wieder. Und die von uns angestrebte Drehkreuzfunktion wäre gefährdet. Air Berlin hat in Tegel ja bereits Drehkreuzstrukturen aufgebaut. Ein Drehkreuz würde ad absurdum geführt, wenn nicht sichergestellt wäre, dass alle Maschinen, die sie für den Umsteigeverkehr brauchen, Berlin auch erreichen.
Morgenpost Online: Woanders gibt es aber auch nachts Einschränkungen. Wandern die Billigflieger nur aus Berlin ab, oder fliegen dann eben einfach überhaupt weniger Leute für 29 Euro irgendwohin?
Schwarz: Die Genehmigungen, die wir im Moment haben, sind im üblichen Rahmen. Es gibt keinen Flughafen von Bedeutung, der um 22 Uhr schließt und um sechs Uhr öffnet. Eine Fluglinie setzt doch ihre Flugzeuge dort ein, wo sie das meiste Geld verdienen kann. Die Fluggesellschaft Easyjet kann ihre zehn Flieger nehmen und sie nach London, Paris oder Madrid setzen. In Paris oder Barcelona können sie 24 Stunden fliegen.
Morgenpost Online: Mit wie vielen Flugbewegungen in den Randzeiten rechnen Sie?
Schwarz: Wir hatten durchschnittlich pro Tag 87 Bewegungen für die Randzeiten beantragt, die wir bis 2023 erreichen wollten. Für dieses Jahr haben wir mit 30 Millionen Passagieren gerechnet. Das brandenburgische Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft hat uns 2009 dann nur 77 Starts oder Landungen pro Nacht erlaubt. Was wir als Genehmigung vorliegen haben, ist schon ein Kompromiss zwischen unseren Interessen und denen der Anwohner. Der Kompromiss ist das Ergebnis eines zweijährigen, öffentlichen Genehmigungsverfahrens.
Morgenpost Online: Aber nachdem Sie in den vergangenen acht Jahren das Passagieraufkommen schneller als erwartet von zwölf auf 24 Millionen verdoppelt haben, bleibt Ihnen doch nun aber nicht mehr so viel Luft nach oben, zumindest nicht in den Randzeiten.
Schwarz: Die Gutachten sind vor vielen Jahren gemacht worden. Darauf basiert die Genehmigung. Natürlich beabsichtigen wir nicht, Inder und Chinesen nur nachts abzufertigen. Das meiste Geschäft findet am Tage statt. Aber dennoch: Die zusätzliche Deckelung der Flugbewegungen zwischen 23 und 24 Uhr und zwischen 5 und 6 Uhr begrenzt das Wachstum. In diesen Zeitfenstern erlaubt die Behörde im Durchschnitt 31 Flüge täglich. Das heißt, dass zwei Drittel der Flugbewegungen in den Randzeiten zwischen 22 und 23 Uhr stattfinden. Ab 23 Uhr wird es immer leiser, und ab 5 Uhr schwillt der Verkehr langsam wieder an. Das Gros dessen, worüber wir jetzt diskutieren, läuft zwischen 22 und 23 Uhr. In Tegel findet solch ein Betrieb derzeit ganz selbstverständlich statt. Dort können sie bis 23 Uhr unlimitiert rein- und rausfliegen. Wenn das auch noch gekippt würde, hätten wir uns aus dem internationalen Wettbewerb katapultiert und würden mit dem neuen Flughafen weit hinter das zurückfallen, was wir jetzt haben.
Morgenpost Online: Werden Sie in Sachen Lärmschutz noch nachbessern, weil die Belastung ja jetzt auch schon höher ist? Sie haben ja bereits viel investiert.
Schwarz: Wir dimensionieren den Lärmschutz ohnehin schon auf die Endausbaustufe des Flughafens. Alles andere wäre auch unsinnig. Aber je größer das Wachstum ist, desto schneller kommen wir an die wirkliche Belastungsgrenze heran. Im Moment schützen wir die Anwohner über das tatsächlich notwendige Maß hinaus.