Hässliche Szenen wie die vor dem Flüchtlingsheim in Berlin-Hellersdorf müssen Neuankömmlinge in Potsdam-West nicht fürchten. Das machen die mehr als 100 Anwohner bei der Bürgerveranstaltung deutlich. Offen, wenn auch nicht frei von Sorgen, reagieren sie auf die Pläne der Stadt, Flüchtlinge in Wohnungen inmitten der Stadt einzuquartieren. Tür an Tür mit alteingesessenen Mietern. Aufatmen bei der Sozialbeigeordneten Elona Müller-Preinesberger (parteilos), die damit in Potsdam einen landesweit bislang einzigartigen Weg beschreiten will.
Bis zu 70 Asylsuchende und geduldete Flüchtlinge sollen von Dezember an in zwei Wohnblöcke des städtischen Wohnungsunternehmens Pro Potsdam an der Haeckelstraße einziehen. Verworfen ist die kontrovers diskutierte Idee, Flüchtlinge in Containern in einem Industriegebiet zu konzentrieren. Zumindest vorerst.
Wohnungen in Plattenbauten der 70er-Jahre
Die Unterbringung in Potsdam-West ist ein Experiment auf Zeit. „Für zwei Jahre sollen Flüchtlinge hier wohnen“, kündigt die Beigeordnete an. Bis ein Neubau an der Heinrich-Mann-Allee bezogen werden kann. „Nach gleichem Prinzip – Wohnung an Wohnung mit Altpotsdamern.“ An der Haeckelstraße stellt Pro Potsdam 20 Wohnungen für den Interims-Bezug bereit. Drei-, Zwei- und Einzimmerwohnungen in 70er-Jahre-Plattenbauten. Räume, die seit Jahren leer stehen. Teils, um Mietern bei Sanierungen als Ausweichquartier zu dienen. Andernteils, weil sie selbst auf der Liste der zu sanierenden Objekte stehen. Eine Maßnahme, die allerdings seit Jahren auf sich warten lässt. Das soll sich ändern. Ab Ende 2015 würden die Blöcke modernisiert, so die Bauholding. Zwischenzeitlich sollen Flüchtlinge aus Somalia, Tschetschenien, Serbien oder dem Tschad hier zur Ruhe kommen.
Die seien oftmals traumatisiert, hätten Angehörige verloren, sagt Müller-Preinesberger. Derzeit harren sie im zentralen Auffanglager in Eisenhüttenstadt aus. „Unter kaum menschenwürdigen Bedingungen“, sagt die Beigeordnete. „Bewusst werden keine alleinstehenden Männer einziehen, stattdessen Familien oder Mütter mit Kindern.“ Deutsch-Kurse sollen Sprachbarrieren abbauen helfen, auch Sozialarbeiter sind vorgesehen, und ein Wachschutz soll für Ordnung sorgen.
Noch läuft die Suche nach einem sozialen Träger. Die Beigeordnete setzt auf die soziale Vereinslandschaft und Bürgerinitiativen. „Für kleine, von Anwohnern initiierte Projekte stellt die Stadt 25.000 Euro zur Verfügung“, sagt sie.
Angst bei Anwohnern sitzt tief
Die Angst der Alteingesessenen sitzt trotzdem tief. „Wird es nicht eng in Kitas und Schulen, wenn die Flüchtlingskinder bei uns integriert werden?“, wird Müller-Preinesberger immer wieder von Müttern aus dem Quartier angesprochen. „Sind Lehrer nicht überfordert, wenn sie sich zusätzlich um Kinder mit besonderem Betreuungsbedarf kümmern müssen?“ Fragen, bei denen die Sozialbeigeordnete passen muss. „Noch“, sagt die Verwaltungsfrau. Sie will das Gespräch mit den Bildungseinrichtungen suchen. „Potsdam muss die Unterbringung der Flüchtlinge stemmen“, sagt Müller-Preinesberger.
Zur Erinnerungsarbeit fordert Hella Drohla vom Potsdamer Migrantenbeirat auf. „Was wäre gewesen, wenn die Flüchtlinge nach dem Zweiten Weltkrieg in Potsdam auf Abwehr gestoßen wären?“ Carina Steffen pflichtet ihr bei. Die dreifache Mutter lebt an der Hegelallee in direkter Nachbarschaft einer Flüchtlingsunterkunft, in der 13 stark traumatisierte Mütter samt Kindern leben. „Ich war nicht frei von Vorurteilen“, sagt sie. Offensiv sei sie daher auf die Fremden zugegangen. „Die Gemeinsamkeiten sind größer als die kulturellen Unterschiede.“
Die Stadt sucht seit Monaten nach Alternativen
Der Druck auf die Stadt wächst. 103 Flüchtlinge muss die Landeshauptstadt aktuell aufnehmen. „Die beiden Gemeinschaftsunterkünfte mit ihren 193 Plätzen sind restlos belegt“, spricht Müller-Preinesberger vom Dilemma. Seit Monaten sucht die Stadt nach Alternativen, hat 40 mögliche Standorte geprüft. Dankbar ist die Dezernentin für die Amtshilfe aus Frankfurt (Oder): Dort will man 20 ursprünglich für Potsdam bestimmte Flüchtlinge aufnehmen.
Aber nicht nur Potsdam ist im Zugzwang. 3300 Flüchtlinge kommen in diesem Jahr nach Brandenburg, prognostiziert das Innenministerium. Die zentrale Erstaufnahmestelle in Eisenhüttenstadt, deren Kapazität bei 700 Personen liegt, ist voll belegt. Ende August lebten 4300 Flüchtlinge im Land, 1200 mehr als im Jahr zuvor. Erwartet wird aktuell die Ankunft syrischer Flüchtlinge – 154 Kinder, Frauen und Männer. „Ende Oktober treffen die ersten elf Syrer ein“, sagt Gabriel Hesse vom Sozialministerium. „Die Aufnahme wird sich über mehrere Monate hinziehen.“ Zunächst sind Orte in den Landkreisen Barnim (12), Havelland (17), Oder-Spree (20), Potsdam-Mittelmark (24), Teltow-Fläming (18) vorgesehen.