Diese Zwei werden keine Freunde mehr. Vor dem Großen Saal des Bundesverwaltungsgerichts steht Gisela Willuhn aus Blankenfelde und schimpft: „Wirtschaftlichkeit geht hier vor Menschlichkeit.“ Einige Meter weiter drückt Staatssekretär Rainer Bretschneider den Rücken durch und sagt: „Es tut gut, dass der jahrelange Vorwurf nicht mehr gilt, das Recht werde mit Füßen getreten.“
Gerade haben die Bundesrichter Bretschneiders Nachtflugregelung für den neuen Berliner Großflughafen bestätigt - und damit den Regierungen in Berlin und Potsdam, ja der ganzen Luftverkehrsbranche zu einem erleichterten Stoßseufzer verholfen: Der neue Großflughafen kann kommen, ohne weitere Einschränkungen.
Den Anwohnern bleibt Verbitterung. „Wenn ich das Fenster offen habe, ist es unerträglich“, sagt Willuhn, deren Gemeinde schon jetzt in der Einflugschneise liegt. Landende Maschinen donnern dort in 200 Metern Höhe über die Dächer.
103 Maschinen fürfen von von 5.00 Uhr bis 6.00 Uhr starten und landen.
Wenn im Juni der neue Hauptstadtflughafen im nahen Schönefeld öffnet, dürfen zwischen 22.00 Uhr und Mitternacht sowie von 5.00 Uhr bis 6.00 bis zu 103 Maschinen starten und landen. Dazwischen ist „Lärmpause“, wie es der Vorsitzende Richter Rüdiger Rubel bei der Urteilsverkündung am Donnerstag formulierte.
Das höchste Gericht hatte vor fünf Jahren den geplanten 24-Stunden-Betrieb auf dem Großflughafen an der Stadtgrenze gestoppt; er ersetzt die bestehenden Airports Tegel und Schönefeld sowie den geschlossenen Flughafen Tempelhof. Nun steht für das Gericht fest: Die Lärmschutzbelange der Anwohner sind mit der danach vorgelegten Regelung ausreichend berücksichtigt. Nun geht das Ziel vor, dass Berlin im Luftverkehr eine größere Rolle spielt.
Nur zwei Tage nach dem vorläufigen Nachtflugverbot für den Flughafen Frankfurt schöpft die Luftfahrtbranche neue Hoffnung. Der Branchenverband BDL hofft, dass die Leipziger Richter Anfang 2012 auch die strittigen 17 Nachtflüge am größten deutschen Flughafen genehmigen. Diese Maschinen sollen jedoch zwischen 23.00 Uhr und 05.00 Uhr fliegen. In Schönefeld kehrt um Mitternacht Ruhe ein.
Für die Fluggesellschaften sind der späte Abend und der frühe Morgen unverzichtbar, wollen sie Zu- und Abbringerflüge zu Drehkreuzen wie Frankfurt und München anbieten, das hat das Gericht anerkannt. Damit ermöglicht es auch Deutschlands zweitgrößter Fluggesellschaft Air Berlin, seine Heimatbasis weiter zum Drehkreuz für Umsteige-Verbindungen auszubauen - dann auf Deutschlands drittgrößtem Flughafen mit einer Passagierkapazität von 27 Millionen. Die Wirtschaft freut es: Die Jobmaschine Flughafen könne nun starten und die erhofften 40.000 Arbeitsplätze bringen, so Berlins IHK. Rechtlich ist das 2,5-Milliarden-Euro-Projekt kaum mehr zu stoppen. Die Planung ist nun letztinstanzlich genehmigt und der von einigen Gegnern angekündigte Gang zum Europäischen Gerichtshof dürfte Jahre dauern.
Wenig erwarten dürften seit Donnerstag auch die Kläger, die bislang gehofft hatten, die Leipziger Richter würden das Projekt noch wegen der undurchsichtigen Flugrouten-Planung stoppen. Richter Rüdiger Rubel erklärte es für ausreichend, dass die Planer jahrelang von Geradeausstarts ausgingen - auch wenn es nun ganz anders kommt. Der Richter würdigte es, dass die Betreiber im Verfahren das Gebiet ausdehnten, in dem Anwohner Schallschutzfenster bekommen.
Regierungen von Berlin und Brandenburg begrüßen Gerichtsentscheid
Der Frust bei den Betroffenen sitzt dennoch tief, das Leipziger Urteil gibt ihrem Protest neue Nahrung. „Ich glaube, dass die Diskussion um den Flughafen jetzt nicht beendet ist“, sagt Staatssekretär Bretschneider, der seit Monaten im Kreuzfeuer der Flughafen-Anrainer steht. Im Januar legen die Bundesbehörden die Flugrouten fest. Bis dahin werden womöglich auch zwei Volksinitiativen für ein striktes Nachtflugverbot für Wirbel sorgen, auch wenn es am Ende zum Volksentscheid nicht reichen sollte.
Die Landesregierungen von Berlin und Brandenburg wie auch die Flughafengesellschaft haben das Gerichtsurteil zur Nachtflugregelung am künftigen Hauptstadtflughafen in Schönefeld hingegen begrüßt. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) sprach am Donnerstag von einer „wegweisenden Entscheidung für die Zukunftsfähigkeit“ des Flzghafens.
Wowereit will Interessenausgleich mit Bürgern
„Ich freue mich besonders, dass das Gericht die Notwendigkeit eines großen Flughafens betont hat“, sagte Wowereit. „Wir brauchen diesen Flughafen für die Wirtschaft der Region und damit Menschen aus aller Welt herkommen.“ Es gelte nun, einen Interessenausgleich zwischen berechtigten Anliegen der von Fluglärm betroffenen Bürger und den Anforderungen des Airports zu finden und in Einklang zu bringen. Dies sei „eine der großen Herausforderungen unserer Zeit“.
Nach den Worten Wowereits ist es eine selbstverständliche Verpflichtung, alles dafür zu tun, die Beeinträchtigungen so gering wie möglich zu halten. Er hoffe zugleich auf ein „gutes Ende“ der Flugroutendiskussion.
Wowereit verwies zugleich auf ursprüngliche Pläne, nach denen am neuen Flughafen rund um die Uhr geflogen werden sollte. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts sei zu vertreten. „Nicht zu vertreten gewesen wäre, dass in den sogenannten Randzeiten nicht geflogen wird.“
Brandenburgs Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Linke) räumte in Anspielung auf die Flugroutendiskussion ein, dass auch mit dem Urteil noch nicht alle Probleme rund um den Flughafen gelöst seien. Er sprach sich für ein „Bündnis am Boden“ mit den Bürgern aus. Der Minister wies Spekulationen zurück, wonach der Flughafen eine dritte Start- und Landebahn erhalten soll. Das stehe „nicht zur Debatte“.
Schwarz: Flughafen ist jetzt wettbewerbsfähig
Flughafenchef Rainer Schwarz sagte: „Das ist ein besonders wichtiger Tag – wir haben jetzt Rechtssicherheit.“ Er sei daher sicher, dass nun auch die Fluggesellschaften reagieren werden, die sich bei ihrer „Entfaltung“ für den künftigen Flughafen bislang noch sehr zurückgehalten hätten. „Wir haben jetzt Rahmenbedingungen, was die Wettbewerbsfähigkeit angeht“, sagte Schwarz. Berlin bekomme keinen Flughafen, der 22.00 Uhr zumachen muss. „Ich bin zuversichtlich, dass wir zu München und Frankfurt als dritter Player aufschließen werden.“
Schwarz zufolge wurde vor Gericht der „anwohnerfreundlichste“ Kompromiss beschlossen. Schließlich sei Schönefeld der einzige Flughafen, der Anwohner durch Lärmschutzmaßnahmen auf noch gar nicht beschlossenen Flugrouten schütze. Der Erfolg vor Gericht sei vor allem der Arbeit der Brandenburger Genehmigungsbehörden zu verdanken.